Stephan Harbarth - Die Macht der Acht

Als er noch für die CDU im Bundestag saß, stimmte Stephan Harbarth gegen eine Abschaffung von Hartz IV-Sanktionen. Als neuer Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts kämpfte er jetzt dafür. Wer ist dieser Mann, der demnächst Andreas Voßkuhle beerbt?

Erschienen in Ausgabe
Stephan Harbarth wird der nächste Mann an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts / Foto: Thomas Bernhardt
Anzeige

Autoreninfo

Michael Reissenberger, Rechtspolitischer Korrespondent in Karlsruhe Langjähriger Berichterstatter über das Bundesverfassunsgericht und die Obersten Gerichtshöfe.

So erreichen Sie Michael Reissenberger:

Anzeige

Seinen Wechsel aus Politik und Anwaltschaft hat er verschmerzt. Doch auch als Vizepräsident des Verfassungsgerichts und demnächst dessen erster Mann sucht Stephan Harbarth das Gespräch mit Bürgern. Wie erst kürzlich bei einer Medienveranstaltung in Bruchsal: lockere Haltung, gewinnendes Lächeln. Der Stargast spricht sich für eine Öffentlichkeitsoffensive der Justiz für den Rechtsstaat aus, er persönlich sei auch offen für ein zukünftiges Streaming von Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts.

Dem schlanken, manchmal überraschend zart wirkenden Mann muss keiner beibringen, wie man ein Publikum für sich einnimmt. Seine scharf geschnittenen Gesichtszüge signalisieren aber auch bei dieser entspannten Talk­runde Konzentration und Selbstkontrolle. Sein juristischer Handwerkskasten weckt Neugier, welcher Verfassungsartikel ihm denn am besten gefiele? Harbarth braucht für die Antwort keine Sekunde Bedenkzeit: Natürlich Artikel 1 zur unantastbaren Menschenwürde. Aber in dem Zusammenhang habe ihn ein Formulierungsvorschlag bei den Vorarbeiten für das Grundgesetz besonders beeindruckt: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“ Der Satz stammte von dem Sozialdemokraten Carlo Schmid, der ihn 1948 beim Herrenchiemseer Verfassungskonvent einbrachte.

Rechtsverständnis für das Grundsätzliche

Der ist dann 1949 vom Parlamentarischen Rat aber so nicht ins Grundgesetz übernommen worden. Stattdessen wählte man die alleinige Pathosformel von der „unantastbaren Menschenwürde“, einen auch für Juristen sphinxhaften Begriff, der sehr viel Interpretationsspielraum lässt. Genau deswegen ist Harbarths Vorliebe für die schmidsche Urfassung keine triviale Parole.

Dem Rechtsverständnis des Mannes für das Grundsätzliche sagt offenbar zu, wie klar in Schmids Eingangsformel für das Grundgesetz die erfolgte kopernikanische Wende im Staatsverständnis nach NS- und Kaiserzeit angesprochen wird. Wie sie die überkommene Vorstellung des Vorrangs der Staatsraison pulverisiert. Und sodann – im folgenden Absatz – mit dem nächsten jetzt nachvollziehbaren Gedankenschritt in den nunmehr freigeräumten Mittelpunkt aller Staatstätigkeit die Aufgabe rückt, „die Würde der menschlichen Persönlichkeit zu achten und zu schützen“.

Genau um dieses umfassende menschenfreundliche Staatsverständnis ging es auch Anfang des Jahres bei der Verhandlung über die Hartz-IV-Sanktionen, bei der Harbarth seine Feuerprobe im Gerichtsvorsitz bestand. Und er traf nicht nur für die Ohren seiner Richterkollegen den richtigen Ton, sondern gewann auch im Gerichtssaal die zahlreich angereisten „Menschen in schwieriger Lebenslage, die die Thematik in ihren grundlegenden Bedürfnissen betrifft“, wie er sich ausdrückte. Als Harbarth ihnen ausdrücklich versicherte: „Das nehmen wir ernst“, war es im Saal kurz mal ganz still.

Einen Fall in all seinen Facetten ausleuchten

Sogar der sonst gerne polemische Interessenverband Tacheles bekannte sich nach dem großen Tag in Karlsruhe auf seiner Homepage von der Verhandlungsführung „tief beeindruckt“, bescheinigte der Richterbank „einen spürbar verantwortungsvollen Umgang“ mit den strittigen Fragen.

Und das kürzlich einstimmig beschlossene Urteil zu den Hartz-IV-Sanktionen wird gerichtsintern auch Harbarth als ein weiterer Pluspunkt zugestanden. Harbarth selbst, der noch vor einem Jahr im Bundestag dem Linken-Antrag gegen alle Hartz-IV-Sanktionen seine Zustimmung versagte, bekennt sich heute offen zur neu gewonnenen Lebensqualität: „Wir haben im Vergleich zur Politik das Glück, dass wir nicht alles unter großem Zeitdruck entscheiden müssen und im Diskurs zwischen acht Richtern einen Fall wirklich in all seinen Facetten ausleuchten können.“

Vielleicht besser als Voßkuhle

Der frühere CDU-MdB Harbarth setzt auf die „Macht der Acht“, also möglichst einstimmige Urteile zu verkünden. „Das gelingt zwar nicht immer und das muss es auch nicht. Aber es ist das Ziel, im Urteil alle Perspektiven aufzunehmen und zu verarbeiten. Und danach den Menschen durch ein möglichst einstimmiges Urteil zu zeigen: Wir beantworten eine aufgeworfene Frage nach den rechtlichen Maßstäben der Verfassung und streben zugleich an, integrativ in die Gesellschaft zu wirken“.

Mit Harbarths Nachfolge, wenn Andreas Voßkuhles Zeit als Präsident demnächst ausläuft, ist man im Gericht einverstanden. „Er wird große Fußspuren vorfinden, er wird das Amt sicher anders ausfüllen“, kann man im Richterbau hören. Eine Stimme fügt hinzu: „Vielleicht macht er es sogar besser als Voßkuhle.“ Harbarths Vizehut könnte dann die SPD-nahe Kieler Staatsrechtlerin Doris König für die nächsten fünf Jahre übernehmen.

Dieser Text ist in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

 

 

 

 

Anzeige