Vorstoß von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) - Müssen Ärzte Abtreibung lernen?

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) fordert, die verschiedenen Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen sollten zur Ausbildung von Ärzten gehören. Das Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) sieht die Sache anders: Der Bund hat in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung keine Regelungskompetenz, erklärt das Ministerium. Zudem darf niemand verpflichtet werden, an Abtreibungen teilzunehmen. Welches Problem will die Grünen-Politikerin mit ihrem Vorstoß lösen?

Will Polarisierung statt Kompromiss in einer der schwierigsten Fragen unserer Rechtsordnung: Familienministerin Lisa Paus / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Im Interview mit dem Tagesspiegel wird Familienministerin Lisa Paus vorgehalten, es gebe im ländlichen Raum zu wenig  Ärzte, die Abtreibungen vornehmen. Daraufhin erklärt die Grünen-Politikerin, wegen dieser Lage sei es wichtig, dass nach dem Kippen des Werbeverbots für Abtreibungen nun „weitere Schritte folgen“. Dazu müsse gesichert werden, dass die „verschiedenen medizinischen Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen für Ärztinnen und Ärzte zur Ausbildung gehören“. Darüber sei sie mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbacht im Gespräch. Doch offenbar ist der SPD-Politiker und Kollege am Kabinettstisch der Ampel in dieser Sache nicht ganz auf ihrer Linie. 

In der vergangenen Legislaturperiode hatte bereits die Große Koalition ein „Konzept zur Fortentwicklung der Qualifizierung von Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen“ vorgelegt. Diese siebenseitige Problemanalyse, die der Redaktion vorliegt, stellt fest, es gelte auch für Medizinstudenten das Gebot, „dass niemand verpflichtet ist, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken“. Dementsprechend würden einige Hochschulen anbieten, im Rahmen des Praktischen Jahres auf freiwilliger Basis operative Schwangerschaftsabbrüche zu verfolgen. Das Thema aber sollte wegen der Problematik „vorrangig in der Fort- und Weiterbildung“ aufgegriffen werden, heißt es in dem Papier. Damit aber ist die Bundesregierung raus. „Für die ärztliche Fort- und Weiterbildung hat der Bund keine Regelungskompetenz“, erklärt das Bundesgesundheitsministerium auf Cicero-Anfrage und erteilt damit dem Ansinnen der Familienministerin zunächst eine Absage.

Zur Frage, wer die Inhalte der Ausbildung von Ärzten festlegt, erklärt das Ministerium: „Mit der Approbationsordnung für Ärzte regelt der Bund die Mindestanforderungen an die ärztliche Ausbildung.“ Die konkrete Ausgestaltung obliege den Hochschulen. Nun hat der Medizinische Fakultätentag den „Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin“ (NKLM) erarbeitet, der im Zusammenhang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch Lernziele, Handlungs- und Begründungswissen beschreibt. Im Zuge der aktuell laufenden Reform der ärztlichen Ausbildung ist vorgesehen, den NKLM zwingend vorzugeben. Doch eine Auswertung des Ministeriums hat ergeben, „dass alle medizinischen Fakultäten das Thema Schwangerschaftsabbruch im Rahmen des Fachs ‚Frauenheilkunde und Geburtshilfe‘ im Pflichtcurriculum behandeln“, heißt es in dem besagten Konzept der Vorgängerregierung. Offenbar liegt also keine Handlungsnotwendigkeit in welcher Form auch immer vor. Worum geht es Paus?

Zahl der Abtreibungen sinkt in Deutschland

Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland 1089 „Meldestellen, also Kliniken und Arztpraxen, in denen grundsätzlich Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden“. Zudem, erklärt die Behörde, „melden zentrale ambulante OP-Praxen hier zum Beispiel für mehrere Arztpraxen mit“. Sind das nun zu viele Stellen oder zu wenige? Welche Vergleichsgröße ist angemessen? Fachleute erklären zudem, dass es nicht nur Gynäkologen, sondern allen Ärzten im Prinzip gestattet sei, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Nur zwingen kann man niemanden. Es bleibt eben auf ewig ein großes Dilemma.

Gegen ihren Willen soll keine Frau in Deutschland ein Kind austragen müssen. Das ist der liberale Grundkonsens, den der Bundestag 1995 in der Neufassung des Paragrafen 218 festgeschrieben hat – und der auch eine weitverbreitete Meinung in der Bevölkerung spiegelt. Dass dies ein schwieriger Kompromiss ist, ist klar; manche hielten das für eine zu weitreichende  Lösung. Neben anderen hatte die Katholische Kirche etwa gegen diese Regelung votiert. Auf der anderen Seite bleibt deswegen Abtreibung in Deutschland eine Straftat, weil bei einer Abtreibung immer ein Mensch stirbt. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil von 1993 dem Staat auferlegt, auch für den Schutz des ungeborenen Kindes zu sorgen. Die Rechtslage ist im besten Sinne eine salomonische Lösung.

Eine der schwierigsten Fragen unserer Rechtsordnung

Warum um Himmels willen kündigt die Bundesregierung scheibchenweise diesen mühsam errungen Kompromiss in einer der schwierigsten Fragen unserer Rechtsordnung auf? Wohin ein polarisierter Streit um diese Fragen führen kann, zeigt die Situation in den USA. Dort ist der Konflikt um den Schwangerschaftsabbruch zu einem giftigen und falschen Glaubenskrieg eskaliert, der weder den betroffenen Frauen noch den Kindern gerecht wird. In diesem Krieg wird es nie Gewinner und Verlierer geben, weil er allein ideologisch mit Schwarz-Weiß-Schablone geführt wird – und dem tatsächlichen Problem nicht gerecht wird.

Warum also kann die Bundesfamilienministerin (!) und Bundesfrauenministerin (!) Lisa Paus nicht in ihren Äußerungen diese zwei Seiten einer großen und schweren Medaille würdigen? Warum schwingt in ihren Äußerungen mit, Abtreibungen seien etwas Wünschenswertes? Das gibt doch weder die geltende Gesetzeslage noch der gesunde Menschenverstand her. Seit 25 Jahren sinkt die Zahl der Abtreibungen in Deutschland auf heute rund 100.000. Ist es zu viel verlangt von der Ministerin, dies als positive Entwicklung zu begrüßen und die weiter hohe Zahl zu beklagen?

Die kluge Doppelbotschaft lautete bisher: Abtreibungen müssen zwar ermöglicht, aber durch Beratung, Hilfe und Unterstützung minimiert werden. Verlässt die grüne Bundesministerin diesen Mittelweg? Eine einseitige Haltung ist genau das fatale Einfallstor für die sogenannten „radikalen Lebensschützer“, deren Existenz einige Sozialdemokratinnen und Grüne gern beklagen. Sie haben es selbst in der Hand, für Mäßigung zu sorgen. Oder will die Ampel die Polarisierung in dieser Frage auf Kosten von Frauen und Kindern?

Seit 30 Jahren besteht der Verein „Hilfe zum Leben“ im baden-württembergischen Pforzheim. Der Vorsitzende Reinhard Klein hält die Äußerungen der Ministerin für „sehr schräg“ und „völlig am Thema vorbei“. Nach seiner Erfahrung wollten die meisten Frauen ihre Kinder gerne austragen und bekommen, nur fehle es an Hilfe und Unterstützung. Nach seiner Erfahrung seien es oft die Väter, die den schwangeren Frauen zu wenig beistünden. „Wir wollen Frauen helfen und respektieren auch ihre Entscheidung gegen das Kind“, so Klein. Manche Frauen kämen auch nach einer Abtreibung in die Beratung, und auch dann sei der Verein für die Betroffenen mit Rat und Tat zur Stelle. Klein fordert von der Politik „mehr Unterstützung für Frauen“, anstatt sich um die Ausbildung von Ärzten zu sorgen.

Anzeige