Streit um Erhöhung des Rundfunkbeitrags - Wie man’s macht, macht man’s verkehrt

Erfüllen die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr ihren Auftrag? Und wofür soll man überhaupt noch seine Rundfunkbeiträge zahlen? Ein Erklärungsversuch, warum jeder unzufrieden mit ARD und ZDF zu sein scheint. Und warum sie trotzdem einen guten Job machen.

Tagesschau: Die Sendung, die nach „Rote Rosen“ und vor „Tatort“ läuft
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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In just dem Moment, in dem ich beginne, diesen Artikel zu verfassen, trennt sich Mona von Andreas. Ich kenne die beiden nicht, aber sie sind offensichtlich Teil von „Rote Rosen“, einer Soap Opera, deren 3239. Folge ich sehe, weil ich den Fernseher ausnahmsweise einmal nachmittags eingeschaltet habe. 

„Rote Rosen“ läuft seit 2006 im Ersten Deutschen Fernsehen. Die inhaltliche wie optische Banalität dieser Serie ist nicht zu ertragen, sie untertrifft noch die (eingestellte) „Lindenstraße“. Trotzdem hat sie mit 1,5 Millionen Zuschauern pro Folge in der zwölften Staffel einen Marktanteil von 15 Prozent.

Beitragszahler finanzieren Blödsinn

Gehört „Rote Rosen“ zum Rundfunkauftrag? Offensichtlich schon, sonst würde die Telenovela nicht in der ARD ausgestrahlt.  Auch würde kaum eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt einige Millionen Beitrags-Euro sonst jährlich für eine Sendung ausgeben, die im Programm unter anderem so angekündigt wird: „Nachdem David und Amelie Sex hatten, erkennen sie endlich, dass sie zum Wohl des Hotels zusammenarbeiten müssen und vereinbaren einen Waffenstillstand.“

Dieser Artikel ist eine Replik
auf Bernd Stegemanns Kommentar
Dieses Programm passt
nicht mehr zum Auftrag

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Es ist ärgerlich, dass wir Beitragszahler solch einen Blödsinn finanzieren müssen. Ginge es nach mir, gäbe es nachmittags im wichtigsten deutschen Fernsehsender ein anspruchsvolleres Programm. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Kultursendungen gäbe, mehr über Literatur gesprochen würde, dass vielleicht sogar gehaltvolle Geschichtssendungen laufen, denn einige Menschen in diesem Land scheinen nicht mehr ganz einordnen zu können, was zum Beispiel Sophie Scholl zu einer Widerstandskämpferin gemacht hat. 

Natürlich wünsche ich mir auch mehr Nachrichten, mehr Politik, mehr investigative Reportagen. Ja, und auch mir geht es auf die Nerven, wenn bei „Anne Will“ schon wieder Robert Habeck oder Annalena Baerbock sitzt, wenn der Tagesthemen-Kommentar zu pädagogisch daherkommt oder wenn beim Thema Corona wieder vor allem der Zusammenhalt propagiert wird. Genauso ärgert es mich auch, wenn man Andreas Kalbitz interviewt, als sei er irgendein normaler Politiker.

Jeder hat etwas zu meckern

Nur ist das Problem: Ich bin nicht der typische Beitragszahler. Und Sie sind es auch nicht. Denn es gibt ihn nicht. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben ein großes, grundsätzliches Problem, nämlich dass sie es allen recht machen sollen, weil jeder sie bezahlt. In dieser Hinsicht haben es ARD, ZDF und Deutschlandradio noch schwerer als die Bundesregierung. Die ist zumindest nur von einem Teil der Bevölkerung gewählt worden.

Doch selbst wenn wir mitentscheiden könnten, liefe von montags bis freitags um 14:10 Uhr wahrscheinlich  immer noch „Rote Rosen“. Denn nicht nur Sie und ich würden entscheiden, sondern auch diejenigen, die gerne diese Sendung sehen. Was bei ARD und ZDF läuft, ist immer Konsens, deshalb hat auch jeder etwas zu meckern. Was haben die öffentlich-rechtlichen Talkshows jedes Mal für einen „Shitstorm“ bekommen, wenn Björn Höcke oder Alice Weidel eingeladen waren. Wie oft wurde in den sozialen Netzwerken nicht schon diskutiert, ob man Politikern der AfD eine Bühne bieten darf. Und auf der anderen Seite bekommen Zuschauer jedes Mal Schnappatmung, wenn Tina Hassel wieder vom Grünen-Parteitag berichtet (denn in ihren Augen ist die Chefin des ARD-Hauptstadtstudios ja eigentlich Pressesprecherin der Grünen). 

Die Masche der AfD

Jeder hat also etwas auszusetzen, gerade auch an der politischen Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen. Und oft genug wird diese Unzufriedenheit ausgenutzt und instrumentalisiert, von der einen wie von der anderen Seite. Gerade die AfD nutzt gerne das Wort „Neutralität“, der die Öffentlich-Rechtlichen angeblich verpflichtet seien, um die Sendeanstalten und ihre Mitarbeiter zu diskreditieren. Das sind sie im Übrigen nicht, in den Rundfunkstaatsverträgen von ARD, ZDF und Deutschlandradio findet sich dieser Begriff nicht.

Und Objektivität ist etwas anderes als Neutralität. Die AfD wirft den Redaktionen auch vor, es gäbe keine faire Berichterstattung und keinen Meinungspluralismus. Die Partei verschweigt dabei allerdings sehr bewusst, dass es oft an ihr selbst liegt, dass sie zum Beispiel in Tagesschau-Beiträgen selten zu Wort kommt. Denn häufig werden Presseanfragen von der AfD nicht oder zu spät beantwortet. Wohl auch, weil sie sich zu vielen Themen nicht qualifiziert äußern kann – ihr fehlen schlicht Experten.

Das dürfte der AfD gefallen

Die AfD hat dennoch auf ihren eigenen medialen Kanälen in den letzten Jahren so lange, so laut und so stur in dieses Horn geblasen, dass auch Politiker anderer Parteien meinen, inhaltliche Kritik am Programm von ARD und ZDF äußern zu müssen. Jüngstes Beispiel ist Sachsen-Anhalt und die dortige CDU-Landtagsfraktion, die sich in einen ideologischen Kampf begeben hat, den sie höchstwahrscheinlich nicht unbeschadet übersteht (mit Holger Stahlknecht hat’s ja einen von ihnen bereits erwischt). Das dürfte der AfD gefallen. 

Doch auch SPD, Grüne und Linke treiben die CDU in die Enge, indem sie das Thema Rundfunkbeitragserhöhung instrumentalisieren. Denn schließlich mache die CDU ja gemeinsame Sache mit der AfD, wenn sie gegen eine Erhöhung stimme. Alles Nazis außer Beitragsabnicker, also? So einfach ist es nicht. Der Streit um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags ist ideologisch aufgeladen und damit ein Spiegelbild dafür, wie gesellschaftliche Debatten inzwischen geführt werden. Nicht argumentativ, sondern mit Totschlagargumenten, nicht faktenbasiert, sondern propagandistisch. Nicht vernünftig, sondern moralisierend.  

Die Pensionsansprüche sind das Problem

Dabei gibt es berechtigte Kritik am System der Öffentlich-Rechtlichen. Ob all die Anstalten mit ihren Wasserköpfen und redundanten Programmen wirklich notwendig sind, ist eine gute Frage. Auch der Osten sollte stärker repräsentiert sein (genauso wie Menschen mit Migrationshintergrund). Ob es eine kluge Idee war, den Mitarbeitern Pensionsverträge zu geben, mit denen sie in der Rente monatlich 120 Prozent ihres früheren Gehalts bekommen, kann man sich auch fragen. Mit den Babyboomern geht nun langsam eine Generation in Rente, die besonders groß ist (auch bei ARD und ZDF) und besonders hohe Pensionen haben wird. Aus diesem Grund sind die 86 Cent mehr auch so wichtig – nicht, weil ARD, ZDF und Deutschlandradio ihr Programm ausbauen wollen, sondern damit die Pensionsansprüche den Sendern nicht das Genick brechen. Offen gesprochen wird darüber aber seltsamerweise kaum. 

Auf der anderen Seite Tom Buhrow und Kai Gniffke ihre Spitzengehälter vorzuhalten, ist scheinheilig. Denn im Vergleich zu privaten Medien sind diese eher Mittelmaß. Natürlich finanzieren private Sender und Zeitungen sich selbst, doch ARD und ZDF sind Mitbewerber auf dem Medienmarkt. Und müssen konkurrenzfähig sein, sonst gehen die Macher und Könner nämlich zu den Privaten. Ein Problem, das es übrigens auch in der Politik gibt: Ministerien klagen oft genug über Expertenmangel, weil die besten Leute zu Unternehmen gehen, die weitaus besser zahlen. Da kann der Tarif des öffentlichen Dienstes nicht mithalten. 

So wird ein „Staatsfunk“ draus

Ob „Rote Rosen“, Fußball und Frank Plasberg wirklich zum Auftrag gehören, kann natürlich infrage gestellt werden. Doch wer soll das bestimmen außer den Redaktionen? Mischt sich die Politik aktiv ins Programm ein, etwa wenn sie wie Herr Stahlknecht pauschal moniert, die Sender würden zu oft mit dem „erhobenen Zeigefinger der Moralisierung“, berichten und verbindet dies mit der Drohung, einer Beitragserhöhung nicht zuzustimmen, dann führt das in letzter Konsequenz zu einem „Staatsfunk“. Also zu dem, was Kritiker gerade aus dem rechten Spektrum den Öffentlich-Rechtlichen jetzt schon vorwerfen. „Staatsfunk“ ist da häufig allerdings nur ein Synonym für „mir passt die Meinung nicht“. Das gilt im Übrigen auch für das gesprochene Binnen-I.

Natürlich sind die Öffentlich-Rechtlichen zu Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet – doch das bedeutet nicht, dass ein Tagesthemen-Kommentator nicht meinen darf, was er denkt. Gibt man das Gut der redaktionellen Freiheit und Selbstbestimmung auf, hat man genau den Staatsfunk, den ostdeutsche Kritiker aus der DDR noch kennen.

Der Rundfunkstaatsvertrag ist, was er ist

Und der ominöse Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen? Wer will, dass ARD und ZDF auf Unterhaltungsshows, seichte Abendfilme, noch seichtere Vorabendserien, Sport und Mord verzichten, der muss den Rundfunkstaatsvertrag ändern. Dort steht: „Ihre (die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.“ Wer also will, dass die Unterhaltung wegfällt, muss sie aus dem Rundfunkstaatsvertrag streichen.

Wer das will, muss aber auch wissen (und weiß es möglicherweise sogar), dass das zu erheblichen Quoteneinbrüchen führen würde. Ohne Unterhaltung wären ARD und ZDF in reinen Zahlen höchstwahrscheinlich irrelevant. Das sieht man an Sendern wie Tagesschau24 (Marktanteil 0,3 Prozent) oder auch an Phoenix. Gerade bei letzterem gibt es exzellente politische Berichterstattung, die dem, was manche Kritiker wollen, wohl am nächsten kommt: Seriosität, Unparteilichkeit, Objektivität. Aber der Marktanteil liegt bei einem Prozent. Für Sie und mich mag das unbegreiflich sein, aber es scheinen sich tatsächlich sehr wenige Menschen für Politik zu interessieren. Die 20-Uhr-Tagesschau hat hingegen am Sonntag (direkt vor dem „Tatort“) 14,6 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 42,7 Prozent gehabt. Die Mischung macht’s. Und es ist offensichtlich nicht so, als würden sich nicht mehr viele Menschen vom ARD-Programm angesprochen fühlen.

Rundfunkbeitrag oder Mops Hank

Bei der Mischung aus Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung haben sich die Mütter und Väter des Rundfunkstaatsvertrags etwas gedacht. Sie wussten nämlich, dass kein Mensch den Fernseher anschaltet, um den ganzen Tag Claus Kleber oder Caren Miosga zu sehen. Der „Tatort“ schiebt die Quoten von „Anne Will“ nach oben, die „Sportschau“ die Quoten von „Bericht aus Berlin“. Denn die meisten Menschen schauen immer noch lineares Fernsehen und bleiben vorm Fernseher hängen. Nach „Rote Rosen“ folgt übrigens in der Regel eine zehnminütige Tagesschau.

Man kann den öffentlich-rechtlichen Rundfunk natürlich prinzipiell ablehnen. Das ist jedermanns gutes Recht und es gibt nachvollziehbare Gründe dafür. Der Rundfunkbeitrag, wie er inzwischen euphemistisch genannt wird, ist ja tatsächlich eine Art Zwangsgebühr, denn er muss (Ausnahmen gibt es immer) gezahlt werden. Aber wir zahlen auch Steuern, damit Straßen gebaut werden, auch wenn wir sie selbst vielleicht gar nicht nutzen. Das haben Solidargemeinschaften so an sich. Man muss sich nur fragen, ob man zu so einer Gemeinschaft gehören will. 

Was für eine Fernseh- und Radiolandschaft wir hätten, wenn es die Öffentlich-Rechtlichen nicht gäbe, können Sie ja mal ausprobieren. Auf RTL läuft gerade „Explosiv“ mit dem Thema: „Mops Hank begeistert das Netz. Denn der Rüde wartet geduldig bis seine Besitzerin Mary das Haus verlässt, um dann das Hundegitter zu überwinden.“ Danach kommt „Exclusiv – Das Starmagazin“.

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