Streit über Kommissionsbericht zu Integration - „Viele Probleme sind untergewichtet“

Vergangene Woche wurde der Bericht einer Fachkommission der Bundesregierung zur Integrationsfähigkeit vorgestellt. Aber schon im Vorfeld gab es schwere Kritik an der Ausgewogenheit des Papiers. Auch die FDP-Politikerin Linda Teuteberg kritisiert im Interview den Kommissionsbericht als einseitig.

Die Kommissionsvorsitzenden Derja Caglar (SPD) und Ashok Sridharan, daneben Annette Widmann-Mauz (CDU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Linda Teuteberg, 39, ist Mitglied des Bundestags und dort migrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion.

Frau Teuteberg, die „Fachkommission der Bundesregierung zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit“ hat vor wenigen Tagen ihren Bericht vorgelegt. Als migrationspolitische Sprecherin der FDP haben Sie sich das 280-Seiten-Werk sicherlich schon durchgelesen. Ihr Fazit?

Der reine Seitenumfang lässt vermuten, dass hier eine umfassende Behandlung der Frage, wovon gelingende Integration abhängt, vorgenommen wurde.  Allerdings bleibt der Bericht an vielen Stellen hinter dem Notwendigen zurück. Er untergewichtet viele problematische Aspekte. Die Kommission hat, ziemlich irritierend, ihren eigenen Auftrag glattweg umdefiniert. Er lautete, „sich mit den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit zu befassen“. Sie distanziert sich gleich in der Einleitung davon. 

Inwiefern?

Man habe entschieden, vom Begriff der Integrationsfähigkeit Abstand zu nehmen, weil dieser eine Verengung darstelle und gar nicht plausibel gemessen und bestimmt werden könne. Damit wird infrage gestellt, ob es überhaupt eine Grenze der Integrationsfähigkeit geben könne. Als Anforderung an die aufnehmende Gesellschaft wird Integrationsfähigkeit durchaus behandelt, eine systematische Betrachtung etwaiger Voraussetzungen auf Seiten der Zugewanderten sucht man hingegen vergeblich. Insofern ist ein Teil des Arbeitsauftrages gar nicht wahrgenommen worden. Auch das Thema Zuwanderungssteuerung wollte man nicht aufnehmen. Der Bericht bleibt zudem in vielen Bereichen zu unkonkret, wo mehr Problembeschreibung und auch konkretere Handlungsempfehlungen nötig wären. So wichtig das Thema ist, so unbefriedigend ist das Ergebnis.

Es wurde, auch von Kommissionsmitgliedern selbst, die Kritik geäußert, das Gremium sei von der Besetzung her nicht ausgewogen, weil fast nur Befürworter von Migration darin vertreten seien. Sehen Sie das auch so?

Das Ergebnis lässt das vermuten. Die zahlreichen Sondervoten sind ein Indiz dafür, dass hier eine ziemlich apodiktisch auftretende Mehrheit einer Minderheit gegenüberstand. Ich würde aber nicht so weit gehen zu sagen, die Kommission sei gescheitert. Dissens und Meinungsverschiedenheiten sind ganz normal in der Demokratie und auch innerhalb einer Kommission. Das Spannende und Bezeichnende ist aber, in welchen Bereichen der Dissens besteht, was in den Konsensteil Eingang gefunden hat und was sich nur in abweichenden Voten wiederfindet.  

Sie haben den Streit in der Kommission gerade erwähnt. Da geht es strukturell vor allem darum, dass auf der einen Seite Praktiker stehen, die einen eher juristisch geprägten Blick auf Migration und Integration haben, und auf der anderen Seite Migrationsforscher, die eher aktivistisch geprägt sind. Nehmen Sie als Politikerin diesen Konflikt wahr?

Das schlägt sich deutlich im Ergebnis nieder. Beispielhaft dafür ist die Ablehnung des Vorschlages von Professor Thym durch die Mehrheit der Kommission, das Bekenntnis zur humanitären Zielrichtung der deutschen Asylpolitik um den Gesichtspunkt zu ergänzen, die Politik „dürfe“ auch darauf achten, dass über das Asylsystem nicht „in großem Umfang Personen ohne realistische Anerkennungschance“ faktisch einwanderten. Es ist ja schon eine sehr diplomatisch-zurückhaltende Formulierung, zu sagen, dass Politik das dürfe. Zuwanderungssteuerung und -begrenzung wird damit als legitimer Gegenstand demokratischer Auseinandersetzung und politischen Handelns in Abrede gestellt. Das zeigt schon, wie tendenziös der Bericht ist.

Das Thema Islam und Islamismus wird eher am Rande behandelt, obwohl es im Zusammenhang mit Integration und Integrationsfähigkeit sicherlich eine wichtige Rolle spielt. Geht es der Kommission darum, Konfliktlinien auszusparen?

Offenbar auch das. Ich finde, dass die Kommission in vielen Bereichen sehr unkonkret bleibt, auch wenn sie Schwierigkeiten wie Verteilungskonflikte anspricht. Es gibt ein Ungleichgewicht: In schwierigen Themenbereichen bleibt sie diffus und beschreibend und bei offensichtlich gefälligeren Themen macht man sehr konkrete Vorschläge. Man bleibt etwa die Antwort darauf schuldig, welche Folgen es für die Migrationspolitik haben muss, wenn die vorgeschlagenen Voraussetzungen für eine gelingende Integration – aus welchen Gründen auch immer – nicht beziehungsweise noch nicht zur Verfügung stehen. Die Kommission hat hier eine Chance vertan. 

Die vor 15 Jahren eingeführte Kategorie „Migrationshintergrund“ sei nicht mehr zeitgemäß, heißt es im Bericht. Stattdessen schlägt die Kommission vor: „Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen“. Sind solche „Umbenennungen“ sinnvoll? 

Linda Teuteberg (FDP) / Julia Zimmermann

Sprache ist wirkmächtig. Deshalb ist eine Debatte über Begriffe ebenso legitim wie sie gerade deshalb ergebnisoffen sein sollte. Ich frage mich aber, ob das die richtige Prioritätensetzung bei den aktuellen praktischen Herausforderungen bei Migration und Integration ist. Wenn dieselbe Kommission der Politik an anderer, entscheidender Stelle – bei der Frage nach Ordnung und Steuerung von Migration – einen „gesunden Pragmatismus“ empfiehlt und als Begründung sagt, dass man Migration nicht wirklich steuern könne, stellt sich schon die Frage, wie hier gewichtet wird und ob es den Aufwand lohnt, eine solche Statistikkategorie zu ändern. Und ob damit künftig nicht auch die Vergleichbarkeit statistischer Werte leidet. Der vorgeschlagene Begriff führt seinerseits zu neuen Problemen. Er ist sehr verallgemeinernd und er stellt auf die direkten Nachkommen ab, was ein schwieriges, weil unscharfes Kriterium darstellt. Eleganter wäre es, im Einklang mit internationalen Statistiken von „im Ausland Geborenen und ihren Kindern“ zu sprechen. Die Mehrheit der Kommission sperrt sich zudem dagegen, dass man sprachlich überhaupt unterscheidet zwischen legaler und illegaler Einwanderung. Zusammengefasst: Wenn wir über einen Begriff diskutieren, dann sollte er den Sachverhalt erhellen und nicht verdunkeln. Der neue Begriff trägt nicht zu mehr Klarheit bei. 

In dem Bericht heißt es: „Die Fachkommission wirbt dafür, dass das politische Bekenntnis zu Deutschland als Einwanderungsland in ein neues Verständnis von Deutschsein mit durchlässigeren Zugehörigkeitskriterien mündet, das gesamtgesellschaftlich getragen werden kann.“ Was meinen die Autoren damit? Worauf läuft das hinaus?

Das bleibt tatsächlich sehr wolkig. Meine Auffassung dazu ist: Die Verleihung der Staatsangehörigkeit ist Ergebnis und Ziel einer gelungenen Integration in die deutsche Gesellschaft. Sie ist keine Vorleistung, kein Vorschuss in der Hoffnung auf mögliche zukünftige Integrationsleistungen. Es darf keine Rabatte bei den Integrationsanforderungen wie Sprachkenntnisse, Bekenntnis zu und Achtung von Werte- und Rechtsordnung und dem Bestreiten des Lebensunterhaltes geben. Eine Rechtsordnung, die sich selbst ernst nimmt, darf keine Fehlanreize für die Missachtung ihrer selbst setzen. Ein Staat muss niemanden zu seinem Bürger erklären, der ihm nicht sagt, woher er kommt, wer er ist, wie er heißt. Identitätstäuschungen müssen spürbare Konsequenzen haben. Integrationsleistungen hingegen müssen mit der Perspektive der Einbürgerung einhergehen.

Ist die Migrationsforschung eine Elfenbeinturmwissenschaft? Wissen solche Forscher eigentlich Bescheid darüber, was in Neukölln oder Marxloh auf den Schulhöfen und auf den Straßen los ist? 

Darüber werde ich nicht pauschal urteilen. Aber die Problembereiche kommen im Ergebnis viel zu kurz. Einerseits ist es richtig, dass nicht von einer alleinigen Bringschuld der Zuwanderer ausgegangen wird. Aber die Kommission neigt mit ihren Mehrheitsempfehlungen dazu, eine Bringschuld wiederum nur beim Staat vorauszusetzen. Das ist weder realistisch noch angemessen. Es geht nicht darum, einen Wunschzettel an die Aufnahmegesellschaft auszustellen. Zudem hat mich am Bericht sehr geärgert, dass es als bloße „Wahrnehmung“ der Juden in Deutschland dargestellt wird, dass eine Zunahme von muslimischem Antisemitismus zu verzeichnen ist – und zur Begründung auf die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität der Polizei (PMK) verwiesen wird. Die Polizeistatistik ordnet unklare Fälle pauschal dem Rechtsextremismus zu, so dass diese Zahlen tatsächlich kein Gegenargument zur Wahrnehmung jüdischer Mitbürger darstellen. Es ist unangemessen, hier Probleme nicht beim Namen zu nennen. 

Der Bericht betont sehr stark, was der deutsche Staat, was die die Gesellschaft für eine gelingende Integration leisten muss. Sehen Sie auch eine Bringschuld der Migranten – oder ist das ein schon veralteter Begriff?

Integration beinhaltet natürlich auch eine Bringschuld von Migranten, etwa was die Akzeptanz der Rechts- und Werteordnung, die Bereitschaft zum Erlernen der deutschen Sprache und zum Bestreiten des eigenen Lebensunterhaltes betrifft. Die Geltung unseres Grundgesetzes muss sich auch in der Realität auswirken, und ihre Durchsetzung muss zu jeder Zeit und an jedem Ort in unserem Land gewährleistet sein. Da stellen sich derzeit schon viele Fragen: Wie geht es den Lehrern, die zum Beispiel im Unterricht mit antisemitischem Gedankengut konfrontiert sind? Woher bekommen sie Rückhalt? Wie können wir sie darin unterstützen, Meinungsfreiheit und Toleranz im Unterricht durchzusetzen beziehungsweise zu fördern, auch wenn das als Provokation empfunden wird? Wir brauchen schon gute Rahmenbedingungen für Integration, aber nicht jeder Misserfolg und nicht jede Schwierigkeit ist auf Benachteiligung oder Diskriminierung zurückzuführen. Jeder Einzelne trägt auch und zuallererst Verantwortung.

In Berlin wird nun über eine Migrantenquote im öffentlichen Dienst diskutiert. Ist so etwas sinnvoll? Fördert es nicht eher Neid in der Gesellschaft, wenn Migrationshintergrund plötzlich als Pluspunkt in einer Bewerbung gilt und sich andere benachteiligt sehen könnten?
 
Das ist kein geeignetes Instrument. Wir brauchen generell gute Aufstiegschancen, ein durchlässiges Bildungssystem und transparente Bewerbungs- und Besetzungsverfahren, damit Stellen und Ämter nach Befähigung und Eignung vergeben werden. Das gilt für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Es sollte nicht durch das Elternhaus vorherbestimmt sein, welche Chancen ein Mensch hat. Fähigkeiten und Einsatzbereitschaft jedes Einzelnen müssen entscheiden. Die Annahme, dass jede Art von Misserfolg strukturell bedingt und Ergebnis von Benachteiligung sei, bringt uns wirklicher Vielfalt und Gleichberechtigung nicht näher. 

Was muss Ihrer Ansicht nach passieren, damit Integration gelingt? Ist Integration überhaupt politisch steuerbar?

Damit Integration gelingt, bedarf es guter Rahmenbedingungen wie etwa einer guten Ausstattung der Bildungseinrichtungen oder einer klugen Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik. Dazu gehört auch, nicht die Geltung unserer Rechtsordnung in einzelnen Bereichen immer wieder in Frage zu stellen. Integration ist nur bedingt politisch steuerbar, das rechtfertigt aber weder Fatalismus noch die Bringschuld dem Staat zuzuschieben, wie der Bericht es immer wieder tut. Der Staat hat Aufgaben, aber die sind begrenzt, und jeder Einzelne muss auch etwas beitragen. Das gilt bei der Integration ebenso wie beim Thema Bildungserfolg. Wenn Integration gelingen soll, brauchen wir aber auch Akzeptanz für Migration. 

Wie kann das ermöglicht werden?

Akzeptanz für legale Migration bekommen wir nur, wenn wir zeigen, dass wir rechtsstaatlich konsequent sind und geltendes Recht durchsetzen, also illegale Migration begrenzen und auch unterbinden. Die Kommission hat ihren Auftrag ja eingeengt mit der Begründung, dass eine quantitative Grenze der Integrationsfähigkeit nicht bestimmbar sei. Dem widerspreche ich deutlich. Dass ein Phänomen schwierig zu bestimmen und dass es komplex ist, beweist ja nicht seine Nichtexistenz. Der Bericht ist insofern widersprüchlich, benennt er doch abstrakt das Bestehen von Verteilungskonflikten, zieht dann aber nicht die notwendigen Schlussfolgerungen.

Aber dann sind wir möglicherweise wieder bei der alten Diskussion, die beinahe das Bündnis zwischen CDU und CSU zum Einsturz gebracht hätte: Gibt es eine Zahl an Netto-Zuwanderung, ab der wir an die Grenzen der Integrationsfähigkeit stoßen?

Eine konkrete Zahl ist wirklich schwer zu bestimmen. Aber das heißt nicht, dass es nicht eine Größenordnung gäbe. Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, dass sich unser Land durch Zuwanderung, und zwar in erster Linie durch ungesteuerte, jedes Jahr um eine mittlere Großstadt vergrößert. Damit sind erhebliche Herausforderungen verbunden – in der Bildungspolitik, bei der inneren Sicherheit und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt überhaupt. Das darf man als Phänomen und als Gegenstand politischer Debatte nicht leugnen, ebenso nicht die Notwendigkeit zu steuern, zu ordnen und zu gestalten.

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