Harter Lockdown in Sachsen - „Die AfD nimmt in Kauf, dass die Infiziertenzahlen steigen“

Weil es in Sachsen auf den Intensivstationen eng wird, verhängt die Landesregierung einen harten Lockdown. Die Zahl der Infizierten ist ausgerechnet dort am höchsten, wo die AfD bei der Landtagswahl 2019 die meisten Stimmen bekommen hat. Zufall oder Folge der Proteste gegen die Coronaregeln?

Querdenker-Demo in Dresden: 90 Prozent der Teilnehmer erschienen ohne Maske – auch Sachsens AfD-Chef / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Martin Dulig ist seit 2014 Wirtschaftsminister von Sachsen und seit 2009 Vorsitzender der SPD Sachsen. 2018 wurde der zum Ost-Beauftragten seiner Partei gewählt. 

Herr Dulig, in keinem anderen Bundesland liegt die durchschnittliche Inzidenz mit 309 so hoch wie in Sachsen. Im Osten des Landes hat sie es sogar auf über 400 gebracht. Wenn man sich die am stärksten betroffenen Landkreise anschaut, fällt auf, dass dort die AfD besonders stark ist. Sehen Sie da einen Zusammenhang? 
Bei aller Dramatik müssen wir ein bisschen aufpassen, dass wir nicht zu einfache Schlüsse ziehen. Es gibt verschiedene Ursachen für den Anstieg. Wenn 80 Prozent der Neu-Infektionen nicht mehr nachverfolgbar sind, sollte man sich mit Spekulationen zurückhalten. Aber es fällt natürlich trotzdem auf, dass die Zahl der Maskenverweigerer in Sachsen bundesweit am höchsten ist. Hier gibt es auch die größte Skepsis gegenüber den Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung. Und wenn man Landkarten mit den AfD-Wahlergebnissen und die der Infiziertenzahlen übereinanderlegt, kann man schnell zu dem Schluss kommen, dass es da einen Zusammenhang gibt.

Wer AfD wählt, ist eher geneigt, die Maske zu boykottieren?
Nein, es hat mit unserem eigenen Verhalten zu tun. Dort, wo Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden, sind die Inzidenzen geringer als in den Regionen, wo es eine höhere Verweigerungshaltung gibt. Dass daran die AfD Schuld trägt, ist eine Spekulation. Die AfD hat sich jedoch zum parlamentarischen Arm der Maskenverweigerer entwickelt. Schauen Sie nur, wen sie unterstützt – von Pegida bis Querdenken. Insofern muss sich die AfD auch den Vorwurf gefallen lassen, dass sie Mitverantwortung dafür trägt, dass zu viele Leute der Meinung sind, auf Masken und andere Schutzmaßnahmen verzichten zu können. 

Die Landkreise im Osten von Sachsen grenzen an Tschechien, ein Land, das ebenfalls unter hohen Infektionszahlen leidet. Kann es nicht sein, dass auch der rege Grenzverkehr dazu beiträgt, dass sich das Virus so besonders stark in diesem Teil von Sachsen verbreitet hat?
Auch das kann eine Ursache sein. Aber eben nur eine. Und wir drängen darauf, dass auch strenger seitens der Bundespolizei kontrolliert und der Einkaufstourismus unterbunden wird. Die derzeit höchsten Infektionszahlen gibt es im Landkreis Bautzen, dessen Grenzlänge zu Tschechien kaum erwähnenswert ist. Zumal auch Tschechien einen harten Lockdown hatte und Ausgangsbeschränkungen. Ursachen wird es viele geben, deswegen ist ja die Kontaktnachverfolgung so wichtig.

%paywall%

Die Landtagsfraktion der AfD hat im November vor dem Verfassungsgericht gegen die Sicherheitsauflagen vom Frühjahr geklagt. Sie sieht sich in ihren Grundrechten beschränkt. Ist das eine Anstiftung zum Maskenboykott?
Um es klar zu machen: Kein Grundrecht wird leichtfertig eingeschränkt, keines ist aufgehoben worden. Die AfD ist nicht konsistent in ihrer Argumentation. Anfang des Jahres hat sie noch den Katastrophen-Alarm aufrufen und am liebsten die Bundeswehr zur Verteilung von Lebensmittelpaketen einsetzen wollen. Inzwischen hat sie sich zur Befürworterin eines Maskenboykotts gemacht. Sie dreht ihr Fähnlein in den Wind. Sie trägt Mitverantwortung dafür, dass die Zahl derjenigen höher ist, die sich diesen Maßnahmen verweigern, und sie nutzt die Corona-Lage zur politischen Stimmungsmache. Ich finde das unanständig. 

Wie erfolgreich war denn die AfD bislang mit ihren Klagen gegen die Corona-Verordnungen?
Bisher haben unsere Verordnungen alle vor Gericht standgehalten. Die AfD lebt von ihrem selbst erfundenen Opfermythos. Egal was sie tut, sie kann immer sagen: Seht her! Wir haben für Euch gekämpft – aber wir sind halt das Opfer der Etablierten und der „Systemmedien“. Ich glaube, dass der AfD Gerichtsurteile völlig egal sind. Es geht ihr nur darum, Stimmung zu machen. Ihr Motto ist ja: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD". 

Aber zu klagen, ist doch ihr gutes Recht. 
Ich finde es aber unverantwortlich, wenn man aus populistischen Gründen klagt. Bei den Corona-Maßnahmen geht um Gesundheit und Menscheneben. Unser Gesundheitswesen in Sachsen ist an der Kapazitätsgrenze. Viele Krankenhäuser im Freistaat können keine Patienten und Patientinnen mehr aufnehmen, warnen vor Verhältnissen, wie wir sie im Frühjahr in Bergamo hatten. Derzeit stirbt aller 20 Minuten ein Mensch in Sachsen an einer Covid-19-Infektion. Dass man da heute noch ernsthaft behaupten kann, man könne auf Masken und Abstand verzichten, ist unverantwortlich. 

Im heute-journal hat Ihr Kollege Michael Kretschmer gerade gesagt, er kriege Unmengen von Briefen von Bürgern, die fragten, ob das Land die schon verhängten Sicherungsmaßnahmen im Teil-Lockdown wieder zurücknehmen könnte. Jetzt hat die Landesregierung als erste einen harten Lockdown verhängt. Ab Montag gilt die Maskenpflicht auch im öffentlichen Raum. Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich die Bevölkerung daran hält? 
Ab Montag werden nicht nur Kitas und Schulen geschlossen, es gibt landesweit auch ein Alkoholverbot im öffentlichen Verkehrsraum. Wir haben diese harten Maßnahmen verhängt, weil die bisherigen Maßnahmen, die auf Freiwilligkeit und Vernunft beruht haben, nicht ausgereicht haben. Leider haben sich einige überhaupt nicht daran gehalten. 

Und Sie glauben, der Zwang bringt die Leute zur Vernunft? 
Wenn Freiwilligkeit nicht hilft, müssen härtere Maßnahmen ergriffen werden. Wir müssen die Kontakte endlich auf ein Minimum reduzieren. Ich sehe keine sinnvolle Alternative zu diesen neuen Maßnahmen. Die absolute Mehrheit der Sachsen unterstützen unsere Maßnahmen.

Was macht Sie da so zuversichtlich?
An dem Tag, an dem wir den harten Lockdown verkündet haben, gab es eine Umfrage, nach der zwei Drittel der Sachsen finden, dass diese Maßnahmen eher zu spät kommen. Sie werden aber als richtig empfunden. 

Reicht das aus, um das exponentielle Wachstum zu stoppen?
Nein, es ist keine Frage der Mehrheit. Es reichen wenige aus, die unvernünftig und unverantwortlich sind, um die Mehrheit in Mitleidenschaft zu ziehen, die sich an die Regeln hält. Das Virus macht da keinen Unterscheid. Es überträgt sich dort, wo Menschen miteinander in Kontakt kommen.

Der Staat muss dann aber auch kontrollieren, ob sich die Menschen an die härteren Regeln halten. In Bautzen demonstrieren jeden Sonntag Querdenker und Reichsbürger an der B 96 gegen die „Corona-Diktatur“. Greift die Polizei dann ein, wenn es Verstöße gibt? 
Ja. Seit zwei Wochen geht die Polizei massiv gegen die Demonstrationen an der B 96 vor, wo diese Regeln nicht eingehalten werden. Schon an den vergangenen beiden Sonntagen hat die Polizei gezeigt, dass der Staat seine Auflagen auch durchsetzen kann.

Haben Sie keine Angst davor, dass es Bilder wie bei der Querdenker-Demo in Leipzig gibt, wo es Anfang November zu Zusammenstößen der Polizei und Demonstranten kam?
Das war leider eine bittere Erfahrung, die wir machen mussten. Da haben sich rund 40.000 Menschen in Leipzig versammelt und nicht an die Regeln gehalten. Da sind wir an die Grenzen der staatlichen Handlungsfähigkeit gekommen, es wurden auch Fehler gemacht. Wir haben aber aus den Vorfällen gelernt – und die Maßnahmen angepasst und die Zahl der Teilnehmer auf Demonstrationen reduziert. Am Sonnabend werden die Dresdner möglicherweise vor einer ähnlichen Situation in ihrer Stadt stehen

Dabei wurde die Querdenker-Demo doch verboten
Diverse Aufrufe – vor allem in rechten Kreisen – deuten darauf hin, dass es trotz Verbots zu spontanen Kundgebungen kommen könnte. So oder so muss die Maskenpflicht durchgesetzt werden. Es kann nicht sein, dass Einzelhändler schließen müssen, und dann ziehen tausende Unbelehrbare durch die Straßen ohne Maske und laden so zur nächsten Corona-Party ein. 

Martin Dulig / dpa 

Sachsens AfD-Chef Jörg Urban ist bei der letzten Querdenker-Demo in Dresden ohne Maske mitmarschiert. Welche Botschaft hat er damit gesendet? 
Die AfD ist seit ihrem Parteitag in Kalkar gespalten, seit sich Parteichef Jörg Meuthen von den Corona-Leugnern distanziert hat. Aber in Sachsen will die AfD zum parlamentarischen Arm der Querdenker-Bewegung werden. Dem völkischen Flügel, zu dem ja auch Jörg Urban und Tino Chrupalla gehören, ist nicht nur die Gesundheit der Menschen völlig egal. Der Flügel setzt auch auf billigen Stimmenfang, Angstmache und nimmt in Kauf, dass die Infiziertenzahlen weiter steigen. Später werfen diese Leute dem Staat wieder Versagen vor, wenn sie merken, dass das eigene Klientel auch erkranken kann.

Die AfD in Sachsen reklamiert für sich, die Interessen der Gastronomen und Veranstalter zu vertreten. 
Das ist schlicht verlogen. Wer wirklich will, dass diese Branchen wieder Geschäfte machen können, muss alles dafür tun, dass das Corona-Virus schnell und konsequent bekämpft wird. Der darf nicht zu Demonstrationen gehen, wo man die Hygieneregeln ignoriert. Das Virus wird nicht verschwinden, wenn wir nichts tun. Das haben andere Länder versucht und sind kläglich gescheitert. Ich möchte keine Zustände in Sachsen haben wie im Frühjahr in Italien, als Ärzte auswählen mussten, welcher Infizierte noch aufgenommen werden kann und wer ohne Behandlung nach Hause gehen muss.

Muss sich die Landesregierung nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass die mangelnde Akzeptanz der Regeln eine Folge eines schlechten Krisenmanagements und einer schlechten Krisenkommunikation ist? 
Kein anderes Land hat so viel für die Kommunikation mit seinen Bürgern getan wie wir in Sachsen. Ich möchte daran erinnern, dass wir seit 2015 von einer Krise in die andere gekommen sind. Seit der Flüchtlingskrise vor 5 Jahren, die zu einem wachsenden Zuspruch für Pegida und der AfD geführt hat, haben wir viele Dialogformate angeboten, Live-Chats, Foren und vieles mehr, um Politik zu erklären, um für die Bürger im persönlichen Gespräch da zu sein. Ich selbst war, bis es Corona nicht mehr möglich gemacht hat, ständig mit meinem Küchentisch im Land unterwegs und habe unzählige Gespräche geführt. 

Aber was haben Sie getan, um den Bürgern in der Pandemie die Eingriffe in ihre Grundrechte zu erklären? 
Nachdem wir den harten Lockdown beschlossen hatten, sind wir sofort an die Öffentlichkeit gegangen. Die Leute müssen sich darauf ja vorbereiten. Der Dialog lief auch schon in den vergangenen Wochen über Facebook und die sozialen Medien, weil Präsenzveranstaltungen nicht möglich waren. Die Hotlines der Landesregierung und der Bundesanstalt für Arbeit standen nicht still. Wir haben zusätzliche Mitarbeiter von ihren üblichen Aufgaben abgezogen, um die Bürger-Telefone zu besetzen. Diese direkte Kommunikation ist entscheidend, auch wenn man nicht alle erreicht. Leider konsumieren aber viele Menschen heutzutage keine klassischen Medien mehr  wie die Öffentlich-Rechtlichen oder Tageszeitungen und Magazine. Sie suchen lieber einfache Antworten in den sogenannten sozialen Medien, wo der Wahrheitsgehalt oft – sagen wir mal – „dürftig“ ist.

Der harte Lockdown ist eine Entscheidung der Exekutive. Was sagen Sie zu dem Vorwurf der AfD, die Regierung regiere am Parlament vorbei? 
Das ist völliger Unsinn. Selbst Teile der Bundes-AfD haben das erkannt. Wir haben in allen Bundesländern eine starke parlamentarische Beteiligung sichergestellt. Am Anfang der Krise waren die Entscheidungen komplett in der Hand der Exekutive. Zu Recht wurde die Beteiligung des Parlamentes aus dem gesamten parlamentarischen Raum eingefordert. Bei der jetzigen Corona-Verordnung haben wir in Sachsen die zuständigen Ausschüsse beteiligt, in jeder Ausschuss- und Landtagssitzung hat das Thema Corona einen eigenen Tagesordnungspunkt. Am Ende bleibt es aber eine Entscheidung der Landesregierung. Ob man Schulen oder Kitas schließt, kann man nicht in wochenlangen Diskussionen beraten. Deshalb bin ich dem sächsischen Parlament für seine Beratung, Flexibilität und Verantwortungsbereitschaft höchst dankbar. Dafür brauche ich nicht die AfD. 

In Sachsen will der Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall einstufen. Müssen Sie nicht fürchten, dass dieser Schuss nach hinten losgeht und die Entscheidung am Ende zum PR-Coup für die Partei wird? 
Sicherlich ist es ein politisches Dilemma, dass die AfD das Ergebnis wohl für sich nutzen wird – egal, wie es ausfällt. Denn sie lebt vom Opfermythos. Dieses Dilemma werden wir nicht auflösen. Dennoch werden wir der AfD nicht alles durchgehen lassen. Wer versucht, unsere Demokratie auszuhöhlen und einteilen will, wer dazu gehört und wer nicht, der muss die Grenzen des Rechtsstaates kennenlernen. Daher wird der Verfassungsschutz nun prüfen, und es wird sich herausstellen, in wie weit sich die Verdachtsmomente bestätigen und ob diese sogenannte „Alternative“ tatsächlich auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.    

Anzeige