Waffenlieferungen an die Ukraine? - Schwere Geschütze gegen Olaf Scholz

Mit seiner Skepsis gegenüber Waffenlieferungen isoliert sich der Bundeskanzler, getrieben von seiner Partei, nicht nur in der westlichen Staatengemeinschaft, sondern auch in seiner eigenen Koalition. Deutschland könnte Panzerhaubitzen und Panzerfahrzeuge liefern, tut es aber nicht. Völlig unklar, wie lange die Verteidigungslinie von Olaf Scholz noch hält.

Olaf Scholz
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Die Sicherheit Deutschlands wird auch in Borken verteidigt. Zumindest kämpft in dieser Woche der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in der münsterländischen Kleinstadt um Wählerstimmen im Landtagswahlkampf und zugleich um Zustimmung für seine immer noch pazifistische Haltung im Ukraine-Krieg. Wer die Ursache für das Herumlavieren von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin sucht, wird auch auf dem Borkener Marktplatz fündig. Während der deutsche Regierungschef nämlich mit seinen Amtskollegen aus den USA, Frankreich, Großbritannien und Polen um militärische Unterstützung für das von Russland überfallene Land ringt, erklärt sein eigener Fraktionsvorsitzender, immerhin der Chef der Mehrheitsfraktion im Deutschen Bundestag, in der Provinz, man dürfe nicht zu sehr auf militärische Stärke setzen, sonst werde der Krieg noch „jahrelang so weiter gehen“.

Was sollen diese Worte Mützenichs bedeuten? Ohne Waffenlieferungen gäbe es ein schnelles Ende des Krieges – mit einem Sieg Putins? Mützenichs Haltung sorgt in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten für viel Unverständnis bis Wut.

In Borken hingegen legt er nach. So sagt Mützenich, laut Berichterstattung der Westfälischen Nachrichten, man dürfe auch weiterhin die Diplomatie nicht vernachlässigen. Und er traut sich tatsächlich, fernab der Hauptstadt diesen gefährlichen, vielleicht sogar zynischen, Satz zu sagen: „Dieser Krieg wird nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen.“ Mindestens für viele Ukrainer ist so eine Äußerung schwer erträglich.

Es lässt sich aber auch unschwer erahnen, welch eine politische Schizophrenie dadurch der Bundeskanzler innerlich und nach außen aushalten muss. Er bewegt sich zwischen der Haltung der gesamten westlichen Staatenwelt sowie großen Teilen seiner eigenen Regierung, nämlich seinen Koalitionspartnern Grüne und FDP, auf der einen Seite und seinem Fraktionsvorsitzenden und weiten Teilen der SPD auf der anderen Seite, die noch immer zögern, der Ukraine eine massive militärische Unterstützung zukommen zu lassen.

Das Thema Waffenlieferungen wird zur Schicksalsfrage

Es ist der Spagat von Scholz, der die Regierung zu zerreißen droht. Mehr noch, es ist der Spagat, der Deutschlands Rolle in Europa und der Welt inzwischen kennzeichnet und schwächt. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki will den Kanzler aus der Zögerlichkeit herausholen; es gehe um den „Wendepunkt in der Geschichte Europas und der Welt“, da müsse man Farbe bekennen und zusammenstehen, so die Mahnung aus Warschau. Eine „zweideutige Haltung Deutschlands“ sei „sicherlich nicht hilfreich“, so Morawiecki. Plötzlich wird Deutschland zum Problemfall in der Europäischen Union, wer hätte das gedacht. 

Das Thema Waffenlieferungen wird zur Schicksalsfrage von Olaf Scholz und seiner Ampel-Regierung. Mit einem geradezu selbstmörderischen Klimmzug hat er in seiner Stellungnahme von dieser Woche noch einmal versucht, die Gegensätze zusammenzubinden, und schrammte dabei noch sehr nah am Sagen der Unwahrheit vorbei. Er, Scholz, sei sich in der Problematik der Waffenlieferungen mit den Verbündeten einig, erklärte er, um dann aber aus diversen Gründen das Verschicken von deutschem Material der schwereren Kategorie auszuschließen. Nahezu zeitgleich erklärten unter anderem die USA und Kanada hingegen, große Geschütze und gepanzerte Fahrzeuge in das geschundene Land im Osten Europas unverzüglich liefern zu wollen. Es gibt nicht mehr viele, auch in Berlin, die das verstehen.

Zwei Argumente bringt die Bundesregierung, vor allem das Bundeskanzleramt, gegen Waffenlieferungen vor. Zum einen wird argumentiert, die Bundeswehr könne keine schweren Waffen entbehren, ohne die eigene Verteidigungsfähigkeit zu verlieren. Zum anderen sei das schwere Gerät der Bundeswehr westlicher Bauart für die ukrainische Armee wenig hilfreich, da diese mit der Bedienung nicht vertraut seien. Der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Markus Laubenthal, hatte dies sozusagen regierungsamtlich auch aus militärischer Sicht gestern bestätig. Doch gibt es auch Stimmen aus Kreisen der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums, die genau diese Sichtweise bestreiten und den Verdacht nahelegen, die Argumente könnten vor allem politisch motiviert und nicht sachlich begründet sein.

Wird am Donbass auch die deutsche Sicherheit verteidigt?

Ein Insider sagte gegenüber Cicero, von den 120 verfügbaren Panzerhaubitzen seien sehr wohl 60 entbehrlich. Man könne das fehlende Gerät nachbestellen, in der Ukraine hingegen könnte es sofort nützlich sein. Die Bundesregierung argumentiert, die Ukraine solle selbst bei der deutschen Rüstungsindustrie bestellen, Berlin würde bezahlen. Doch das dauert für die ukrainische Front natürlich viel zu lange.

Doch wenn deutsches Gerät jetzt in der Ukraine eingesetzt würde, dann wird eben sehr wohl am Donbass auch die deutsche Sicherheit verteidigt. Es ist schon sehr verwegen, jetzt mit der deutschen Verteidigungsfähigkeit zu argumentieren, während die Russen gerade die Ukraine angreifen. Einen anderen Feind haben sicher auch die deutschen Generäle im Bendlerblock gerade nicht im Visier als eben jene russische Armee, deren Bekämpfung gerade in der Ukraine ansteht. Kenner der Materie halten auch das Argument für abwegig, die ukrainischen Soldaten könnten die Geräte nicht bedienen. Der deutsche Schützenpanzer Marder sei auch für viele ukrainische Soldaten kein Unbekannter, und zudem stecke in ihm keine Raketentechnik, heißt es.

Um nicht völlig untätig zu sein, hat sich die Bundesregierung jetzt das sogenannte Ringtauschmodell ausgedacht. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur soll dabei der Nato-Partner Slowenien eine größere Stückzahl seiner Kampfpanzer an die Ukraine abgeben und aus Deutschland dafür den Schützenpanzer Marder sowie den Radpanzer Fuchs erhalten. Damit fehlen diese aber auch in Deutschland – und die selbst aufgestellte Argumentationslinie wird in Berlin schon sozusagen eigenhändig zerschossen.

Wie lange also Scholz zwischen Borken und Berlin die Front der deutschen Zurückhaltung bei Waffenlieferungen halten kann, ist unklar, zumal auch aus den eigenen Reihen weitere Leute schon „desertieren“. Zuletzt hatte Thüringens SPD-Landeschef Georg Maier die Verladung von schweren Waffen für die Ukraine befürwortet. „Auch Schützenpanzer wie den Marder sollten wir zur Verfügung stellen, direkt von der Bundeswehr.“ Die Panzer wären in der Ukraine rasch einsetzbar und einfach zu bedienen, sagt der Sozialdemokrat.

Was gilt nun und was nicht? In der kommenden Woche will die Unionsfraktion einen Antrag zu Waffenlieferungen in den Bundestag einbringen, dann kommt es in der Ampel zum Schwur, dann wird ein starker SPD-Fraktionschef gebraucht, um eine Linie zu halten. Aus dem lauschigen Borken muss Rolf Mützenich dann heimgekehrt sein.

Anzeige