Verfassungsgericht gibt der AfD recht - Niederlage für den neuen Ständestaat

Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen war gewarnt, doch sie ließ sich nicht vom Paritätsgesetz abbringen. Nun heißt der strahlende Sieger Björn Höcke, der dagegen geklagt hatte. Nächste Station: Potsdam. Denn auch in Brandenburg will die AfD die Regelung zu Fall bringen.

Parität im brandenburgischen Landtag – kommt die AfD auch hier mit ihrer Klage durch? / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Es war angesichts der geltenden Rechtslage so absehbar, wie es nur sein konnte. Der Weimarer Verfassungsgerichtshof hat das Paritätsgesetz für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt. Ausgerechnet der als Verfassungsfeind geltende Chef der AfD-Thüringen, Björn Höcke, dürfte heute die Sektkorken knallen lassen.

Trotz zahlreicher rechtskundiger Mahnungen ließ sich die rot-rot-grüne Koalitionsmehrheit in Thüringen nicht davon abbringen: Sie beschloss eine als Paritätsgesetz bekannt gewordene Änderung des Landeswahlgesetzes. Fortan sollte es die Parteien zwingen, ihre Landeslisten paritätisch mit beiden Geschlechtern zu besetzen. Gedacht war die Maßnahme als Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung – für Frauen. Die AfD-Landtagsfraktion klagte dagegen.

Das Paradoxon des „dritten Geschlechts“

Wie vertrackt die Idee von Anfang an war, wurde schon daran deutlich, dass für das dritte Geschlecht, die „Diversen“, eine geradezu reaktionär anmutende Notlösung gefunden werden musste. Während das Bundesverfassungsgericht noch im Jahr 2017 zum Schutz der geschlechtlichen Identität die Anerkennung eines „dritten Geschlechts“ dekretierte, hätten sich die entsprechenden Bürger in Thüringen paradoxerweise ganz vorsintflutlich entweder zum „Mann“ oder zur „Frau“ erklären müssen, um auf einer Landesliste kandidieren zu können. 

Indes zeigt genau dieses Paradoxon das eigentlich Problem des Paritätsgesetzes wie im Brennglas. Werden in einer Demokratie Bürger nicht mehr neutral als Bürger mit gleichen Rechten, sondern als Angehörige einer Gruppe mit bestimmten Merkmalen klassifiziert, lugt der gute alte Ständestaat aus allen Ritzen. Behauptet man zugleich, dass das Geschlecht nichts anderes sei als eine soziale Konstruktion, droht das staatspolitisch repräsentative Chaos.

Wenn die „geschlechtliche Identität“ nichts mit dem Sexus zu tun hat

Denn wenn das, was wir „geschlechtliche Identität“ nennen, mit dem Sexus so rein gar nichts zu tun hat, gibt es auch kein Argument mehr, wenn Menschen sich in erster Linie als Katholiken, Intellektuelle, Foucaultanhänger oder Merlotliebhaber verstehen und aus dieser Identität bestimmte Rechte für sich ableiten wollen. Nicht ohne Grund kennt das Internet inzwischen dutzende Geschlechter. Daraus lassen sich mit leichter Hand auch tausende machen.

Genau in dieser Hinsicht hat das Weimarer Verfassungsgericht der Legislative Thüringens nun die Leviten gelesen: „Die Abgeordneten des Thüringer Landtags repräsentieren das Wahlvolk grundsätzlich in dessen Gesamtheit, nicht als Einzelne. Hingegen zielt die Sicherung der Wahl als Integrationsvorgang auf die Integration politischer Kräfte, jedoch nicht auf eine Integration von Frauen und Männern als Geschlechtergruppen.“

Das Paritätsgesetz als Eingriff in die Freiheit der Wähler

Darüber hinaus stelle das Paritätsgesetz sowohl einen Eingriff in die Freiheit der Wähler wie der Parteien dar, die aus ihrer Sicht geeigneten Kandidaten zu wählen. Das Verfassungsgericht erinnert damit daran, dass nicht die Parteien, sondern die Wahlbürger den Souverän bilden. Zwar dienen die Parteien in einer Massengesellschaft als vermittelnde Integrationskräfte, allerdings steht es ihnen nicht zu, die Rechte des Souveräns, dem sie letztlich dienen, in verfassungswidriger Weise einzuschränken. Es ist bemerkenswert, dass darauf überhaupt hingewiesen werden muss.

Die rot-rot-grüne Mehrheit im Landtag von Thüringen hat dem demokratischen Verfassungsstaat mit seinem Paritätsgesetz einen Bärendienst erwiesen – und zwar mit Ansage. Nun kann ausgerechnet Björn Höcke von einem „Sieg für die Demokratie und den Verfassungsstaat“ fabulieren – und zwar mit Recht. Auch im Land Brandenburg wurde ein Paritätsgesetz verabschiedet. Auch dort klagt die AfD dagegen. Die mündliche Verhandlung ist auf den 20. August 2020 angesetzt.  

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