Sarrazin-Ausschluss aus der SPD - Die späte Emanzipation der Ursula S.

Während für ihren Mann Thilo der Kampf mit den Genossen noch lange nicht vorbei zu sein scheint, macht Ursula Sarrazin kurzen Prozess: Nach dem „absurden Ausschluss“ ihres Gemahls aus der SPD ist sie aus der Partei ausgetreten. Für den späten Akt der Rebellion gibt es einen guten Grund.

Thilo und Ursula Sarrazin gehen mit ihren Parteibüchern unterschiedlich um / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Da will die SPD Thilo Sarrazin aus der Partei ausschließen, und dann das: Sarrazin findet sein Parteibuch nicht mehr. Nein, es ist kein Witz. Er habe es verloren und könne es „trotz intensiver Suche nicht auffinden“. So hat er es im Januar behauptet, als die SPD einen dritten Anlauf zur Entsarrazisierung gestartet hatte. Es war wohl seine Art, den Genossen den Stinkefinger zu zeigen: So ganz werdet ihr mich nie los.
 
Jetzt kann die SPD das Kapitel Sarrazin vorerst beenden. Vor einigen Tagen hat das oberste Parteigericht beschlossen, den früheren Berliner Finanzsenator und Bundesbanker aus der Partei zu werfen. Die SPD-Spitze wirft Sarrazin vor, mit rassistischen und islamfeindlichen Thesen das Ansehen der Partei zu schädigen. Mit seinem 2018 erschienenes Buch „Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ hatte Sarrazin der Bundesschiedskommission der SPD anscheinend endlich genügend Gründe geliefert, ihn rauszukegeln.

Sarrazin gibt nicht auf

Sein Parteibuch hat er auch abgegeben, wie eine Anfrage bei der SPD-Pressestelle ergab. Nein, es ist nicht das alte. Das gilt offiziell immer noch als verschollen. Als die Partei vom Verlust erfuhr, verdonnerte sie ihn umgehend, ein neues zu beantragen, um dasselbe gleich wieder prophylaktisch zu konfiszieren.
 
Doch mit seinem vielleicht verschollenen Parteibuch ist es wie mit seiner Mitgliedschaft. Ganz vorbei ist die Chose nicht: Sarrazin hat angekündigt, er werde gegen den Parteiausschluss in Berufung gehen. Man kann das starrsinnig finden. Aber einer wie Sarrazin gibt nicht auf.

„Absurder Ausschluss“

Das unterscheidet ihn von seiner besseren Hälfte. Ursula Sarrazin, geborene Breit, Tochter des ehemaligen DGB-Vorsitzenden Ernst Breit, seit 40 Jahren Mitglied der SPD, hat ihr Parteibuch abgegeben. Und zwar freiwillig. Ein Brief an den Parteivorstand der SPD lag anbei. Ursula Sarrazins Anwälte haben ihn auch an Pressevertreter verschickt. Als Grund für ihren Parteiaustritt nennt sie „den absurden Ausschluss meines Mannes Thilo Sarrazin.“   
 
Nun kann man von Sarrazins Büchern halten, was man will. Aber „absurd“ ist sein Ausschluss nicht. Denn seine kruden Thesen über Muslime passen dann doch besser zur Eugenik der Nationalsozialisten als zur Sozialdemokratie. Wer in seinem Buch Sätze schreibt wie „Man könnte ja auf die Idee kommen, dass auch Erbfaktoren für das Versagen von Teilen der türkischen Bevölkerung im deutschen Schulsystem verantwortlich sind“, der muss sich den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen.

„Du armseliges Opfer“

Doch Selbstkritik ist nicht seine Stärke. Das verbindet ihn mit seiner Frau. Auch sie sucht die Schuld lieber bei anderen als bei sich selbst. Auch sie hat ein Buch geschrieben. Es heißt „Hexenjagd“ und erzählt von „einer beispiellosen Mobbingkampagne“, die sie in den vorzeitigen Ruhestand als Grundschullehrerin trieb. 2015 hat der Bundesgerichtshof den Vertrieb gestoppt. Sarrazin habe die Persönlichkeitsrechte einer namentlich genannten Zweitklässlerin verletzt, deren Defizite sie ausführlich beschrieb, urteilte das Gericht. 
 
Autoritär. Unbeherrscht. Unbelehrbar. Das sind Attribute, die ihr ihre Gegner verpasst haben. Sie unterstellen ihr, sie habe einem Jungen mit einer Blockflöte auf den Kopf gehauen hat oder ein Kind „du armseliges Opfer“ genannt. Sie selbst hat das bestritten. Dass sie mit ihrem Unterrichtsstil angeeckt ist, ist aber aktenkundig. Eltern hat sie Unterlassungserklärungen per Anwalt geschickt. Über Vorgesetzte hat sie Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht. Ihr Anwalt hat sogar die Bildungsverwaltung verklagt.

Opfer einer Verschwörung? 

Als Opfer einer Verschwörung, so sieht sie sich selbst. Tatsächlich kann man sich fragen, ob sie mit in Sippenhaft genommen wurde, als ihr Mann durch seine „Sachbücher“ zum Unberührbaren wurde. Wer Sarrazin furchtbar findet, findet sie auch furchtbar. Und spricht da nicht auch ihr Mann aus ihren Worten, wenn sie jetzt im Brief an den SPD-Parteivorstand schreibt: „In der SPD wird nur noch zu hören sein, dass Migration grundsätzlich gut ist, da sie auch so vielfältig ist, dass der Islam harmlos und gut integrierbar sei, wenn wir uns nur genug anstrengen“?

Eines unterscheidet sie dann aber doch von ihrem Mann. Sie hat das Parteibuch freiwillig abgegeben  – und nicht, weil sie es muss. Wer will, kann das als Akt der Befreiung sehen. In erster Linie von der SPD. Aber ein bisschen auch von ihrem Mann. Bei diesem Paar lässt sich die Politik gar nicht mehr vom Privatleben trennen. 

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