
- Die Desintegrierten
Am heutigen Mittwoch hat die Integrationskommission der Bundesregierung ihren Bericht vorgestellt. Im Sommer stand sie kurz vor der Implosion. Denn der Streit zwischen Seehofer und Merkel über die Flüchtlingspolitik spaltete auch das Gremium.
Februar 2019, im Kanzleramt: 24 Professoren und Doktoren sitzen um einen Tisch, doch zwischen ihnen liegen Welten. Dort sitzen auf antimuslimischen Rassismus spezialisierte Forscher, die gleich in der ersten Sitzung ihren Träumen von offenen Grenzen und einer Welt ohne Nationen freien Lauf lassen, und die Staatssekretär Markus Kerber, im Innenministerium zuständig für das Thema Migration, freundlich, aber bestimmt darauf hinweisen muss, dass Grenzen durchaus ein Rechtsinstitut des Staates sind. Mehreren Kommissionsmitgliedern schwant schon an diesem Punkt nichts Gutes.
Knapp zwei Jahre später haben sich die Befürchtungen bestätigt. Die Fachkommission Integrationsfähigkeit, die Antworten auf die Frage geben sollte, die Deutschland in den vergangenen fünf Jahren politisch und gesellschaftlich ramponiert hat, ist praktisch gescheitert. Mitte Januar wird sie auf Hunderten Seiten ein Ergebnis präsentieren, das keines ist. In dem Gremium knallte es derart, dass der Historiker Andreas Rödder im September schließlich austrat. „Erpressung, Stammtischhaltung“, diese Worte fallen in den hitzigen Auseinandersetzungen der Professoren und Doktoren. Es ist ein Scheitern mit Ansage.
Kommissionen können auch Sinn machen
Kommissionen hat diese Große Koalition, die Deutschland als Ergebnis turbulenter Koalitionsverhandlungen seit 2018 regiert, zuhauf aufgelegt. Um sich bei heiklen Fragen wie Renten- und Migrationspolitik nicht zu zerstreiten, verschoben CDU/CSU und SPD sie Castor-Transportern gleich in „Fachkommissionen“. Ergebnisse liefern derartige Gremien erfahrungsgemäß erst zum Ende der Legislaturperiode, und im besten Fall entfalten sie keine praktischen Konsequenzen mehr fürs Regierungshandeln.
Dass solche Gremien auch Sinn machen können, bewies die Kohlekommission, die im Januar 2019 Ergebnisse lieferte – nach einem halben Jahr Arbeit. Ausschlaggebend war der politische Druck: Große Teile der Gesellschaft wollten eine deutsche Antwort auf den Klimawandel. Am Ende kam ein Kompromiss zustande, dem sich alle Beteiligten anschlossen: Kohleausstieg bis 2038, dafür milliardenschwere Strukturhilfen für die Kohlereviere.
Doch zwei Kommissionen, so darf vor Abschluss der Legislaturperiode konstatiert werden, sind gescheitert.
Der erste gescheiterte „Arbeitskreis“ lieferte im Mai 2020 einen 400 Seiten dicken Bericht ab: Die Rentenkommission Verlässlicher Generationenvertrag gebar nach zweijähriger Arbeit die Maus, dass „zentrale Fragen – wie hoch ist das Rentenniveau, wie viel müssen die Erwerbstätigen zahlen, wann darf man in Rente gehen – an die nächste Kommission weitergegeben werden wie eine heiße Kartoffel“, wie Kommissionsmitglied Axel Börsch-Supan frustriert im Cicero schrieb. Zum Glück für die Kommission und die Regierung, zum Unglück jener, die eine Antwort auf die im alternden Deutschland drängende Frage nach der Zukunft der Renten erhofft hatten, ging das Scheitern der Kommission in der Corona-Krise unter.