SPD-Bundesparteitag - „Norbert, komm zu mir!”

Der Bundesparteitag der SPD hat Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu den neuen Parteivorsitzenden gewählt. Die langersehnte Aufbruchstimmung ging jedoch nicht von dieser Personalie aus. Stattdessen demonstrierte die Partei, wie man Konflikten aus dem Weg geht

Juhu-Rufe für ihn, sparsamer Applaus für sie: NoWaBo und Saskia Esken / picture alliance
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Der Parteitag der SPD in Berlin hat den Willen ihrer Mitglieder vollzogen: Mit 75 Prozent für Saskia Esken und 89 Prozent für Norbert Walter-Borjans bestätigten die gut 600 Delegierten am Freitagnachmittag das knappe Ergebnis der Mitgliederbefragung. Aber auch, wenn der Parteitag unter dem Motto „In die neue Zeit“ steht – Aufbruchsstimmung will nicht aufkommen. Esken, in rotem Jacket und Turnschuhen, hatte zuvor in ihrer Rede viel von sich selbst gesprochen, von ihrem Aufstieg von der Paketbotin über die Software-Entwicklerin zur Bundestagsabgeordneten.

Die 58-Jährige verdammt erwartungsgemäß die Agenda 2010 von Gerhard Schröder und verspricht: „Wir waren die Partei, die Hartz IV eingeführt hat, wir sind die Partei, die Hartz IV überwinden wird.“ An dieser Stelle schwenkt die Parteitagskamera auf den im Kampf um den Vorsitz unterlegenen Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz, der zu den Politikern der Schröder-Ära gehört. Scholz setzt sein grimmig-lächelndes Pokerface auf, klatscht erwartungsgemäß nicht. Als Norbert-Borjans später die schwarze Null verdammt, Markenzeichen des Finanzministers, schwenkt die Kamera nicht mehr auf Scholz.

Grüne Allgemeinplätze

Überhaupt der Applaus: Sowohl bei den Reden von Esken als auch bei Norbert Walter-Borjans kommt der eher pflichtschuldig, abgesehen von sporadischen „Juhu“-Rufen aus der Juso-Ecke. Das ist folgerichtig: Das knappe Ergebnis der Mitgliederbefragung – 53 Prozent für das Siegerpärchen, 45 Prozent für Scholz/Geywitz – hatte viele Delegierte enttäuscht nach Berlin fahren lassen. Im Übrigen: Hätten Scholz/Geywitz knapp gewonnen, wäre der Effekt derselbe gewesen, nur andersherum.

Auch für den Satz „Mit dem Leitantrag geben wir der Groko eine Chance – nicht mehr und nicht weniger“ bekommt Esken kaum Applaus. Kein Wunder, hatte sie sich doch im „Wahlkampf“ um den Parteivorsitz klarer gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition präsentiert. Ansonsten liefert Esken Allgemeinplätze zur Vereinbarkeit von Ökologie und Sozialem und zum nötigen Ausbau der digitalen Infrastruktur – nichts, was es nicht genau so auch auf dem Parteitag der Grünen zu hören gab – dort aber mit wahrem Enthusiasmus und nicht müde beklatscht. „In der digitalen und ökologischen Revolution werden wir an der Seite der Beschäftigten stehen. Wer, wenn nicht wir?“, fragt sie – und spöttelt: „Vielleicht die Initiative Soziale Marktwirtschaft, Christian Lindner, Friedrich Merz?“ Genau das ist das Problem: Denn diese Rolle haben der SPD, das zeigen Umfragen und Wahlergebnisse, vielerorts die Grünen abgenommen.

Esken hat die Hosen an

Zum Ende ihrer Rede spricht Esken vom „Mut“, den die Partei mit der Entscheidung zu einer Doppelspitze gezeigt habe – aber ist das nicht in Wirklichkeit ein Hinterherlaufen hinter dem Zeitgeist? Deshalb, so Esken, „konnte ich einem Mann an meiner Seite eine Chance geben.“ Dann ruft sie „Norbert, komm zu mir“, und „Nowabo“ darf auf die Bühne kommen. Die Szene zeigt deutlich, wer in diesem Duo wen ausgewählt hat: Esken wollte für den SPD-Vorsitz kandidieren und fand in dem 67-jährigen Walter-Borjans, der seine politische Karriere eigentlich schon beendet hatte, den passenden Partner. „Hört ihr die Signale!?“ ruft Esken Arm in Arm mit Walter-Borjans, dann überlässt sie ihrem Co-Parteivorsitzenden in spe die Bühne.

Der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister gibt zu Anfang den Friedensfürsten, inklusive Verneigung gegenüber Willy Brandt und seiner Entspannungspolitik. CDU-Chefin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer wirft er eine „Militarisierung der Außenpolitik“ vor. Er und Esken stünden für eine „soziale Offensive“ für Europa, während AKK einen europäischen Flugzeugträger bauen wolle. „Mit uns Sozialdemokraten wird der nicht gebaut“, verspricht er den Delegierten.

Was links sein soll, ist wahrhaft sozialdemokratisch

Rhetorisch elegant deutet er dann den angeblichen „Linksruck“ der SPD als Rückkehr zur wahren Sozialdemokratie um: In den 70er Jahren, so Walter-Borjans, habe die ärmere Hälfte der Bevölkerung einen Anteil am Gesamteinkommen gehabt, der doppelt so hoch war wie heute. „Wenn eine Rückkehr zur Partei Willy Brandts und in meinem Fall auch Johannes Raus ein Linksschwenk der Partei ist, dann bitte sehr, dann machen wir den gemeinsam.“

Es ist der einzige Satz an diesem Tag, der rauschenden Applaus erhält. Dass Walter-Borjans später von bedeutend mehr Delegierten gewählt wird als Esken, verdankt er wohl seiner Betonung, zur wahren Sozialdemokratie gehörten auch die Bekämpfung von Kriminalität und die Schaffung von Sicherheit. „Das sind keine rechten Themen, das sind Themen für ein gerechtes Miteinander.“ Rechtsextreme wie Islamisten bedrohten die freiheitliche Gesellschaft gleichsam – ihnen müsse man sich entgegenstellen.

Das Signal, das dieser Parteitag aussenden soll, ist Geschlossenheit. Deshalb ist der Leitantrag zur Zukunft der Großen Koalition, über den später abgestimmt wird, eher auf ein „Weiter so“ gestylt worden als auf „Raus aus der Groko!“. Und deshalb hat die Parteiführung sogar bei der Wahl zu den Vize-Parteivorsitzenden einen möglichen Konflikt umschifft: Um eine Kampfkandidatur von Juso-Chef Kevin Kühnert gegen den „Realo“ Hubertus Heil zu vermeiden, wurde die Zahl der Vize-Parteichefs kurzerhand auf fünf vergrößert.

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