Die SPD auf der linken Überholspur - Es wächst zusammen, was nicht zusammen gehört

Die SPD verliert von Wahl zu Wahl ihre Wählerschaft. Geringverdiener wählen entweder gar nicht mehr oder begeben sich ins Lager der AfD. Die sozial bewussten Besserverdiener fühlen sich bei den Grünen heimisch. In ihrer Verzweiflung bandelt die SPD mit der Linken an; ein Irrweg.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken zieht ihre Partei weg vom Wähler, hin nach Linksaußen / dpa
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Autoreninfo

Hans-Roland Fäßler ist Geschäftsführer der Polimedia Beratungsgesellschaft mbH und war langjähriges SPD-Mitglied. Der Medienberater half unter anderem Peer Steinbrück in seinem Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013.

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Geschichte wiederholt sich nicht. Dieser historische Lehrsatz bestätigt sich allein dadurch, dass die SPD – anders als bei der schismatischen Ausgründung der USPD vor 103 Jahren – auf einem neuen Weg ein altes Ziel sucht: die politische Einheit der Arbeiterklasse. Saskia Esken und Kevin Kühnert sowie ihre Mitläufer von Norbert Walter-Borjans über Lars Klingbeil bis hin zu Rolf Mützenich haben den frustrierten Mehrheitssozialdemokraten – so nannte man damals die in der SPD verbliebenen Mitglieder – statt innerparteilichem Einfluss die Rolle der zahlenden Mitglieder überlassen; ohne die Beiträge der Alt-Genossen wäre die schrumpfende Partei schon jetzt pleite.

Das Geld für Jubilarehrungen und Maifeiern ist das gerade noch ausreichende Trostpflaster dafür, dass die junge Garde des Proletariats die SPD, die das neue Führungsduo bei der Mitgliederbefragung digital durchgeclickt hat, durch intensive Selbstbeschaffung von Funktionärsposten und eine massive Mobilisierung im Netz ideologisch dominiert. Kevin Kühnert, von Beruf Schwadroneur, träumt in Berlin von der sozialistischen Stadt, ohne sich dabei Ulbricht und Honecker vorhalten lassen zu wollen. Auf die Idee muss man erst mal kommen.

Mitgliederzahl seit 1990 halbiert

Er fordert die Vergesellschaftung etwa von Daimler-Benz und BMW. Deren Betriebsräte – und damit die echten Vertreter der Arbeiterklasse – betrachten das als Albtraum. Diese SPD sei für sie nicht mehr wählbar. Jetzt sagt Kühnert, er würde das so nicht mehr sagen. Aber – man darf sich nicht täuschen lassen – denken schon. Doch auch bei vielen Nostalgikern, die es immer noch in der SPD aushalten und sich lange mit der Erinnerung an eine strahlendere Vergangenheit über die düstere Gegenwart getröstet haben, wächst der Unmut. Ihre Mitgliederzahl hat sich seit 1990 mehr als halbiert.

Viele ehemalige Genossen betrachten sich – wie der jüngst verstorbene Wolfgang Clement – inzwischen als Sozialdemokraten ohne Parteibuch. Das gilt – auf der anderen Seite des linken Spektrums – auf seine Weise auch für Oskar Lafontaine. Die SPD hat als ehemalige Partei der linken Mitte keine (Band-) Breite mehr. Und Tiefe schon gar nicht. Die Wahlergebnisse der letzten Jahre und die aktuellen Meinungsumfragen bestätigen diese Tatsache auf dramatische Weise.

Keiner sagt, was ist

Es ist beschämend für die SPD, dass nur Sahra Wagenknecht von der Linken sagt, was ist. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt sie: "Die linken Parteien haben ihre frühere Wählerschaft im Stich gelassen". Und: es " drehen sich linke Debatten heute oft um Sprachsensibilitäten, Gendersternchen und Lifestyle-Fragen." An der Erkenntnis, dass sich die beiden linken Parteien nicht mehr um die sozial Schwachen kümmern,  führt jedenfalls kein Weg mehr vorbei.

Nicht nur Niedriglöhner, Kleinrentner und Arbeitslose, sondern auch untere Mittelschicht und Facharbeiter haben sich in der Geschichte der Bundesrepublik schon immer auch auf eine direkte Wählerwanderung von der SPD ins rechtsextreme Lager begeben – zu NPD, Republikanern und jetzt AfD – wenn sie sich von der SPD nicht mehr vertreten glaubten. Andere, die sich bei aller Verzweiflung ihrer historischen Verantwortung bewusst waren, wechselten ins Lager der Nichtwähler. Für die SPD jedenfalls waren – so oder so – alle Stimmen verloren. Stattdessen begehrt eine akademisierte, von eher Privilegierten als von sozial Benachteiligten getragene und geführte SPD Einlass in die Welt der Kulturcafés.

Eine Partei verliert ihre Klientel

Vom Stehimbiss oder gar einer Raucherkneipe wenden sich ihre Funktionäre schaudernd ab. Die Lufthoheit über den Stammtischen hat sie an die AfD verloren, aber auch im Juste Milieu der Großstädte haben die alternativen Eliten eher die Grünen im Tee, als dass sie abgestandenen Roten nähmen. Die SPD läuft einer Klientel hinterher, die sie nicht (mehr) wählt. Es gibt noch rühmliche Ausnahmen: Oberbürgermeister und Landräte, die sich bei Direktwahlen dann durchsetzen, wenn die Menschen ihnen ganz persönlich ihr Vertrauen schenken, weil diese Sozialdemokraten wissen und sagen, was ist. Die Erfolge ihrer direkt gewählten Kommunalpolitiker nehmen Funktionäre in Bund und Ländern immer wieder als Beleg dafür, dass die Partei noch siegen kann.

Aber: es gibt nicht einen einzigen Oberbürgermeister in den Spitzengremien der Bundes-SPD. Kein Wunder: die Abneigung ist gegenseitig. Saskia Esken und Kevin Kühnert steuern ein Bündnis mit der Linken an. Das jämmerliche Ende der USPD, von der sich noch im Gründungsjahr 1917 die KPD abspaltete, und die sich dann drei Jahre später noch einmal selbst zerlegte, weil Teile davon zu den Kommunisten überliefen, während andere wieder in den Schoß der SPD zurückkehrten, wird ihnen vielleicht eine Warnung sein.

Opposition mit der Linken

Nach Lage der Dinge kann es zunächst nur ein Bündnis in der Opposition geben. Das gilt zwar als demokratische Perversion. Aber die SPD-Fraktion im Augsburger Stadtrat hat das – unbeanstandet von Landes- und Bundes-SPD – bereits in die Tat umgesetzt. Dort haben sich im Rathaus die Wahlverlierer als "SPD/DIE LINKE-die soziale Fraktion" zusammengeschlossen. Das ist ein Dammbruch. Der folgerichtige Schritt wäre dann eine gemeinsame Liste für die Kommunalwahl 2026.

Niemand kann heute sagen, wohin dieser Weg in Bund und Ländern führen wird, aber fürchten darf man sich schon. Es scheint, dass die Lassalle- und Bebel-treuen Pragmatiker in der SPD im unerklärten Krieg mit den Neo-Marxisten bereits kapituliert haben. Die SPD war immer zwei Parteien in einer. Nach der Abspaltung der USPD vor 123 Jahren schien sich dieses Dilemma aufzulösen. Mit der Rückkehr derjenigen Genossen in die SPD, die sich nicht dem Marxismus-Leninismus unterwerfen wollten, war die Debatte um die Diktatur des Proletariats beendet. Der demokratische Sozialismus gewann an Kontur – und an Zustimmung. Aber im (Neo-) Marxismus, der in der Partei auf dem linken Flügel immer noch seinen Platz hatte, gibt es seit jeher zu viel Falsches im Richtigen: seine Vertreter lehnen die Übernahme internationaler Verantwortung ab, haben ein ökonomiekritisches Verständnis von sozialer Marktwirtschaft und sind – auch das eint Linke und linke Sozialdemokraten – doktrinäre Ideologen.

Das Logo wäre schon fertig

Gewiss: Geschichte wiederholt sich nicht. Eine Zwangsvereinigung von Linke und SPD wird es, anders als 1946, als die Sowjets SPD und KPD in die SED pressten, nicht geben. Diesmal wird es ganz freiwillig gehen. Die SPD ist dann Geschichte.

Verlierer wären die große Zahl von Sozialdemokraten, die diesen Schritt nicht mitmachen wollten und sich eine neue politische Heimat suchen müssten, und die Designer. Das Logo im Retro-Look wäre nämlich schon fertig:

 

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