Streit bei den Grünen - Rauswurf von Boris Palmer gescheitert

Mit Spannung wurde der erste Verhandlungstag des Schiedsgerichtes der Grünen in Baden-Württemberg erwartet. Das Ergebnis fiel überraschend aus, denn bereits mit dem ersten Verhandlungstag ist die Causa Palmer auch schon wieder Geschichte.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer im April in Stuttgart mit seinem Anwalt Rezzo Schlauch / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Das Gericht gab weder Boris Palmer noch seinen Gegnern Recht, die ihn aus der Partei werfen lassen wollten. Palmers Anwalt, Rezzo Schlauch, zeigt sich gegenüber Cicero davon nicht überrascht. In der Verhandlung sei deutlich geworden, dass die Vorwürfe gegenüber seinem Mandanten für einen Rauswurf „nicht ausgereicht“ hätten. Das Schiedsgericht habe insgesamt „hochprofessionell“ agiert.

Als Grund für den möglichen Rauswurf machten die Antragsteller geltend, Palmer hätte durch seine forschen öffentlichen Äußerungen in der Vergangenheit immer wieder gegen die „grundlegende Programmatik“ der Grünen verstoßen. Teilweise wurde ihm sogar vorgeworfen, rassistische Ressentiments zu bedienen.

Palmer gelassen

Palmer sah dem Verfahren von Anfang an gelassen entgegen. Zu Beginn des Jahres setzte er seine parteiinternen Gegner sogar durch eine unabhängige Kandidatur für die Wahl zum Tübinger Oberbürgermeister im Oktober 2022 unter Druck. Die gab er bekannt, als er bereits nach wenigen Tagen durch einen Spendenaufruf im Internet mehr als 100.000 Euro eingeworben hatte.

Durch diese Entscheidung machte Palmer seinen Gegnern einen Strich durch die Rechnung. Denn es ging ihnen ja nicht nur darum, den unbequemen Freigeist aus der Partei zu entfernen, sondern ihn vor allem vom Sessel des Oberbürgermeisters fernzuhalten. Durch Palmers unabhängige Kandidatur hatten die Grünen im Ländle darauf ohnehin keinen Einfluss mehr.

Dafür spricht nicht nur, dass Palmers Rückhalt in Tübingens Stadtgesellschaft ungebrochen scheint, sondern auch die Urwahlergebnisse anlässlich der Nominierung grüner Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl. Bei den Grünen trat Palmer gleich gar nicht mehr an. Seine Gegenkandidatin, Ulrike Baumgärtner, erhielt trotzdem nur 149 von 287 Stimmen.

Großer Rückhalt an der Basis

Auch an der Basis der Tübinger Grünen scheint sein Rückhalt daher zumindest bemerkenswert. Hinzu kommt für die Tübinger Grünen das Problem, dass sie sich ihr Milieu mit der „Alternativen Liste“ teilen müssen, die ebenfalls im Rathaus vertreten ist. Bei ihrer Urwahl lag Palmer klar vor Baumgärtner.

Der nun geschlossene Vergleich sieht vor, dass Palmers Mitgliedschaft bis Ende 2023 „aufgrund verschiedener Verstöße des Antragsgegners gegen Grundsätze und Ordnung der Partei“ ruht und rechtzeitig vor dem 1. Januar 2024 gemeinsam darüber gesprochen werden soll, „wie der Antragsgegner zukünftig kontroverse innerparteiliche Meinungen äußern könnte unter Beachtung der Grundsätze und Ordnung der Partei“.

Palmer nahm den Vergleichsvorschlag noch vor Ort an und stellte den Landesvorstand der Grünen damit vor ein ziemliches taktisches Problem. Denn Palmer, der nach eigenen Angaben ohnehin kein parteiinternes Amt anstrebt und sich ganz auf seine Tätigkeit als Oberbürgermeister von Tübingen konzentrieren will, verliert durch die zeitweise Suspendierung der Mitgliedschaft genau: nichts. Vielmehr heilt der Vergleich ein weiteres Problem. In anderen Parteien jedenfalls ist es üblich, dass Mitglieder, die um öffentliche Ämter gegen die eigene Partei kandidieren, wegen parteischädigenden Verhaltens aus der Partei geworfen werden. Mit der Annahme des Vergleichs durch den Landesvorstand der Grünen scheint nun auch diese Gefahr gebannt.

Landesvorstand in der Zwickmühle

Aber was hätte der grüne Landesvorstand auch anderes machen sollen, als den Vergleich zeitnah zu akzeptieren? Palmers mögliche Verfehlungen waren auch nach Ansicht des Schiedsgerichts offenbar nicht so gravierend, dass ein Rauswurf gerechtfertigt schien. Sonst hätte es keinen Vergleich vorgeschlagen. Und wenn der Landesvorstand den Vergleich nicht akzeptiert hätte, wäre der Schiedsspruch mit ziemlicher Sicherheit zu dessen Lasten ausgegangen.

Dass diese Zwickmühle, in die sich die Grünen Baden-Württembergs ganz ohne Not selbst hineinmanövriert haben, schmerzt, wird mit einer heute abgegebenen öffentlichen Erklärung des Landesvorstandes deutlich. Darin heißt es, Palmer hätte in der Vergangenheit zahlreiche „verbale Grenzüberschreitungen“ produziert und mit dem Vergleich anerkannt, „dass er gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen“ habe. Es scheint ganz so, als wollte der Landesvorstand für sich doch noch einen Sieg reklamieren, obwohl er das eigentliche Ziel - den Rauswurf Palmers - ja gerade nicht erreicht hat.

Ergebnis: Unentschieden

Palmers Anwalt, Rezzo Schlauch (Bündnis 90/Die Grünen), will das allerdings so nicht stehen lassen. „Die Behauptung des Landesvorstandes, der Vergleich sanktioniere das Verhalten meines Mandanten, ist (…) irreführend. Das Wesen eines Vergleichs ist es, einen Streit beizulegen. Dafür ist Entgegenkommen von beiden Seiten erforderlich. Mein Mandant stimmt zu, seine Mitgliedsrechte für einen befristeten Zeitraum ruhen zu lassen. Er wird also nicht bestraft, sondern trägt seinen Teil dazu bei, den Konflikt zu befrieden“, reagiert er in einer Stellungnahme vom heutigen Tage.

Beide Seiten sollten sich davor hüten, sich jeweils als Sieger zu fühlen: „Jeder Vergleich ist am Ende ein Unentschieden.“ Schlauchs Mandant hält sich, zumindest derzeit, penibel an diese Maßgabe. Auf die Frage, ob er sich am Ende nicht doch als Sieger in der Auseinandersetzung fühlen müsse, reagiert Palmer gegenüber Cicero diplomatisch: „Ich bin froh, dass dieser Streit nun ein Ende hat. Die Landespartei und ich haben wahrlich wichtigere Aufgaben zu bewältigen. Deshalb ist jede weitere Deutung des Vergleichs müßig. Er gilt genau so, wie er dasteht.“

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