Sozialdemokratie - Warum der linke Kampf gegen Rechts in eine Sackgasse führt

Links zu sein, bedeutet oft nur, gegen Rechts zu sein. Das ist das Selbstverständnis der Kreise, in denen sich unter Autor bewegt. Als Sozialdemokrat weist er seiner Partei eine Mitschuld am Aufstieg der AfD zu. Statt Rechts zu bekämpfen, müsse sie wieder Stimme der Ungehörten werden

In der Sackgasse: Der Kampf gegen die AfD nutzt vor allem der AfD / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Dieser Tage wird der „Kampf gegen rechts“ von Seiten der Linken ausgerufen. In ihrer Vorstellung muss das rechte Gedankengut mit aller Vehemenz im Kern erstickt werden. Ob in der U-Bahn, auf Facebook oder am Stammtisch. Widerstand leisten, als Akt der Demokratieverteidigung. Nur so lässt sich das Rechte in ihren Augen bekämpfen.

Ganz klar, auch mir bereitet der Rechtsruck der vergangenen Jahre große Sorge. Jedoch habe ich in den letzten Monaten den Eindruck, dass der linke Kampf gegen rechts in eine Sackgasse führt. Vor allem: Die linken Parteien tragen mit ihrem eigenen politischen Versagen einen ganz erheblichen Mitanteil am Aufstieg rechter Parteien. Des einen Abstieg, ist des anderen Aufstieg. Selbstkritik sollte das linke Gebot der Stunde sein.

„Kein Bock auf Nazis“

Aufkleber auf urbanen Straßenlaternen taugen nicht als Spiegel der Gesellschaft, jedoch als messerscharfer Einblick in das politische Seelenleben meines linken Bekanntenkreises. Auf ihnen sind Slogans wie „FCKAfD“, „Nazis raus“ oder „Kein Bock auf Nazis“ zu lesen. Meine Freunde halten es für einen pointierten Protest gegen rechts. Ich begreife es als das, was es ist. Eine inhaltsleere Plattitüde. Viel davor, wenig dahinter. Viele meiner Bekannten haben das Bild einer moralischen Zweiklassengesellschaft.

Es gibt „Hell- und Dunkeldeutschland“. Vegane Kochabende in Freiburg ringen gefühlsmäßig im Kampf um die Zukunft Deutschlands gegen Pegida-Aufmärsche in Dresden. Das Total-Gute gegen das Total-Böse. Dabei kopieren sie in ungewollter Weise oftmals das Schwarz-Weiß-Denken des politischen Feindes. Das kritisierte Stilmittel der persönlichen Verachtung des politischen Gegenübers wird sich selbst angeeignet. Egal ob auf Twitter, in der Universität oder, noch viel schlimmer, bereits im Bundestag.

Das Pathos des „Guten“ 

Die wichtige Unterscheidung zwischen Funktionären und Wählern der AfD wird selten gemacht. Meine Freunde hinterfragen kaum, weshalb die AfD bei einem nicht unwesentlichen Anteil der Bevölkerung populär ist. Eine kluge Gegenwartsanalyse als Anleitung im Kampf gegen rechts: Mangelware. Sie leiten ihr antifaschistisches Vorgehen vor allem aus den nicht zu Ende gedachten Überlegungen über die Machtergreifung in der Weimarer Republik ab.

Übertragen auf die heutige Zeit heißt dies, dass ganz nach dem Credo „Wehret den Anfängen“, jede Gegendemonstration zur ultimativen Rettung unserer Demokratie wird. Ein stilisiertes Pathos des Guten. Dabei ist eine kämpferische Rigorosität immer der erste Feind der feinen Grautöne. In der Konsequenz erleben wir einen vergifteten Diskurs von beiden politischen Polen. Die strategischen Köpfe der AfD lachen sich ins Fäustchen. Die politische Mitte wirkt leider wie ein Relikt vergangener Tage.

Die Stimme der Ungehörten

Die AfD ist ungebrochen Anlaufstelle für Bürger, die ihren Unmut artikulieren. Doch wie kann der Aufstieg der AfD und die Spaltung der Gesellschaft tatsächlich überwunden werden? Ausgangspunkt muss immer die Frage sein, warum sich viele Bürger nicht mehr von den politischen Parteien vertreten fühlen. Dabei sticht vor allem die Anziehungskraft der AfD bei vielen ehemaligen Wählern der SPD, der Linkspartei und den Nichtwählern ins Auge. Den Ungehörten, die den linken Politikern unserer Tage, den Rücken kehrten. In ganz Europa verwandelten sich einstmalige sozialdemokratische Hochburgen in rechte Hochburgen.

Statt rot, wählt man zumindest zu einem großen Anteil lieber blau. Doch, statt die AfD, mitsamt ihren Wählern, als den Inbegriff des Bösen zu dämonisieren, sollten linke Parteien vor allem wieder eine radikale Selbstkritik wagen. Vor der eigenen linken Haustür kehren. Dies ist der wirksamste Kampf gegen rechts! Denn die einseitige Ausgrenzung möglicher AfD-Sympathisanten führt zu einer noch engeren Bindung an ihre neue Parteiliebe. Je heftiger von außen eingedroschen wird, desto stärker die blaue Gemeinschaft im Inneren. Ein Opfermythos entsteht, der ganze Berge versetzen kann und in unserem Fall, ein ganzes Parteiensystem.  

Globalisierung versus Spießigkeit

Es geht zurzeit ein Riss durch unsere Gesellschaft zwischen jenen, die Globalisierung und kulturelle Öffnung unseres Landes als Bereicherung begreifen und jenen, die in ihr eine Bedrohung sehen. Verkürzt gesagt: Somewheres gegen Anywheres. Berlin-Kreuzberg gegen Bad Kreuznach. Meine Lebenserfahrung: Engagierte Sozialdemokraten sind heute überwiegend kulturbeflissene Akademiker. Kosmopoliten. Zwei Sonnensysteme prallen aufeinander. Globalisierung und kulturelle Entgrenzung galt als Wunderwaffe gegen Engstirnigkeit und Spießigkeit. Aus Linken wurden insgeheim Liberale.

Die meisten meiner Juso-Freunde sind Akademiker. Kampf gegen Sexismus liegt ihnen in ihrer liberalen Lebenswirklichkeit näher als der brutale Konkurrenzkampf auf dem Wohnungsmarkt. Die allermeisten haben perfekt verinnerlicht, wie die individualisierte Wissensgesellschaft tickt. Begünstigte unserer Zeit eben. Aus materiellem Überleben wird bei ihnen ästhetische Lebenskunst. Ein Habitus entsteht, der so kaum der Alltagswelt der „normalen Leute“ entspricht.

Schöne neue Welt  

Auch ich, Akademikerkind, nehme mich in dieser Selbstkritik nicht aus. Ich durfte das Leben immer von der Sonnenseite aus betrachten. Gebürtig aus dem Karlsruher Speckgürtel. Dem wirtschaftsstarken Süden. Arbeitslosigkeit gab es in meiner Vorstellungswelt nur in Reportagen über Mecklenburg-Vorpommern. Globalisierung bedeutete für mich Erasmus-Studium in Paris und die Interrail-Tour in Südeuropa. Eben schöne neue Welt. Doch was, wenn nicht jeder in dieser Gesellschaft an der angeblich schönen neuen Welt teilhaben darf? Unmut ist unvermeidlich.

Die SPD „muss wieder dorthin zurückgehen, wo es brodelt, riecht und stinkt“, sagte Sigmar Gabriel 2009 auf dem SPD-Parteitag in einer glänzenden Rede. Das gilt für linke Parteien allgemein. Die SPD muss wieder beginnen, auf der Seite derer zu stehen, die sich in der Parteienlandschaft nicht mehr repräsentiert sehen. Ein Anwalt derer werden, die nicht von den gewaltigen gesellschaftlichen Umbrüchen der letzten Jahrzehnte profitiert haben. Linkssein muss heißen: Sicherheiten im Wandel garantieren.

Auf der Schattenseite des Lebens 

Der Apparat der linken Parteien muss wieder geöffnet werden für Menschen, die auch die Schattenseite des Lebens kennen. Die die Sprache und den Habitus der Straße verstehen. Die Realismus und Linkssein nicht als Widerspruch verstehen, sondern als sich gegenseitig bereichernde Grundlagen einer ungeschönten Sicht auf die Welt.

Man stelle sich nur mal eine Parteispitze der SPD vor, die aus einem Gelsenkirchener und einer Brandenburgerin besteht. Ein Sprachrohr des Durchschnittbürgers mit seinen Alltagsproblemen eben. Eben wieder das sein, was Sozialdemokratie ursprünglich bedeutete. Eine Sozialdemokratie, die keine Alternative von rechts als notwendig erscheinen lässt.  

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