SPD - In Daueropposition gegen sich selbst

Mit dem Beginn der Koalitionsverhandlungen kehrt keineswegs Ruhe in die SPD ein. Die „NoGroKo“-Bewegung ist stark, ihr gegenüber steht eine zu zaghafte Parteispitze. Die Angst vor der Verantwortung hat in der Partei Tradition

Die „NoGroKo“-Bewegung: viel Wind für eine Verweigerungsstrategie / picture alliance
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Gernot Fritz arbeitet als Rechtsanwalt. Früher war er Bundesbeamter, zuletzt bis 1999 Ministerialdirektor und stellvertretender Chef des Bundespräsidialamtes.

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Wer glaubt, die SPD sei nach dem Beschluss des Bonner Parteitages wieder in der Spur, verkennt das Ausmaß ihrer Misere. Und wer die Rebellion der SPD-Linken gegen die Große Koalition zum erfreulichen „frischen Wind“ verklärt, nimmt Unregierbarkeit in Kauf. Denn die „NoGroKo“-Bewegung kopiert eine Verweigerungsstrategie, die bisher AfD und Linke kennzeichnete.  

Die SPD hat das Dauerproblem, beim Regieren die Opposition nicht zu verlassen. Seit Willy Brandt hat sie im Bund ihre Kanzler und Minister nur gestellt, aber nicht getragen. Mit Helmut Schmidt fremdelte die Partei von Anbeginn, Gerhard Schröder sah sie als aufgedrängte Bereicherung, dessen Widersacher Oskar Lafontaine wechselte frustriert ins radikale Lager. Superminister Wolfgang Clement wurde aus der Partei gedrängt, an Peer Steinbrück wollen sich Sozialdemokraten nicht mehr erinnern. Selbst das, was die rot-grüne Wunschkoalition politisch schuf, überlebte im Programm der SPD nur eine Schamfrist und steht heute teilweise unter sozialdemokratischem Dauerfeuer. 

Frei von der Verantwortung des Machbaren

In der ersten Merkel-Koalition wurde Vizekanzler Franz Müntefering von seiner Partei so gedemütigt, dass er den SPD-Vorsitz hinschmiss. In der zweiten Großen Koalition zog Parteichef Sigmar Gabriel rechtzeitig die Notbremse, als es in der SPD einsam um ihn wurde. Die Genossen rächten sich an ihm mit einem 100-Prozent-Votum für Nachfolger Schulz, das innerparteilich zugleich Mittel zum Zweck war, weil ihm niemand ernstlich die Sprunghöhe für das Kanzleramt unterstellte: Es war auch ein Signal, mit der Regierungsverantwortung abschließen zu wollen. Denn im Wahlkampf attackierte die SPD lustvoll das, was sie in der Regierung selbst verantwortet hatte. Ein schizoider Zug, der Verdruss am Regieren offenbarte. 

Nach der erwartbaren Wahlniederlage zeigte das kategorische und wiederholte „Nein“ der gesamten Parteispitze zu einem Regierungseintritt, dass die SPD von Verantwortung frei bleiben wollte, um sich nicht länger am lästigen Maßstab des Machbaren orientieren zu müssen. Folgerichtig hat die SPD ihre Volte Richtung GroKo nicht aus eigener Kraft vollzogen, sondern dem Bundespräsidenten zugeschrieben. Nun ist eine Verbeugung vor dem Staatsoberhaupt keine Sünde – wäre da nicht der Beigeschmack, ein Alibi zu benötigen.  

Hybrid aus „Nein“ und „Vielleicht“

Was ist von einer Partei zu halten, die ohne Ermahnung des Bundespräsidenten nicht weiß, dass ihre Wähler sie in der Verantwortung sehen wollen – und nicht in der Ruhezone ideologischer Selbstreflexion? Die ihre eigenen Regierungsmitglieder routinemäßig abstraft? In der ein Parteitagsbeschluss den Auftakt für einen Guerillakampf der Unterlegenen gegen die erst kürzlich ins Amt gehobene Führung bildet? Und in der sich die Minderheit als Sieger der Herzen fühlen darf, weil eine amateurhaft agierende Parteispitze nicht wagt, einen Regierungseintritt offen anzustreben? Die Brexit-Strategie lässt grüßen. Auch der frühere britische Premier David Cameron wollte sich durch ein rechtlich unverbindliches Plebiszit Bestätigung holen und verlor stattdessen Macht und Orientierung. Auch der Fahrplan der SPD hat so viele Sollbruchstellen, dass es ohne weitere Scherben nicht ablaufen kann. 

Egal, wie ein möglicher Koalitionsvertrag aussehen mag – die Mitgliederbefragung der SPD wird eine Zitterpartie: Ein großer Teil der Partei will aus Prinzip keine Große Koalition, und der andere allenfalls unter Vorbehalt. Selbst bei einer Zustimmung der Mitglieder wird eine Koalition kein Selbstläufer: Die Kanzlermehrheit beträgt 355 Stimmen. Union und SPD verfügen über 399 Sitze. Bei der ersten Großen Koalition fehlten Merkel aus dem Regierungslager 51 Stimmen, bei der zweiten 42. Damals freilich gab es in der SPD keine vergleichbaren innerparteilichen Kampagnen der Gegner. Bleiben in der SPD-Fraktion nur 29 Prozent bei ihrem „Nein“, ist die Große Koalition endgültig gescheitert. 

Ohne Zweifel braucht Deutschland eine stabile Regierung – aber mit einem Hybrid aus „Nein“ und „Vielleicht“ ist diese Stabilität nicht zu erreichen.

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