Sommerpressekonferenz von Angela Merkel - Letzte Fragen

Die Bundespressekonferenz der scheidenden Kanzlerin war eine Abschiedsrunde der Plattitüden – und das, obwohl im Westen des Landes gerade 170 Menschen gestorben sind und die Corona-Inzidenzen wieder nach oben klettern. Von Kritik und Kontrolle der Medien war kaum etwas zu spüren. Beglückt ging Merkel: „Ich sage Dankeschön. Es war mir eine Freude.“

Kanzlerin Merkel in Abschiedsstimmung Foto: Wolfgang Kumm/dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Der Abschied ging in die Binsen. Angela Merkels heutige letzte Sommerpressekonferenz litt unter technischen Schwierigkeiten. Die Krisen-, Flüchtlings-, Klima- und Corona-Kanzlerin war gerade dabei, der versammelten Hauptstadtpresse ein paar Fehler ihrer Digital-Politik einzugestehen, als die Mikrofonanlage im Saal zusammenbrach. „Die Digitalisierung bedarf eines großen Kraftakts“, hatte Merkel noch gesagt. Dann war der Saft weg. Zumindest auf Seiten der Journalisten.

Während Techniker eifrig versuchten, die Soundanlage noch einmal neu zu starten – ein Unterfangen, das letztlich missglückte –, saß Merkel erstarrt und vollkommen regungslos den Medienvertretern gegenüber und sagte kein einziges Wort mehr, zumindest über zehn lange Sekunden hinweg. Es war eine geradezu symbolische Situation. Kanzlerin und Medien vereint in einer beklemmenden Sprachlosigkeit. Hier eine in gletscherblau gekleidete Politikerin, die in Gestik wie Mimik fast zum Buddha erstarrte, dort die Journalisten, Kommentatoren und Redner, die ohne funktionierende Mikrofone so hilf- und wortlos waren wie die zahnlosen Tiger aus der Fabel.

Regressive Impulse

Dabei schien das Verhältnis zwischen erster und vierter Gewalt eigentlich immer ein gutes gewesen zu sein. Kritiker haben gelegentlich sogar moniert, es sei ein viel zu gutes gewesen. „Viele Journalisten wollen Frau Merkel auf dem Schoß sitzen“, hatte der langjährige Politikjournalist und spätere Hochschullehrer Michael Haller einmal über das gewandelte journalistische Selbstbild in den vier Amtszeiten von Angela Merkel gesagt. „Wenn ich Berufseinsteigern erzähle, dass unser Bundesverfassungsgericht vor 50 Jahren wörtlich sagte, der Journalismus habe gegenüber Staat und Politik ,Kritik und Kontrolle‘ zu üben, dann ernte ich oftmals ungläubiges Staunen“, sagte Haller in einem Interview vor gut vier Jahren, also noch weit vor Corona.

Auch bei diesem vielleicht letzten Tête-à-Tête von Exekutive und Medien, genannt Bundespressekonferenz, schien manch ein Journalist seine regressiven Impulse nur schwer unterdrücken zu können. Von Kritik und Kontrolle jedenfalls war nur in wenigen Wortmeldungen etwas zu spüren. Das änderte sich auch nicht, nachdem die Journalisten dazu übergegangen waren, ihre Fragen aufgrund der anhaltenden technischen Probleme mit lauter Stimme in den Saal hineinzurufen.

„Wie fühlen Sie sich?“

„Freuen Sie sich schon aufs Ausschlafen oder auf die Memoiren?“, wollte da etwa eine österreichische Journalistin von Merkel wissen. Die Antwort: „Ich werde mit meiner Zeit schon was anzufangen wissen.“ Eine andere mochte es gar noch inhaltsleerer: „Wie fühlen Sie sich? Stellen sich bereits nostalgische Gefühle ein?“, fragte sie, wie eine Sportreporterin beim Einlauf der Marathonläufer ins Stadion. Und wieder ein anderer: „Welches ist Ihr liebster Staatschef, und warum?“

Es war der Vormittag der Plattitüden – und das, obwohl im Westen des Landes gerade 170 Menschen gestorben waren, die Corona-Inzidenzen wieder nach oben klettern und Merkel zu Beginn der Pressekonferenz sogar hatte durchblicken lassen, dass eine „Normalität“ (gemeint war jene Normalität, in der freie Bürger den vollumfänglichen Schutz ihrer Verfassung genießen) so schnell wohl nicht wieder zu haben sein dürfte.

Glückskekse zuhauf

Es war eine Feststellung, sachlich und nüchtern. Doch die Mitglieder der Bundespressekonferenz schienen sie entweder gar nicht gehört zu haben, oder sie wollten von ihrer Kontrollfunktion in dieser gefühlsduseligen Abschiedsrunde lieber keinen Gebrauch machen. Stattdessen lieferten sie sich mit der scheidenden Kanzlerin eine einzige Phrasenkatastrophe: „Die Welt ist wie sie ist, und Politik hat die Herausforderungen zu bestehen, die anstehen“, war etwa so ein typischer Merkel-Satz an diesem Morgen. Oder: „Wir sind Teil einer Weltgesamtheit.“

Darf’s noch ein Glückskeks mehr sein? Wie wäre es mit diesem: „Ohne Herkunft keine Zukunft“ (in Bezug auf Merkels Erziehung in der DDR). „Die Welt entwickelt sich unglaublich dynamisch“ (zu den ökonomischen Herausforderungen der Gegenwart). Ach, und dann auch noch diese interessante Feststellung in Bezug auf unterschiedliche Geschlechter: „Frauen und Männer sind nicht in sich gleich. Es gibt verschiedene Männer, es gibt verschiedene Frauen.“ Fazit: Frauen sind anders, Männer auch. Weitere Fragen? Klar. „Was machen Sie eigentlich am Wahlabend gegen 18 Uhr?“ Antwort: „Ich werde Verbindung zu der Partei haben, die mir nahesteht.“ Welche das dann sein wird, darüber darf noch spekuliert werden. Zwar präzisiert sich die Kanzlerin umgehend und sagt, dass es die gleiche Partei sei, deren Mitglied sie auch ist, doch als sie an einer anderen Stelle der Pressekonferenz gesteht, dass sie es als ihre Aufgabe sehe, parlamentarische Mehrheiten für die Positionen von Fridays for Future zu organisieren, klingt sie eher wie der politische Arm von Luisa Neubauer denn wie die einstige Parteivorsitzende der CDU.

Vom Himmel auf die Erde

Wenn es bei dieser Veranstaltung neben den Fragen für den allgemeinen Hausgebrauch überhaupt inhaltlich gewichtige Fragestellungen gab, dann bezogen sich die zumeist auf die Klimapolitik, auf Kyoto, Paris oder den Ausbau erneuerbarer Energien. Lediglich ein Journalist vom Handelsblatt holte die Debatten um die aktuelle Hochwasserkatastrophe vom Himmel auf die Erde zurück. Er wollte von Merkel schlicht wissen, was sich am Hochwasserschutz zukünftig ändern müsse. Hier aber fiel die Antwort der Kanzlerin leider mager aus: „Welche Schlussfolgerungen man aus dem aktuellen Hochwasser zieht, das muss man sehen […]. Da muss noch einmal vollkommen neu nachgedacht werden.“

Dieses ganz neue Nachdenken aber wird wohl an anderer Stelle stattfinden müssen. Diese 29. und vermutlich letzte Bundespressekonferenz mit Angela Merkel war für tiefergehende Gedanken viel zu wort- und inspirationslos. Beglückt von so viel fehlender Kritik ging Merkel mit einem Lächeln: „Ich sage Dankeschön. Es war mir eine Freude.“

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