Streit zwischen Lindner und Kemmerich - Die suizidalen Tendenzen der FDP

Dass Thomas Kemmerich Anfang des Jahres die Wahl zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD annahm, war ein Fehler. Doch ein Fehler ist es auch, mit ihm einen der letzten Charakterköpfe der FDP zu beschädigen. Christian Lindner könnte das noch zu spüren bekommen.

Da ist die Tür: Thomas Kemmerich und Christian Lindner / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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In den Achtzigern gab es eine recht erfolgreiche Thrash-Metal-Band namens Suicidal Tendencies. Im Moment passt der Name auch ganz gut zur FDP. 

Man muss wahrlich nicht jede Aktion des Thüringer FDP-Politikers Thomas Kemmerich gelungen finden. Kemmerich hatte sich Anfang des Jahres bundesweit berühmt gemacht, weil er sich mit den Stimmen der AfD im Thüringer Landtag zum Ministerpräsidenten hatte wählen lassen. Danach tauchte er auf Corona-Demos in fragwürdiger Gesellschaft auf. Nun ließ er wissen: Nicht die Annahme der Wahl sei der Fehler gewesen, sondern die Reaktion der anderen Parteien darauf - einschließlich der eigenen Parteispitze müsste man wohl hinzufügen. Parteichef Christian Lindner konnte Kemmerich nur zur Aufgabe seines Amtes bewegen, indem er mit dem eigenen Rücktritt drohte. 

Bannbulle über Kemmerich

Nun war Kemmerich wegen des Tweets die Empörung der gesamten FDP sicher. Das Präsidium verfasste eine Art Bannbulle über den Mann, der als liberaler Landeschef von Thüringen wieder als Spitzenkandidat zur Wahl am 25. April nächsten Jahres antreten will. Für diesen Fall kündigte das Thomas-Dehler-Haus vorsorglich an, dass die Thüringer FDP weder personell noch finanziell mit Unterstützung rechnen könne. 15 Landeschefs exorzierten Kemmerich zur Sicherheit noch einmal ihrerseits mit einem gemeinsamen Brief.

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Natürlich hat Kemmerich mit seinem Tweet nicht recht. Der Fehler war nicht die Wahl, sondern deren Annahme. Und damit die Möglichkeit seiner Ächtung. Bis heute im kollektiven Gedächtnis, wie die angehende Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow Kemmerich den Gratulationsblumenstrauß vor die Füße warf. Natürlich hätte Kemmerich die Sache vorher zu Ende denken müssen und die Wahl nicht annehmen dürfen. Der Beweis, dass der Linke Bodo Ramelow keine Mehrheit im Landtag hatte, wäre auch so erbracht worden.

Aber in der Kategorie „Nicht zu Ende gedacht“ gibt es einen ungleich kapitaleren Fehler der Parteispitze, an dem die FDP bis heute laboriert - ohne Aussicht auf Besserung. Im Gegenteil. Ebenso wie es gute Gründe für Kemmerich gab, dieses Exempel im Erfurter Landtag an Ramelow zu statuieren, gab es am Anfang dieser Legislaturperiode gute Gründe für die FDP, nicht in eine Jamaika-Koalition einzutreten. Es war auch für Außenstehende spürbar, dass die Liberalen das notwendige Übel einer sich prächtig verstehenden schwarz-grünen Regierung gewesen wären. 

Wie geht Opposition?

Kann man so machen. Wenn man aber so vorgeht, das ist die Parallele zum Fall Kemmerich, wenn man das Pfund einer Regierungsbeteiligung ausschlägt, dann muss man eine sehr genaue Vorstellung von der unausweichlichen Oppositionsrolle haben. Keinen Augenblick machen Christian Lindner und seine Partei seither den Eindruck, darauf vorbereitet gewesen zu sein. 

Permanent haben die Liberalen als Opposition Angst, sich in falscher Gesellschaft wiederzufinden. Das war so in der Flüchtlingskrise, als sich die FDP nicht zu einem Konfrontationskurs gegen die Regierung durchringen konnte (die inzwischen geschasste Generalsekretärin Linda Teuteberg hatte es immer wieder mal versucht, wurde aber stets zurückgepfiffen) - aus Angst vor der Nachbarschaft der AfD. Und auch jetzt, wenn in Corona-Zeiten die Freiheit und die Marktwirtschaft leiden, kann sich die FDP zu keinem klaren Kurs durchringen, weil sie sich sonst in zu große Nähe zu Reichsbürgern, Querdenkern und sonstigem Gefleuch wähnt.

Rundgeschliffener Kiesel

Bloß keine Ecken und Kanten - das führt dazu, dass die FDP derzeit der rundgeschliffenste Kiesel im Flussbett der Politik ist. Inhaltlich ist die Partei austauschbar. Und personell auch. Thomas Kemmerich ist nicht so ein Kiesel, er hat Ecken und Kanten. Und genau dafür lieben ihn die Leute in Thüringen. Er ist eine Type, ein Charakterschädel. Solche Personen fehlen in dieser Partei. Sie besteht aus einem Solisten an der Spitze, einem Alleinunterhalter Wolfgang Kubicki und einem Lambsdorff junior, der von Brüssel aus soigniert und seriös die Weltläufte kommentiert. Ansonsten sind Jungmänner in der zweiten Reihe am Start, die austauschbar aussehen und auch austauschbar reden.

Eine erfolgreiche Partei muss Charakterschädel wie Kemmerich aushalten - und im Zweifel einbinden und einhegen, aber nicht exkommunizieren. Doch Christian Lindner tut sich offenbar schwer damit, wenn Leute ihren eigenen Kopf haben. Deshalb musste seine Generalsekretärin Teuteberg weg, in der Folge gingen auch Katja Suding und der Berliner Namensbruder Martin Lindner. Sie haben die Nase voll von einer FDP, die so keiner braucht. 

Charakterköpfe unerwünscht

Anstatt diesem Verlust an Personal mit eigenem Kopf (und Kanten) Einhalt zu gebieten, macht die Bundes-FDP flankiert von 15 Landesverbänden den letzten verbliebenen Charakterkopf kaputt. Sie erinnert an die Piraten bei Asterix, die mitunter selbst das Schiff versenken, wenn sie die Gallier heransegeln sehen. 

Das Ende des Christian Lindner als Parteichef wäre gekommen, wenn sich Kemmerich als Einzelkämpfer im April zu einem guten Ergebnis hangelte, während die Partei bundesweit weiter in der Todeszone der fünf Prozent verharrt. Linda Teuteberg wartet nur auf den Tag der Revanche.

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