Streit in der Union - Die goldenen Jahre der Merkel-Ära sind vorbei

Die CDU zerlegt sich derzeit selbst. Die Ursachen dafür liegen in strategischen Fehlern der Vergangenheit. Nun ist die Partei orientierungslos und flirtet in ihrer Hilflosigkeit ungeniert mit dem Polithasardeur Söder. Zeit für Schadensbegrenzung.

Angela Merkel spricht zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes/ dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Unio“ bedeutet im Lateinischen „Einheit“ oder auch „Vereinigung“. Mit der Einheit der Union ist es nicht mehr weit her. Doch eine Vereinigung ist sie nach wie vor. Eine Vereinigung braucht jedoch ein Ziel. Sonst muss sie sich nicht vereinen. Das gemeinsame Ziel jedoch ist der Union abhandengekommen. Was die Union allenfalls noch zu einer Union macht ist das Streben nach Machterhalt. Das funktionierte viele Jahre. Auf Dauer ist das aber zu wenig.

Nach Glück kommt Pech 

Nun ist es billig, den aktuellen Leitungsgremien der Christdemokraten Versagen vorzuwerfen. Obwohl sie versagt haben. Sogar jämmerlich. Doch dieses Versagen allein erklärt nicht die Krise, in der sich die CDU aktuell befindet. Die Probleme, die aktuell hochkochen, schwelen seit Jahren. Erst hat man sie versucht zu ignorieren. Dann hat man sich alle Mühe gegeben, sie wegzudrücken. Und nun holen einen die Fehler der Vergangenheit zur Unzeit ein. Oder wie einst Jürgen Wegmann sagte: Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.

Wobei das so ganz auch nicht stimmt. Denn viele Jahre hatte die Union Glück. Unverschämtes Glück sogar. Es waren die goldenen Jahre der Merkel-Ära. Deutschland ging es oberflächlich betrachtet gut. Die Wirtschaft florierte. Die Steuereinnahmen sprudelten. Das alles war kein Verdienst der CDU, sondern eher der Regierung Schröder. Aber Geschichte ist nicht immer gerecht. Die Union profitierte. Bei der SPD begann der Abstieg.

... mein Platz 

Doch Erfolge machen blind. Und Dauererfolg dauerblind. Denn er verleitet dazu, Ursache und Wirkung miteinander zu verwechseln. Und so kam es, dass sich spätestens mit Merkels dritter Amtszeit im Adenauer-Haus die Ansicht durchsetzte, der eigene Erfolg beruhe irgendwie auf eigenen Leistungen. Hatte man nicht die letzten gesellschaftspolitischen Sprengfallen entschärft? War man nicht aus der Atomkraft ausgestiegen? Hatte man nicht die Wehrpflicht faktisch abgeschafft? Hatte man nicht einen Mindestlohn eingeführt? Und Grundlagen für eine Familienpolitik gelegt, die die urbane Mittelschicht als modern empfindet? Was konnte also noch schiefgehen? Die Zukunft sollte zeigen: Eine ganze Menge.

Denn zugleich hatte man Anleihen bei der Sprache und Denkart der politischen Linken genommen. Vermutlich in der Absicht, sie mit dieser Umarmung zu erdrücken. Bei der labilen SPD gelang das sogar. Doch die Grünen erstarkten. Der Grund dafür ist einfach. Wer aus strategischen Erwägungen heraus die politische Mitte besetzen möchte, muss den Gegner von dort verdrängen. Also zuspitzen, polemisieren und abgrenzen. Bei der CDU begnügte man sich jedoch damit, lediglich die Definition von Mitte nach links zu verschieben. Dumm nur, dass da schon jemand saß – die Grünen nämlich.

Das Minusgeschäft der CDU

Seitdem haben wir es mit einer gespaltenen Union zu tun. Der Union nämlich, die an die Fata Morgana der modernen Großstadt-CDU glaubt. Und der anderen Union, die sich – vom Berliner Kreis bis zu den Merz-Fans – eine profilschärfere Partei wünscht.
Die traurige Botschaft: Beide Alternativen markieren das Ende vom Anspruch der Union die letzte Volkspartei zu sein. Man hat sich in eine Situation manövriert, aus der man nicht wieder herauskommen wird. Mit etwas mehr strategischem Weitblick hätte man den Schaden minimieren können. Gänzlich zu vermeiden war er nicht.

Denn dass ausgerechnet der CDU das Schicksal der eigentlich homogeneren SPD erspart bleiben sollte, war schon immer unwahrscheinlich. Doch Schadenbegrenzung wäre möglich gewesen. Etwa indem man Wähler nach links abgibt, um die eigene konservative Position zu konsolidieren und dennoch nach links koalieren zu können. So aber rückte man selbst nach links, entschloss sich aber zugleich die rechts verbliebenen Wähler strategisch auszugrenzen. Ein Minusgeschäft. Das Ergebnis: Weniger Wähler plus weniger strategische Optionen. Kein Meisterstück.

Es war einmal eine stolze Partei

Genau diese Fehlentscheidung der 2010er Jahre fällt der CDU nun zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt auf die Füße. Orientierungslos und programmatisch entkernte Partei lässt sie sich von einem politischen Hasardeur und prinzipienfreien Egoman vorführen. Söders ungenierter Linksschwenk hat einmal mehr unterstrichen, dass der Franke seine Überzeugungen zur Not schneller wechselt als seine Faschingskostüme. Dass er Teilen der CDU tatsächlich als Hoffnungsträger gilt, zeigt lediglich, in welchem Zustand sich die einst stolze Partei befindet. Man könnte darüber lachen. Doch selbst Unions-Skeptiker müssen angesichts der drohenden Alternativen mit Sorge auf diese Entwicklung schauen.

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