SPD-Parteitag Berlin - Müller geht, Giffey kommt

Die Berliner SPD hat offiziell den Führungswechsel vollzogen: Franziska Giffey und Raed Saleh ersetzen Michael Müller. Doch kann das der maroden Partei helfen? Und was wird aus Müller?

Berlins Bürgermeister Michael Müller und Familienministerin Franziska Giffey, seit gestern Berliner SPD-Vorsitzende / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es menschelte gewaltig auf dem „hybriden Landesparteitag“ der Berliner SPD am Freitag und Sonnabend mit einem zentralen Podium im Berliner Hotel Estrel, digitaler Diskussion und dezentraler Urnenwahl. So viele Huldigungen und Danksagungen hat der scheidende Landesvorsitzende und noch ein paar Monate amtierende Regierende Bürgermeister Michael Müller während seiner gesamten politischen Karriere wohl noch nie erhalten.

Auch Müller selbst erlag in seiner Abschiedsrede der Versuchung, sein Wirken als langjähriger Frontmann der Berliner SPD in den schillerndsten Farben zu malen: Haushalt konsolidiert, trotzdem investiert, neue Weichen in der Wohnungs-, Mieten- und Verkehrspolitik gestellt, den Wirtschaftsstandort gestärkt, die Anziehungskraft der Stadt weiterentwickelt, „nebenbei auch noch den Flughafen fertig gebaut“ und und und …

Partei setzt alles auf Giffey - trotz Plagiatsaffäre

Das ist zwar größtenteils nicht sonderlich realitätstauglich, aber das macht nichts. Denn die Veranstaltung war primär nicht nach außen gerichtet, sondern diente offensichtlich dem Teambuilding der gebeutelten und nach wie vor in vielen Fragen heillos zerstrittenen Partei. Nur das Statement der nunmehr offiziell und mit einem recht guten Ergebnis (237 von 265 Stimmen) als neuer Leitfigur und Hoffnungsträgerin inthronisierten Franziska Giffey sollte ein öffentliches Signal senden.

Auch sie menschelte intensiv („wenn ich mit den Menschen hier rede, dann merke ich doch, dass ...“) und skizzierte ihre politische Agenda für den Fall ihrer Wahl zur Regierenden Bürgermeisterin mit den „fünf B‘s: Bauen, Bildung, Beste Wirtschaft, Bürgernähe, Berlin in Sicherheit“. Dafür werde man jetzt „gemeinsam die Ärmel“ hochkrempeln“.

Das klingt nicht sonderlich sozialdemokratisch prononciert, aber die SPD will wohl alles auf die Person Giffey als Programmersatz setzen. Ein riskanter Plan, denn die Affäre um Plagiate in ihrer Promotion ist noch lange nicht ausgestanden. Einen Plan B scheint es nicht zu geben. Ihrem Ko-Vorsitzenden Raed Saleh trieft zwar der Ehrgeiz aus allen Poren, doch außer ihm wissen wohl alle, dass er als Spitzenkandidat eine desaströse Fehlbesetzung wäre. Das spiegelte sich auch in seinem Wahlergebnis wider: Saleh erhielt lediglich 182 Stimmen.

Müller muss um Bundestagsmandat betteln

Doch was wird jetzt aus Michael Müller, der als 55-Jähriger wohl noch nicht an Ruhestand denkt? Sein Plan, sich nach dem Rückzug aus der Berliner Landespolitik ein warmes Plätzchen im Deutschen Bundestag zu sichern, entwickelte sich schnell zu einem Spießrutenlauf, der noch immer nicht beendet ist. Jungstar Kevin Kühnert machte dem Altvorderen unmissverständlich klar, dass in beider gemeinsamem Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg kein Platz für eine Direktkandidatur des Ex-Landeschefs ist – und Müller kuschte.

Bei seiner Suche landete er schließlich in Charlottenburg-Wilmersdorf – und prompt fuhr ihm mit Sawsan Chebli eine von ihm lange geförderte und als Staatssekretärin installierte Parteifreundin in die Parade, denn Chebli hat ebenfalls keine Lust mehr auf Berliner Landespolitik. Die bezirkliche Kampfabstimmung konnte er allerdings für sich entscheiden.

Ein gebuchtes Ticket für den Bundestag ist das jedoch keineswegs, denn das Direktmandat in diesem Bezirk ist keine sichere Bank für die SPD. Bliebe noch ein Spitzenplatz auf der Landesliste zur Absicherung, doch ob ihm der gewährt wird, ist unsicher. Und die Konkurrenz ist groß. Die Entscheidung wird am 19. Dezember vom einer Landesvertreterversammlung gefällt.

Im Windschatten von Wowereit an die Spitze

Für ein absolutes Spitzenamt schien der eher biedere und farblose Müller eigentlich nicht prädestiniert zu sein. Der gelernte Bürokaufmann war seit 1986 im väterlichen Familienbetrieb - einer Druckerei in Tempelhof - tätig, und begann parallel dazu seine Ochsentour durch die Niederungen der SPD, zunächst als Bezirksverordneter und Kreisfunktionär. 1996 gelang der Sprung ins Abgeordnetenhaus. 2001 übernahm er den Vorsitz der Fraktion als Nachfolger von Klaus Wowereit, der als Regierender Bürgermeister die erste rot-rote Koalition in der Hauptstadt anführte.

Schon damals galt Müller in derartigen Positionen als „Übergangslösung“, wie auch bei seiner Wahl zum Landesvorsitzenden im April 2004. Nach einer Palastrevolte verlor Müller im Juni 2012 dieses Amt in einer Kampfabstimmung gegen den Parteilinken Jan Stöß. Doch zu diesem Zeitpunkt war Müller von seinem politischen Ziehvater Wowereit bereits als Stadtentwicklungssenator in die Landesregierung befördert und zu einem seiner Stellvertreter ernannt worden.

Als der zunehmend von Pleiten, Pech und Pannen zermürbte Wowereit mitten in der Legislaturperiode im August 2014 seinen baldigen Abgang ankündigte, war mangels profilierter Kandidaten erneut eine „Übergangslösung“ für dessen Nachfolge als Regierender Bürgermeister gefragt. Müller warf seinen Hut in den Ring, und setzte sich gegen zwei Kontrahenten durch. Inzwischen hatte Müller trotz ständiger Querschüsse seines Rivalen Raed Saleh eine relativ solide Hausmacht aufgebaut, eroberte 2016 erneut den Landesvorsitz und führte die SPD anschließend als unangefochtener Spitzenkandidat trotz deutlicher Stimmenverluste in die Pole-Position einer „rot-rot-grünen“ Koalition.

Der SPD droht der Absturz

Doch seitdem dümpelt die wenig profilierte Partei, die sich von Grünen und Linken regelmäßig vorführen lässt, mit ihrem blassen Frontmann vor sich hin. Laut Umfragen könnte sie bei den kommenden Abgeordnetenhauswahlen schlimmstenfalls nur noch auf dem vierten Platz hinter Grünen, CDU und Linken landen.

Als mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey Anfang des Jahres ein politisches Schwergewicht, die noch dazu als frühere Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln über entsprechenden lokalpolitischen Stallgeruch vefügt, ihr Interesse an einer Rückkehr in die Berliner Politik signalisierte, war klar, dass Müllers Tage an der Spitze der Landespartei gezählt sind.

Und der bodenständige Bürokaufmann gehört nicht zu jenen Menschen, die sich per öffentlichem Fußtritt aus dem Amt jagen lassen wollen. Bereits im Januar kündigte er seinen stufenweisen Rückzug aus der Landespolitik an, und wird jetzt wohl noch als Corona-Krisenmanager seine Amtszeit bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021 zu Ende bringen. Was danach passiert, ist offen. Und das gilt auch für seine Nachfolgerin Franziska Giffey.

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