Staatsanwältin Anne Brorhilker - Die Frau, die der Kanzler fürchtet

Staatsanwältin Anne Brorhilker ist im Cum-Ex-Skandal etlichen Bankern und manchen Sozialdemokraten auf den Fersen. Für Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich an die entscheidenden Vorgänge nicht mehr erinnern will, ist ihre Hartnäckigkeit ein Problem.

Anne Brorhilker / Foto: Lukas Schulze
Anzeige

Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

So erreichen Sie Ferdinand Knauß:

Anzeige

Eigentlich sollte es für eine große Bank kein großes Problem sein, eine unbequeme Staatsanwältin aus dem Weg zu räumen. Dazu braucht man nur Geld und eine findige Personalabteilung. Banken können schließlich gute Juristen immer gebrauchen und ihnen mehr bezahlen als eine Staatsanwaltschaft.

Aber im Fall von Anne Brorhilker klappt das wohl nicht. Die Oberstaatsanwältin in Köln ist nicht nur die berühmteste Frau ihrer Zunft in Deutschland. Sie ist auch, wie ein Mann berichtet, der sie gut kennt, „mit Leib und Seele Staatsanwältin“ und nicht abzuwerben.

In den Tagebüchern von Olearius

Die rund 1700 Beschuldigten in mehr als 100 Banken, die in den Cum-Ex-Skandal verwickelt sind – den mit rund zehn Milliarden Euro Beute größten Fall von massenhaftem Steuerbetrug in der deutschen Nachkriegsgeschichte –, werden sich noch lange mit Brorhilker befassen müssen. Und auch der Bundeskanzler und vormalige Erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, der sich angeblich an seine Gespräche mit dem Warburg-Bankier Christian Olearius nicht erinnern kann, wird sich ihren Namen längst eingeprägt haben.

Direkte Ermittlungen gegen Scholz musste sie einstellen. Aber ihr Aktenvermerk dazu hat es in sich. Sie berichtet über Hinweise „aktiver Einflussnahme“ durch Scholz in den Tagebüchern von Olearius. Besonders brisant: Die Einstellung erfolgte „mit Rücksicht auf die Stellung“ von Scholz als Bundeskanzler. Das ist für diesen ebenso wenig entlastend wie der Skandal um 731 000 E-Mails von Hamburger Beamten und Politikern, darunter auch Scholz, die Brorhilker sicherstellen ließ. Die waren dann aber zwei Wochen lang aus einem gesicherten Raum verschwunden. 

Kein ausreichender Anfangsverdacht

Brorhilker spricht nicht oft mit Journalisten. Aber das muss sie auch nicht, um ihre Botschaft zu verbreiten, denn das tut sie durch ihre Arbeit: keine ­Deals! Sie will keine Kompromisslösungen jenseits des Gerichtssaals, bei denen die Beschuldigten mit Geldzahlungen davonkommen. Sie will Freiheitsstrafen. Dass die tatsächlich drohen, hat im Juli 2021 der Bundesgerichtshof festgestellt: Die Cum-Ex-Geschäfte mit Aktien rund um den Dividendenstichtag waren strafbare Steuerhinterziehung.
 

Mehr zum Thema: 


Brorhilkers Star-Status und ihre Unnachgiebigkeit haben ihr unter Kollegen nicht nur Freunde geschaffen – von gewissen Bank-, Justiz- und Politikkreisen in Hamburg ganz zu schweigen, die die Zuständigkeit für die Verfahren gerne in die Hansestadt verlagert hätten. Ein Vorgesetzter lehnte sogar einen Durchsuchungsantrag bei der Warburg-Bank ab. Es gebe keinen ausreichenden Anfangsverdacht. Erst die Prüfung im nordrhein-­westfälischen Justizministerium, damals noch unter Führung des CDU-Politikers Peter Biesenbach, machte ihr den Weg frei.

Öffentlicher Druck

Brorhilkers Stern schien zu sinken, nachdem im Juni 2022 der frühere SPD- und jetzige Grünen-Politiker Benjamin Limbach Justizminister geworden war. Sein Vorgänger Biesenbach hatte dafür gesorgt, dass Brorhilker als Abteilungsleiterin und ab März 2021 als Hauptabteilungsleiterin nicht mehr nur mit drei, sondern mit 36 Mitarbeitern die Cum-Ex-Ermittlungen führen konnte. Nun wollte Limbach ihre Hauptabteilung zweiteilen und ihr die Zuständigkeit für die eine Hälfte nehmen, die einem unerfahrenen Staatsanwalt überantwortet werden sollte.

Doch im Oktober 2023 zog Limbach plötzlich sein Vorhaben zurück und bewilligte Brorhilker sogar vier zusätzliche Staatsanwälte. Grund dafür war wohl auch der öffentliche Druck, den der Verein Finanzwende ausgeübt hatte. In dem sind neben Limbachs Vorgänger Biesenbach auch der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) und als Vorsitzender der frühere grüne Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick aktiv. Mehr als 83.000 Menschen hatten deren Aufruf „Cum-Ex-Täter und Täterinnen nicht davonkommen lassen“ unterschrieben.

Rund 120 Ermittlungskomplexe

Eindeutig nicht davongekommen sind – Stand Oktober – bislang erst drei Täter, deren Verurteilung vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde. Erst zehn Anklagen gegen 13 Angeklagte sind geschrieben. Angesichts von rund 120 Ermittlungskomplexen scheinen vier zusätzliche Staatsanwälte wie verlorene Kämpfer gegen eine erdrückende Übermacht. Dieser Kampf wird noch viele Jahre dauern, das ist sicher. Womöglich wird mancher Beschuldigte seine Verurteilung auch nicht mehr erleben. Das könnte man als Argument dafür verstehen, dass eine Staatsanwaltschaft sich vielleicht doch auf Deals einlassen sollte. Oder als Argument dafür, die Personalausstattung der „Eliteeinheit“ (Biesenbach über Brorhilkers Hauptabteilung) noch viel deutlicher zu erhöhen. 
 

 

Die Dezember-Ausgabe von Cicero können Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen.

Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige