Die Plagiatsaffäre Giffey - „Die Angst ist Teil des Geschäfts“

Der Streit um die Promotion von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hat ein Licht auf eine Branche geworfen, die eigentlich nicht gerne über ihre Arbeit spricht: Plagiatsjäger. Einer der bekanntesten ist Martin Heidingsfelder, der gerade den CDU-Politiker Frank Steffel auffliegen ließ. Was treibt ihn an?

Vor dem akademischen Abgrund: Familienministerin Franziska Giffey (SPD) droht der Entzug des Doktortitels / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Martin Heidingsfelder ist Diplom-Kaufmann. 2011 hat er im Zuge der Aufdeckung der Plagiate in der Doktor-Arbeit des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg die Internet-Plattform Vroniplaggegründet und sich als Markenzeichen schützen lassen.

Herr Heidingsfelder, auf einer Skala von 0 bis 10, wie schwer wiegt der Plagiatsverdacht im Fall der Doktorarbeit von Familienministerin Franziska Giffey?
Ich würde sagen, Frau Giffey liegt irgendwo in der Mitte, bei fünf. Auf 76 von 205 Seiten wurden Plagiate entdeckt. 

Die FDP fordert jetzt den Rücktritt von Frau Giffey für den Fall, dass ihr der Doktortitel entzogen wird. Reicht eine 5 auf der Skala dafür schon aus?
Ja, mit dieser Masse an Plagiaten ist der Doktor-Titel eigentlich nicht mehr zu halten. Mir steht ein Urteil darüber aber nicht zu. Das machen Professoren von der Uni, die den Titel verliehen hat, in diesem Fall von der FU Berlin. 

Die Doktor-Arbeit von Franziska Giffey wird von einem Ihrer Kollegen durchleuchtet, der als Deutschlands härtester Plagiatsjäger gilt: Es ist ein Mann, der sich Robert Schmidt nennt. Hätten Sie den Job auch gerne gemacht? 
Na sicher, mir wird vorgeworfen, ich wäre noch härter als er, weil ich die Fälle viel früher anzeige. Ich bin spezialisiert auf die Suche nach plagiierten Doktorarbeiten, nicht auf das Dokumentieren. Den Berliner CDU-Politiker Frank Steffel habe ich mit 9 Textstellen angezeigt, das hat locker gereicht. Auf der Skala von 0 bis 10 ist der schon eine 8 bis 9. 

Ihre Kollegen von VroniPlag sind zu dem Schluss gekommen, seine Arbeit sei viel harmloser gewesen. 
Es gibt unterschiedliche Sichtweisen: Was ist ein Plagiat?   

Gibt es dafür keine eindeutige Definition?
Die Aussage, eine Textstelle sei ein Plagiat, ist erstmal eine Meinung. Sie müssen beweisen, dass etwas wirklich abgeschrieben wurde. Plagiate kommen aber meistens nicht allein. Wo eins ist, finden Sie meistens noch Dutzende andere – in derselben Qualität. 

Was schließen Sie daraus?
Wenn jemand einmal die Grenze der Legalität überschritten hat, sinkt die Hemmschwelle, es noch einmal zu tun. 

Sie tragen gelegentlich ein T-Shirt mit dem Aufdruck Monsterjäger. Überschreiten Sie damit nicht selbst eine Grenze? 
Ach, dieses T-Shirt habe ich mir vor einem Auftritt bei Markus Lanz gekauft. Der ehemalige EU-Parlamentarier Jorgo Chatzimarkakis wollte mit mir zusammen auftreten, um über die Plagiate in seiner Arbeit zu sprechen, hat aber vorher Muffensausen bekommen und abgesagt. Auf der Suche nach einem Hemd habe ich einen O2-Mitarbeiter getroffen, der ein Firmen-T-Shirt mit dem Aufdruck „Monsterjäger“ trug. Das hat mir so gut gefallen, dass ich es ihm auf der Stelle abgekauft habe, ungewaschen und Second Hand.   

Warum?
Ich werde sonst immer als Plagiatsjäger bezeichnet. 

Martin Heidingsfelder / Dirk Messberger

Aber Monsterjäger suggeriert, dass es Ihnen darum geht, Politiker „zur Strecke zu bringen“, wie Sie selber schon mal in einem Interview gesagt haben. Ist das Ihre Motivation? 
Nein, ich mache diesen Job jetzt seit mehr als acht Jahren, seit ich zusammen mit anderen den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg habe auffliegen lassen. Inzwischen ist eine gewisse Professionalität eingetreten. Es ist nicht so, dass ich nicht Feuer und Flamme für – oder besser: gegen – Plagiate wäre. Aber das ursprüngliche Ziel der Jagd auf Politiker ist dem ökonomischen Ziel gewichen. Ich verdiene mein Geld mit dieser Arbeit. 

Was zahlen Ihnen Ihre Auftraggeber denn?
Ich nehme 200 Euro pro Stunde.  Ich setz mich unter Druck, in dieser Zeit so viel abzuliefern wie möglich. Das ist, als ob Sie im Akkord ein großes Grab schaufeln. 

Sie müssen  seitenweise wissenschaftliche Literatur kopieren und digitalisieren, um die Stellen auf mögliche Überschneidungen mit anderen Texten im Internet abzugleichen. Ist das nicht eigentlich ziemlich langweilig?
Ja, das stimmt. Aber  ich versuche, diese einfachen Arbeiten an Freunde zu delegieren. Ich besorge die Doktorarbeiten und die wissenschaftlichen Quellen und lese die selber. Mit lesen kommen Sie viel weiter, als wenn Sie es nur digital prüfen. Es ist ein Märchen, zu glauben, dass man Plagiate nur mit Software findet. 

Im Fall Giffey hat eine Kollegin von der Welt die Doktor-Arbeit gelesen und herausgefunden, dass die Familienministerin mit ihrer Arbeit 2010 nur beweisen wollte, dass sie einen tollen Job als Europa-Beauftragte des Bezirks Neukölln gemacht hat. Ist das nicht viel entlarvender? 
Klar, Arbeiten, die geschrieben werden, um etwas über sich selbst herauszufinden, hat man bei Politikern häufiger. Es gibt gleich mehrere Politiker der CSU,  die wie Verkehrsminister Andreas Scheuer über die CSU promoviert haben. Wenn Sie diese Arbeiten nach ihrem Inhalt beurteilen, sagen Sie: „O, wie flach!“ 

Merken Sie schon beim Lesen, dass etwas nicht stimmen könnte?
In über 90 Prozent der Arbeiten liegt nichts Auffälliges vor. Aber wenn doch, fällt mir das tatsächlich manchmal schon beim ersten Durchlesen auf. Mir geht es wie dem Adler, der über eine wunderschöne Landschaft fliegt. Ich sehe nicht die Blumen, ich sehe nur das Murmeltier, weil es das Fressen ist. 

Und was passiert dann? 
Dann muss der Kunde entscheiden, ob er bereit ist, Geld für die Fehlersuche zu investieren. Plagiate finde ich in der Regel über Zitierfehler. Leute, die aus anderen Büchern abschreiben, nehmen es mit den Anführungszeichen nicht so genau. Die finden eine schöne Formulierung und geben die als ihre eigene aus – nach dem Motto: Wird schon keiner merken. 

Sie waren als American Footballer mal Profisportler. Hat der Footballspieler etwas mit dem Plagiatsjäger gemein? 
Ich war Sportsoldat bei der Bundeswehr und Footballer bei einem sehr kleinen Verein. Als Profi würde ich mich nicht bezeichnen. Kompetitiv zu sein, ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. 

Gerade haben Sie den Berliner CDU-Politiker Frank Steffel zu Fall gebracht. Wer hat Sie beauftragt?
Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich auf Frank Steffel aufmerksam geworden bin. Ich habe mir in diesem Fall einen Auftraggeber gesucht, von dem ich wusste, er könnte ein Interesse daran haben. 

Lassen Sie mich raten: Es war ein Partei-Kollege von Frank Steffel?
Das Parteibuch hatte in diesem Fall keine Rolle gespielt. Es war eine aufrechte Persönlichkeit, der jede Art von Betrug zuwider ist. 

Welches Interesse haben die Auftraggeber sonst?
Das ist ganz unterschiedlich. Im juristischen Bereich kommt es vor, dass sich Mandanten  von Anwälten nicht richtig bedient oder verraten fühlen. Da geht es um Verletzungen. Die Juristen bekommen dann eben die Quittung. 

Und in der Politik?
Da ist es ganz ähnlich. Beliebte Opfer sind Politiker, die Wasser predigen, aber Wein trinken. Die nicht die sind, die so vorgeben, zu sein. Wenn dieser FDP-Lindner zu den Kids von Fridays for Future sagt, sie sollten die Arbeit mal den Profis überlassen, kann ich nur müde lächeln. 

Warum?
Das sind keine Profis, das sind Clowns oder Politiker-Darsteller. 

Schwarze Schafe gibt es überall. Kann man alle Politiker über einen Kamm scheren? 
Nein, natürlich nicht. Aber für eine ausführliche Differenzierung fehlt  hier der Platz.

Müssen Sie nicht fürchten, dass Sie nur instrumentalisiert werden, um irgendwelche privaten Rechnungen zu begleichen?
Es kommt schon mal vor, dass ich mäßigend auf die Auftraggeber einwirke, wenn ich ihren Eifer für übertrieben halte. Wenn sich eine Ehefrau bei ihrem Ehemann für den Seitensprung mit einer 15 Jahre jüngeren Geliebten revanchieren will, dann versuche ich, ihr das auszureden – auch im Interesse der gemeinsamen Kinder. 

Aber wenn der Autor der Doktor-Arbeit so prominent ist wie  – sagen wir – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), dann überlegen Sie doch nicht zweimal, oder?
Den Söder habe ich schon durch. Ich mache diesen Job auch nicht, um selbst berühmt zu werden. Ich habe ja schon einen Namen. Ich mache es nur noch für Geld. 

Warum wird die Arbeit der Plagiatsjäger nur dann zur Kenntnis genommen, wenn es sich bei den Opfern um Politiker handelt?
Ich sehe da gar keinen Unterschied zu Unternehmern oder Juristen. Es hängt nur davon ab, ob es Personen des öffentlichen Lebens sind. Und Politiker stehen nun mal im Rampenlicht. 

Die Fallhöhe ist größer?
Kann ich so nicht sagen. Ursula von der Leyen ...

... die auch des Plagiats überführt wurde, die ihren Doktortitel aber behalten durfte
...
die Uschi steht da wie aus Beton. Neben ihr könnte eine Atombombe einschlagen, ihre Frisur säße noch immer, und sie säße immer noch auf ihrem Ministerthron. Trotzdem spielt die Öffentlichkeit eine große Rolle. 

Warum?
Politiker kann man nur durch Öffentlichkeit zu Fall bringen. Stellen Sie sich vor, kein Journalist hätte bei der FU Berlin angerufen, und der Fall Steffel wäre nicht publik geworden. Der Mann hätte heute noch seinen Doktortitel. 

Aber der Tipp kam doch von Ihnen, oder?
Es wussten ein halbes Jahr vorher mehrere Leute, Plagiatssucher und Wettbewerber, dass ich an dieser Arbeit dran bin. Jedenfalls habe ich nicht als erster die Presse über den Fall informiert. 

Warum ist es eigentlich so schlimm, wenn Politiker der Schummelei bei ihrer Promotion überführt werden? Ist es nicht viel wichtiger, dass sie ihren Job gut machen? 
Nehmen Sie die FDP-Abgeordnete Silvana Koch-Mehrin, die ihren Doktor-Titel 2011 verlor, nachdem ihr Plagiate nachgewiesen wurden. Hat sie im EU-Parlament einen guten Job gemacht? Ihre niedrige Anwesenheitsquote dort gilt als legendär. Dazu hatte die dreifache Mutter hohe Nebeneinkünfte, die Akademiker ohne Doktor-Titel nicht so häufig erreichen. Sie sehen, ja – es fällt ins Gewicht. Wer viel Geld einnimmt auf Kosten der Steuerzahler, von dem darf man Ehrlichkeit, Redlichkeit und Fleiß erwarten. 

Täuscht der Eindruck, oder werden Politiker von der CDU/CSU und von der FDP häufiger durchleuchtet als andere?
Nein, die Aufträge gehen durch die ganze Bank. 

Man hat noch nie davon gehört, dass mal ein Linker aufgeflogen ist. 
Ich habe aber schon Arbeiten von Linken und Grünen geprüft. Ich weiß von einem Plagiatsfall einer linken Politikerin, der ist aber nicht publik geworden. 

Meinen Sie Sahra Wagenknecht?
Nein, es war ein deutlich kleineres Licht. 

Vielleicht arbeiten Linke und Grüne gewissenhafter. Oder trauen sie sich nicht mehr zu schummeln, weil sie wissen, dass Plagiatsjäger den  Betrug entlarven könnten?
Auf jeden Fall. Das Verdienst der Plagiatsforscher für die Wissenschaft sollte nicht unterschätzt werden. Ich werde inzwischen sogar von Universitäten beauftragt. Während ich die Doktorarbeit von Frank Steffel durchleuchtet habe, habe ich eine zweite Arbeit im Auftrag der FU Berlin geprüft. Diese Fälle bleiben natürlich alle unter der Decke. 

Doktorväter trauen ihren eigenen Doktoranden nicht?
Ich weiß nicht, ob der Auftrag von einem Doktor-Vater stammte. Aber die Email trug den Briefkopf der FU Berlin. Manchmal trauen sich die Doktoranden auch selber nicht. Dann beauftragen sie mich, ihre Arbeit als Lektor gegenzulesen. Es gibt viele Leute, die Angst haben. Diese Angst ist Teil des Geschäftes. 

Was Sie machen, gefällt nicht allen. Bekommen Sie Drohungen? 
Ja, gelegentlich werde ich auch beschimpft. Gerade gestern habe ich zwei Stunden lang Anfragen beantwortet. Ich musste manchen Leuten klar machen, dass ich nicht mit dem Fall Giffey betraut war. Ich habe nur das Vroniplag Wiki gegründet, auf dem die Plagiate im Fall Giffey veröffentlicht wurden. 

Die Promotion der Bundeskanzlerin haben Sie auch schon geprüft. War alles einwandfrei? 
Es war eine Doktorarbeit über ein physikalisches Thema. Ehrlich gesagt, habe ich kaum etwas verstanden. 

Glück für die Kanzlerin?
Ich konnte auch keine Text-Überschneidungen finden. Allerdings hatte ich auch nur ein begrenztes Budget von 1500 Euro. Da ist halt schnell Schluss. Sie können sich vorstellen, was das bedeutet, oder? 

Die große Prüfung kommt erst noch? 
Ich kriege seit der Flüchtlingskrise viele Mails aus dem rechten Lager, ich solle doch mal „die Merkel“ prüfen. Ich sage denen immer: „Wenn Sie Geld überweisen, prüfe ich weiter.“ 

2005 haben Sie für Gerhard Schröder Wahlkampf gegen Angela Merkel gemacht. Können Sie da noch unparteeisch prüfen?
Ja, ich bin zwar kein Fan von Merkel, aber wie besonnen sie in der Flüchtlingskrise gehandelt hat, das verdient Respekt. Aber Fragen der Sympathie dürfen bei meiner Arbeit keine Rolle spielen. Wenn ich prüfe, geht es mir allein um die akademische Redlichkeit. Ich will ja für den Kunden nur das Beste.

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