Selbstbestimmungsgesetz - Zwischen Allmachtsanspruch und Ohnmachtswirklichkeit

Die Absurditäten des künftigen Selbstbestimmungsgesetzes werden die Bürger und nicht zuletzt auch den Staat zwingen, die neuen Regeln selbst nicht in letzter Konsequenz umzusetzen.

Demonstrantin vor dem Bundestag, 12.04.2024 / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Ab dem 1. November genügt für die Änderung des Geschlechts und des Vornamens eine Erklärung gegenüber dem Standesamt. Einmal im Jahr ist das künftig möglich, mehrfaches Wechseln also kein Problem. Die bisherige Pflicht nach dem außer Kraft tretenden Transsexuellengesetz, eine ärztliche Bescheinigung und mehrere Gutachten vorzulegen, entfällt.  

Nach einer teils hochemotionalen Debatte hat der Bundestag grünes Licht für das neue Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung gegeben. Neben den Fraktionen der Ampel-Koalition (SPD, Grüne , FDP) stimmte auch die Gruppe Die Linke mit großer Mehrheit für das Gesetz. Union, AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) lehnten es ab.

Die vorangehende Debatte eröffnete die Vizebundestagspräsidentin Petra Pau (Linke) mit der Aufforderung, „insbesondere die sexuelle Identität der Mitglieder des Hauses“ zu achten. Die begann dann die Grünen-Abgeordnete Nyke Slawik, die selbst zur Gruppe der Transpersonen gehört. Es war ein persönlicher Erfahrungsbericht über die bisherige Prozedur der Änderung des Geschlechtseintrags nach Transsexuellengesetz: „Ich war es schlichtweg leid, dass ich jedes Mal, wenn ich meinen Ausweis zeigen sollte, wenn ich mit meinen Freundinnen in einen Club wollte, oder wenn ich in der Fahrscheinkontrolle in der Bahn war, mit der Frage konfrontiert wurde: Ist das der Ausweis deines Bruders? Jedes Mal musste ich erklären, das der vermeintliche Junge, den der Ausweis da zeigte, ich bin, oder vielmehr: ich war.“ Nun sei für Transpersonen wie sie Schluss damit, „dass unsere Würde zur Verhandlungssache gemacht wird“. 

 

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Aber diese Erwartung zeigt schon die ganze Hybris, die hinter diesem Gesetz steht. Natürlich wird es auch künftig vorkommen, dass Ausweiskontrollen bei den Kontrollierenden zu Nachfragen führen. Das dürfte erst recht der Fall sein, wenn, wie künftig möglich, Personen, die äußerlich und biologisch eindeutig einem Geschlecht angehören, standesamtlich und damit in ihrem Ausweis ein anderes oder keines wählen können. Und es wird wohl auch nicht durch das Selbstbestimmungsgesetz oder irgendein anderes Gesetz aus der Welt zu schaffen sein, dass Slawik und andere Transpersonen erleben, „dass Leute mich anstarren, wenn ich ihnen erklären muss, dass ich trans bin“. 

Natürlich sind Diffamierungen, wie sie der AfD-Abgeordnete Martin Reichardt äußerte, der von „Transextremisten“ sprach, unangebracht. Doch das ändert nichts an den offenkundigen Absurditäten, die dieses Gesetz erzeugt. Und niemand, der heute dieses Gesetz im Bundestag beschlossen hat, wird später ernsthaft sagen können, ihm oder ihr seien diese Absurditäten und vor allem die Missbrauchsmöglichkeiten gerade zu Lasten von (biologischen) Frauen nicht klar gewesen. Denn über sie wird seit Jahren öffentlich gesprochen. Ganz abgesehen davon stehen sie auch jedem Laien ganz klar vor Augen. 

Absurditätenerzeugungsgesetz

Es ist ein Gesetz, das den Bürgern die Möglichkeit gibt, staatliche Behörden zu narren. Die Gesetzgeber gehen wohl implizit davon aus, dass alle, die dieses Gesetz nutzen, allein von dem Wunsch getrieben sein werden, Diskriminierungen zu entgehen und mit der eigenen sexuellen Identität ins Reine zu kommen. Aber bekanntlich können auch wohlmeinende Gesetze von nicht wohlmeinenden Menschen missbraucht werden, vor allem wenn es so einfach ist wie in diesem Fall.  

Das Gesetz sorgt dafür, dass zumindest für Volljährige alle Hürden fallen, die nach dem bisherigen Transsexuellengesetz sicherstellen sollten, dass es den Betreffenden wirklich ernst ist. Niemand kann also künftig beispielsweise verhindern, dass sich ein Strafgefangener zur Frau erklärt und den Anspruch geltend macht, in einem Frauengefängnis inhaftiert zu werden. 

Im Gesetz und auch auf der zusammenfassenden Website des Bundestags ist zwar explizit festgehalten, dass „betreffend den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen [...] die Vertragsfreiheit und das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers sowie das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, unberührt [bleiben]“. Und in der Begründung des Gesetzes wird auf den Zugang zu Saunen und Fitnessstudios verwiesen. 

Aber wird dann auch eine Frauen-Justizvollzugsanstalt gegen eine standesamtlich als Frau festgestellte Person mit Penis auch ihr Hausrecht geltend machen können? Auf entsprechende Gerichtsverfahren kann man gespannt sein. 

Vor Sauna und Krieg macht das Gesetz halt

Wie gesagt, es ist ein Absurditätenerzeugungsgesetz, das die Bürger und sogar den Staat selbst in vielen Fällen absehbar dazu zwingt, es zu umgehen. Wer zum Beispiel eine bisher als Mann geltende Person, die womöglich auch weiterhin dem äußeren Eindruck nach männlich wirkt, als „Herr“ und mit seinem früheren Namen anschreibt, kann nach §13 („Offenbarungsverbot“) also mit einer strafbewehrten Zurechtweisung rechnen (bis zu 10.000 Euro Geldbuße droht §14 an ). Wer diese Person aber seiner Frauensauna verweist, handelt rechtmäßig. Also hört die Wirksamkeit dieses Gesetzes vor der Saunatüre auf! 

Das Gesetz nimmt sich also selbst nur eingeschränkt ernst und stellt seine Untauglichkeit für die Praxis schon selbst fest. Etwa auch, indem es festschreibt, dass Änderungen des Geschlechtseintrags die Wehrpflicht im Spannungs- und Verteidigungsfall nicht berühren. Der geborene Mann könnte sich also nicht, wenn Deutschland angegriffen würde, durch einen schnellen Gang zum Standesamt vor der Einberufung drücken. Er müsste dann schon einen KDV-Antrag stellen (was natürlich ebenfalls einen Konflikt mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz bedeutet, an den im gänzlich kriegsentwöhnten aber nach dem Wunsch derselben Bundesregierung künftig wieder „kriegstauglichen“ Deutschland niemand so recht denken will). In § 9 des Gesetzes heißt es dazu: 

Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt, soweit es den Dienst mit der Waffe auf Grundlage des Artikels 12a des Grundgesetzes und hierauf beruhender Gesetze betrifft, für die Dauer des Spannungs- oder Verteidigungsfalls nach Artikel 80a des Grundgesetzes bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem die Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ oder die Streichung der Angabe zum Geschlecht erklärt wird.

Ob allerdings eine Person, die nach (mehrfacher?) Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts vor dem Verteidigungsfall zum Zeitpunkt der Feststellung des Verteidigungsfalles rechtlich ein Mann ist, obwohl er als Frau geboren wurde, und damit der Wehrpflicht unterliegt, dürfte auch eine interessante Frage für Richter sein – falls die sich im glücklicherweise völlig hypothetischen Verteidigungsfall tatsächlich mit solchen Dingen befassen werden wollen oder können. 

Das Gesetz und damit der Staat gesteht also ein, dass die geschlechtliche Selbstbestimmung Kernbereiche der Geschlechtlichkeit nicht berührt, nämlich solche, die mit physischen Gegebenheiten zu tun haben (wie sollte es auch anders sein). Der hybride Anspruch des Gesetzgebers trifft also mit einem indirekten Eingeständnis seiner Ohnmacht zusammen. Gleichzeitig fordert er aber uneingeschränkte Akzeptanz in Worten. 

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