SPD-Vorsitz - Schluss mit lustig

Überraschende Wende in der Casting-Show „Germany's Next Top-Sozi": Mit Boris Pistorius, Petra Köpping und Olaf Scholz haben sich die ersten ernstzunehmenden Kandidaten beworben. Doch können sie jetzt noch verhindern, dass das Bewerbungsverfahren zur Farce wird?

Drei, die was können – aber können sie auch Vorsitz? / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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In jeder guten Casting-Show gibt es einen Moment, wo das Publikum die Luft anhält. Bis hierhin war das alles durchschnittlich, was man auf der Bühne gesehen hat. Der übliche Mix aus No-Names, Freaks und Witzfiguren. Doch plötzlich betritt einer die Bühne, und schon beim ersten Ton ist klar: Da steht einer/eine, der/die was kann. Man muss sich nicht mehr fremdschämen oder um sein Trommelfell fürchten. Er/sie weiß, wie es geht. 

In der Show „Germany’s Next Top-Sozi“ erlebte man diesen Moment am Freitagmorgen. Da meldete der Spiegel, dass sich Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius um den SPD-Vorsitz bewirbt. Pistorius gilt als der Experte für Innere Sicherheit in der Partei. Terror, Asyl, Abschiebung: Zu diesen Themen hat er als Sprecher der SPD-Innenminister eine klare Meinung – und keine Angst davor, damit anzuecken. Klare Kante statt Herumgeeiere, das ist sein Markenzeichen. In seiner Partei steht er damit ziemlich allein. 

Petra, wer? 

Ein Raunen ging deshalb durch den Raum, als der Mann mit dem Charme einer Schrankwand Eiche Rustikal die Bühne der Casting-Show betrat – und es hallte noch ein wenig nach. Denn Pistorius kam nicht allein. Petra Köpping heißt die Frau an seiner Seite. Und wenn Sie sich jetzt fragen: „Petra, wer?“, dann kommen Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus dem Osten. Denn dort wird Petra Köpping, Ministerin für Integration und Gleichstellung, verehrt wie sonst nur die Volksmusikerin Stefanie Hertel oder DDR-Stars aus der Super-Illu.  

Wie Pistorius kommt die „Genossin für Herzenswärme“ aus der Kommunalpolitik – und obendrein aus dem Osten. Dort hat es die SPD als West-Import immer noch schwer. In Sachsen liegt sie nur noch bei knapp zehn Prozent. So gesehen könnte ihre Wahl zur SPD-Vorsitzenden ein starkes Signal an all die Menschen senden, die auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer nicht im wiedervereinigten Deutschland angekommen sind. Denn Köpping gilt als „Kümmerin“. Sie, die sich nach der Wende als alleinerziehende Mutter dreier Kinder im Außendienst einer Krankenkasse durchschlagen musste, weiß, wie es anderen geht, die die Kurve nicht gekriegt haben. Denen hat sie 2018 ein Buch gewidmet: „Integriert doch erstmal uns! Eine Streitschrift für den Osten.“   

„Scheiße, ich mach's!“ 

Pistorius und Köpping schließen also Leerstellen in der SPD-Führung. Mit ihrer Kandidatur hat das Casting zwar nichts von seinem trashigen Charme verloren. Vielen ist aber vielleicht erst jetzt bewusst geworden: Das ist keine Show – es geht um mehr. Und wie, um den letzten Zweifel daran zu ersticken, hat in letzter Sekunde auch noch Finanzminister Olaf Scholz hinterm Vorhang hervorgelugt. 

Der Scholz-o-mat. „Ich bin bereit, anzutreten, wenn Ihr das wollt“, soll er schon am Montag in einer Telefon-Schalte mit den Interimsvorsitzenden Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer–Gümbel gesagt haben. Euphorisch klingt das zwar nicht. Man kann sich vorstellen, wie sich Olaf Scholz am Tag davor mit Arbeitsminister Hubertus Heil und Außenminister Heiko Maas zum Krisengipfel getroffen hat. Wie sie beratschlagten, wie die SPD jetzt noch verhindern könnte, dass sie den letzten Rest Vertrauen verliert. Jetzt, wo sich noch immer kein Schwergewicht beworben hatte, das Publikum kübelweise Spott über die Casting-Show kippte und das Verfahren eigentlich schon zur Farce geworden war. Wie die drei dann mit sorgenvoll zerfurchter Stirn Schnick-Schnack-Schnuck spielten, wie Olaf  Scholz verlor und leise fluchte: „Scheiße, ich mach’s.“ 

Olaf sucht Frau 

Vor einigen Wochen hatte er sich noch mit Zeitmangel herausgeredet. Als Finanzminister und als Stützpfeiler der GroKo hat er schon genug zu tun. Ob ihm die 430.000 SPD-Mitglieder diese Kehrwende bei der Wahl Anfang Dezember abkaufen, darf bezweifelt werden. Besonders beliebt ist der Möchtegern-Kanzler in seiner Partei nicht. Trotzdem gilt der spröde Hanseat als einer der klügsten politischen Köpfe des Landes. Sachlich, unaufgeregt, verlässlich. Solche Eigenschaften sind selten geworden in einer Zeit, da sogar die gute alte Tante SPD ihre Kandidaten casten muss, um  neben den grünen Superstars Habeck/Baerbock nicht ganz so alt auszusehen. Noch hat „Olaf Bonaparte“ zwar keine Partnerin, es ist ein bisschen wie bei „Bauer sucht Frau.“ 

Doch jetzt, da die SPD den Ernst der Lage erkannt hat, wird sich bestimmt noch die eine oder andere Manuela Schwesig finden. um ihn bei der Ochsentour durch 23 Wahlveranstaltungen zu begleiten. Das Publikum wird zwar spätestens nach Folge drei ermattet einnicken, doch wer weiß, vielleicht geschieht doch noch ein Wunder, und es schreckt aus seinem komatösen Schlaf wieder hoch. 

Bleiben Sie dran. 

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