Deutsche Sozialdemokratie - Eine Partei dreht durch

Am Pfingstwochenende taten sich mehrere Führungsfiguren der SPD durch steile Forderungen hervor: Franziska Giffey etwa will Konjunkturhilfen für Unternehmen von einer Frauenquote abhängig machen, während Parteichefin Saskia Esken der Antifa applaudiert. Kein Wunder, dass die Corona-Krise den Niedergang der Sozialdemokraten beschleunigt.

Franziska Giffey: Vorstoß in die Gegenrichtung / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Vielleicht sind lange Wochenenden wie jetzt an Pfingsten einfach kein Gewinn für die SPD. Denn was diverse Funktionäre bei solchen Gelegenheiten an Statements und Forderungen raushauen, findet dann eben noch einen Tag mehr Gehör als üblich – und bleibt auf diese Weise womöglich sogar im Gedächtnis der Wähler haften. Ein ansonsten nachrichtenarmer Feier-Montag mit der guten Chance auf publikumswirksame Aufschläge in den Medien verkehrt sich für die deutsche Sozialdemokratie damit in ein Schaulaufen der Inkompetenz, das selbst wohlgesinnte Parteibuchbesitzer nur noch ratlos am Wegesrand stehen lässt. Der Highway in die politische Bedeutungslosigkeit führt jedenfalls für die SPD durch ein tiefes Tal, in dem die verzweifelten Rettungsrufe der Führungsfiguren nur noch im eigenen Echo verhallen. Es ist gespenstisch und traurig zugleich.

Beginnen wir bei einer Frau, der das Format für den Posten an der Parteispitze von durchaus mehr als nur ein paar sektiererischen Gefolgsleuten unterstellt wurde wie beim aktuell amtierenden Spitzen-Duo Esken/Walter-Borjans: Franziska Giffey, beruflich derzeit als Bundesfamilienministerin unterwegs. Der früheren Bezirksbürgermeisterin von Neukölln wird allenthalben ein gewisser Pragmatismus nicht nur beim Verfertigen von Promotionsschriften nachgesagt, sondern auch und gerade mit Blick auf das richtige Leben, wie es sich insbesondere an alter Wirkungsstätte eines Berliner Problemkiezes nicht immer von seiner angenehmsten Seite zeigt. Und weil Giffey in Neukölln die Auswüchse milieubedingter Macho-Kultur wohl aus nächster Nähe hat miterleben müssen, kam von ihr soeben ein Vorstoß in die Gegenrichtung.

Gelegenheit für die eigene Gender-Agenda

Im Interview mit der Bild am Sonntag zum Corona-Konjunkturprogramm der Bundesregierung befragt, baute die Familienministerin vorsorglich schon mal ein paar Hürden auf: Wer Geld vom Staat bekommen wolle, „sollte im Gegenzug etwas dafür tun, die Lohnlücke zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reduzieren, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken oder Frauen in Führungspositionen zu bringen“, so Franziska Giffey. Selbst in der aller Voraussicht nach tiefsten Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik stehen damit nach Auffassung der sozialdemokratischen Hoffnungsträgerin nicht das wirtschaftliche Überleben abertausender Betriebe und die Sicherung hunderttausender Arbeitsplätze im Vordergrund. Sondern Quoten und familienkompatible Workflows, die gefälligst auch im Existenzkampf implementiert werden sollen.

Oder vielleicht gerade dann, denn wenn Corona der SPD schon keinen Aufwind bei den Umfragewerten verschafft, kann man die Krise ja wenigstens als Gelegenheit nutzen, um die eigene Gender-Agenda durchzupauken. So etwas kommt wohl zwangsläufig dabei heraus, wenn im Zuge der Neujustierung sozialdemokratischer Klientelpolitik irgendwann die Klientel abhandengekommen ist. Die Interessen des arbeitenden Teils der Bevölkerung scheint die einstige Arbeiterpartei inzwischen lieber CDU und CSU anvertrauen zu wollen.

„58 und Antifa. Selbstverständlich“

Das könnte auch der Grund dafür sein, warum die schleswig-holsteinische SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli sich am Wochenende dadurch hervortat, via Twitter die 30-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Personal- und Lohnausgleich zu fordern. Ihre Begründung: Die Produktivität steige, und mit ihr die Belastung der Menschen; man wolle den Wandel der Arbeitswelt nutzen, um weitere Fortschritte für die Beschäftigten zu erreichen. Nun wäre eine gewisse ökonomische Expertise bestimmt zu viel verlangt, denn die Erkenntnis, dass in Deutschland vielmehr die unzureichenden Produktionszuwächse ein massives wirtschaftliches Problem geworden sind, muss die Nord-SPD ja nicht weiter beschäftigen. Aber ob es angesichts eines dramatischen Konjunktureinbruchs jetzt der richtige Moment ist, um arbeitsmarktpolitische Wolkenkuckucksheime zu bauen – diese Frage sollte sich die schleswig-holsteinische Parteiführung vielleicht doch stellen. Es sei denn, sie will sowieso nicht regieren. Was ja unter diesen Umständen durchaus nachvollziehbar wäre.

Deswegen ist es auch beinahe schon müßig, auf die Twitter-Aussonderungen der SPD-Bundesvorsitzenden überhaupt noch weiter einzugehen. Saskia Esken jedenfalls ergriff am Wochenende vor dem Hintergrund der amerikanischen Proteste gegen rassistische Polizeigewalt mal wider das allzu kurze Wort: „58 und Antifa. Selbstverständlich“, vermeldete sie unter Bezugnahme auf ihr eigenes Alter und ihren politischen Freundeskreis. Den Einwand, dass die Antifa mitunter eben auch durch militanten Linksextremismus in Erscheinung trete, bügelte die oberste Sozialdemokratin unwirsch nieder: „Ich akzeptiere weder das Reframing durch die Neue Rechte noch die Besetzung durch Gewalttaten ,linker‘ Randgruppen, die wie jede Gewalttat verwerflich sind und strafrechtlich verfolgt gehören. Antifa ist und bleibt für mich, wie der Duden sagt ein Kurzwort für Antifaschismus.“ Dass die Antifa – Duden hin oder her – seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird, scheint für Esken zum guten Ton zu gehören: Da manifestiert sich offenbar am ganz linken Rand eine street credibility, die die gute alte SPD längst verloren hat.

Nach so einem bunten Wochenende voller bemerkenswerter sozialdemokratischer Verlautbarungen und Ideen bleibt die Frage: Ist das Politik oder kann das weg? 85 Prozent der Wähler finden: Letzteres ist der Fall.

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