Ruud Koopmans über Islamismus - Was jetzt passieren muss

Jahrzehntelang wurde der in Europa grassierende Islamismus kleingeredet. Doch nach den jüngsten Terrorattacken scheint endlich ein Umdenken einzusetzen. Jetzt muss es darum gehen, den Export islamistischer Ideologie in die westlichen Demokratien konsequent zu unterbinden.

Zuletzt erschütterte in Europa der islamistische Terror die österreichische Hauptstadt Wien / dpa
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Autoreninfo

Ruud Koopmans ist Direktor der Abteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin sowie Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin und nimmt daneben wichtige beratende Funktionen wahr, etwa als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. / Bild: David Ausserhofer

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Dresden, Paris, Nizza, Wien: Wieder wurde Europa von einer Serie schrecklicher Angriffe islamistisch motivierter Gewalttäter getroffen. Es war nicht das erste und es wird nicht das letzte Mal sein. Denn anders als viele es wahrhaben wollen, ist die islamistische Gewalt kein Phänomen irregeleiteter „einsamer Wölfe“, das mit der Religion, in deren Namen sie zu handeln behaupten, nichts zu tun hat. Im Gegenteil: Die islamistische Gewalt ist Teil des globalen Aufstiegs des islamischen Fundamentalismus in den vergangenen Jahrzehnten, der dafür verantwortlich ist, dass die islamische Welt in eine Spirale von Gewalt, Unterdrückung und Stagnation geraten ist. 

Vielleicht mehr noch als seine Verteidigung des Rechtes, religionskritische Karikaturen zu publizieren, war es die Tatsache, dass der französische Präsident Emmanuel Macron den Finger in diese offene Wunde gelegt hat, die den Zorn großer Teile der islamischen Welt geweckt hat. In einer aufsehenerregenden Ansprache zwei Wochen vor dem Mord an Samuel Paty identifizierte Macron den islamischen Fundamentalismus als die Ursache für die „tiefe Krise, in der sich der Islam heutzutage überall auf der Welt befindet“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reagierte umgehend und nannte Macrons Behauptung „respektlos und eine regelrechte Provokation“. Das sunnitische Rechts­institut Al Azhar in Kairo verurteilte Macrons Aussagen als „rassistisch und dazu geeignet, die Gefühle von zwei Milliarden Muslimen in der Welt entflammen zu lassen“.

Fundamentalismus und saudisches Geld

Macrons Worte mögen manche Muslime schmerzen, sie beziehen sich aber auf eine noch viel schmerzhaftere Realität. Seit dem islamischen Revolutionsjahr 1979, als unter anderem die Islamische Republik Iran ausgerufen wurde, der Bürgerkrieg in Afghanistan ausbrach und Pakistan Schariarecht einführte, hat der islamische Fundamentalismus immer mehr an Einfluss gewonnen. Saudi-Arabien spielte dabei eine wichtige Rolle. Dort wurde 1979 die Große Moschee von Mekka von Hunderten schwer bewaffneter Dschihadisten besetzt, die den Rücktritt des Hauses Saud verlangten. Der Aufstand wurde niedergeschlagen – aber erst, nachdem die saudischen Geistlichen die Zusage bekommen hatten, dass das Regime sich stärker für die weltweite Verbreitung des Salafi-Wahhabismus, die fundamentalistische Staatsreligion des Landes, einsetzen würde. 

Geschätzt wird, dass die Saudis seitdem jährlich zwei bis drei Milliarden Dollar in die Verbreitung ihrer Version des Islam in aller Welt gesteckt haben. Tausende Moscheen und Koranschulen wurden mit saudischem Geld gebaut, Zehntausende ausländische Studenten erhielten Stipendien, um an der Universität von Medina Theologie zu studieren. Andere unter den Einfluss des Fundamentalismus geratene Staaten beteiligten sich an der islamistischen Missionierung, teils wie die Vereinigten Arabischen Emirate an der Seite der Saudis, teils als Konkurrenten um die Hegemonie in der islamischen Welt – wie der schiitische Iran sowie Katar und die Türkei, die der von den Saudis verhassten Muslimbruderschaft nahestehen.

Der von der fundamentalistischen Ideologie verbreitete Hass und die Intoleranz, auch in Bezug auf „Verräter“ und „Abtrünnige“ im eigenen Kreis, haben zu einer Explosion von Gewalt in der islamischen Welt geführt. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten hat die Zahl der Terrorakte weltweit stark zugenommen, und islamistische Gruppen wie IS und Boko Haram sind seit der Jahrtausendwende für 85 Prozent der Todesopfer von Terror verantwortlich. Islamistische Kampfgruppen sind auch in drei Viertel der weltweiten Bürgerkriege verwickelt, von Mali bis zu den Philippinen. Von dieser vom Fundamentalismus inspirierten Gewalt bekommen wir in Europa nur einen kleinen Teil als Kollateralschaden mit.

Von Lehrern, die untertauchen müssen

Die Krise der islamischen Welt und der Aufstieg des Fundamentalismus sind von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Ursachen der Radikalisierung innerhalb muslimischer Gemeinschaften in Europa. Durch die Geldströme für den Bau von Moscheen und Koranschulen und den ständigen Propagandafluss islamistischer Bewegungen und Regime hat die fundamentalistische Ideologie auch in Europa Fuß gefasst. Immer wieder kommt es zu Interventionen islamistischer Führer, die die Stimmung unter den in Europa lebenden Muslimen anheizen – angefangen bei der Fatwa des Ajatollah Khomeini gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie im Jahr 1989, die damals auch in Europa zu Brandstiftungen, Mord­anschlägen und zahlreichen Demonstrationen führte.

Ähnlich war es beim dänischen Karikaturenstreit, der erst zu einem größeren Politikum wurde, nachdem ein dänischer Imam Unterstützung von Politikern und Religionsführern in islamischen Ländern mobilisiert hatte. Nach dem Mord am französischen Lehrer Samuel Paty waren es unter anderem der pakistanische Premierminister Khan und der türkische Präsident Erdogan, die Emmanuel Macron der Islamophobie bezichtigten und zu einem Boykott französischer Produkte aufriefen. Ihre Aufrufe fanden auch in Europa Anklang und führten zu islamistischen Demonstrationen in vielen Ländern, unter anderem auch in Berlin, Hamburg und Kiel. In den Niederlanden wurde eine von einer salafistischen Moschee in Den Haag initiierte Petition, mit der die Strafbarkeit der Beleidigung des Propheten Mohammed gefordert wird, innerhalb weniger Tage von 100 000 Menschen unterzeichnet. 

Als an europäischen Schulen des Todes von Samuel Paty gedacht wurde, kam es vielerorts zu Zwischenfällen. Der Schulleiter einer Schule im Berliner Bezirk Reinickendorf erzählte von den Erfahrungen des Lehrpersonals: „Der Tenor ihrer Berichte war immer der gleiche: Muslimische Schüler sagten, diese Tat sei richtig gewesen, bloß keine Schweigeminute für so jemanden.“ Zwei niederländische Lehrer mussten sogar untertauchen, nachdem sie Todesdrohungen bekommen hatten. 

Gewalt braucht ein Umfeld, um zu gedeihen

Die Reaktionen auf die jüngste Anschlagsserie scheinen endlich breiteren Kreisen in Politik und Öffentlichkeit klargemacht zu haben, dass wir es beim Islamismus nicht nur mit denjenigen zu tun haben, die aktiv zur Gewalt schreiten, oder mit behördlich für ihre Gewaltbereitschaft bekannten „Gefährdern“. Wie für den Rechtsextremismus gilt auch für den islamistischen Extremismus, dass die Gewalt in einem Umfeld gedeiht, das den ideologischen Zündstoff dafür liefert.

Die Ideologie des islamischen Fundamentalismus ist unter den in Europa lebenden Muslimen zum Glück weniger weit verbreitet als in vielen islamischen Ländern. Dennoch stellen auch in Europa viele Muslime die Regeln ihrer Religion über den demokratischen Rechtsstaat. In der Studie „Muslime in Deutschland“ aus dem Jahr 2007 etwa stimmen 45 Prozent der Muslime der Position zu „Die Regeln des Koran sind für mich wichtiger als Demokratie“. In anderen europäischen Ländern, insbesondere in Frankreich und Belgien, liegt die Unterstützung für solche Aussagen noch deutlich höher.

Fundamentalismus geht mit Feindbildern über andere Gruppen einher. So meint ein Drittel der deutschen Muslime türkischer und marokkanischer Herkunft, dass der Westen versuche, den Islam zu vernichten – in Frankreich und Belgien findet das sogar die Mehrheit. Wie bei anderen Formen des Extremismus gehören auch Verschwörungstheorien zum fundamentalistischen Repertoire: Mehr als 40 Prozent der deutschen Muslime glauben nicht daran, dass arabische Muslime für die Anschläge des 11. Septembers 2001 verantwortlich waren. Und immer wieder werden solche Feindbilder und Verschwörungstheorien von geistlichen und politischen Führern aus der islamischen Welt angeheizt. So mutmaßte der türkische Präsident Erdogan nach dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo, dass der französische Geheimdienst dahinterstecke; auch behauptete der Großmufti des Kairoer Al-Azhar-Rechtsinstituts, der „Islamische Staat“ in Syrien und Irak sei ein zionistisches Komplott. Ziel solcher Verschwörungen, so meinten sie, sei es, den Islam in ein schlechtes Licht zu rücken.

Die Vorstellung des Islam als einer durch innere und äußere Feinde bedrohten Religion bringt viele konservative Muslime dazu, sich in Parallelgesellschaften von der Außenwelt abzuschotten, und motiviert einige dazu, die Verteidigung ihrer Religion selbst in die Hand zu nehmen oder andere dabei zu unterstützen. Jeder sechste Muslim in Frankreich und Großbritannien – und zum Glück nur halb so viele in Deutschland – ist der Meinung, dass Gewalt gegen Zivilisten – Terror, mit anderen Worten – gerechtfertigt sei, um den Islam gegen seine Feinde zu verteidigen.

Jahrzehntelange Tatenlosigkeit westlicher Politiker

Aber wie lässt sich der Fundamentalismus wirksam bekämpfen? Entscheidend ist anzuerkennen, dass die Hauptursachen für den islamistischen Terror nicht in Europa liegen, sondern in der Krise der islamischen Welt, den dortigen Bürgerkriegen und in den ständigen Versuchen nicht nur von Terrorgruppen wie IS und Al Qaida, sondern auch von islamistischen politischen und religiösen Führern, die in Europa lebenden Muslime gegen den Westen aufzubringen. Jahrzehntelang haben westliche Politiker tatenlos zugeschaut (oder es sogar begrüßt), wie islamistische Regime durch die Finanzierung von Moscheen und Koranschulen sowie durch die Entsendung von Propagandamaterialien und Imamen die europäischen Muslime mit ihren Botschaften von Hass, Intoleranz und Glaubenseifer vergiftet haben.

Lange Zeit waren es vor allem Saudi-Arabien, der Iran und die Golfstaaten (und in Großbritannien auch Pakistan), die eine solche islamistische Missionierungspolitik betrieben. Zwischen den türkisch-islamischen Verbänden in Europa und dem türkischen Staatsislam gab es zwar auch intime Verbindungen, aber solange in der Türkei säkulare Kräfte die Politik dominierten, waren diese aus europäischer Sicht relativ unproblematisch. Das hat sich radikal geändert, seit der Islamist Recep Tayyip Erdogan an die Macht gekommen ist.

Da Erdogan für seine parlamentarische Mehrheit auf die Unterstützung der ultranationalistischen MHP angewiesen ist, wird die türkische Politik unter seiner Führung von einer explosiven ideologischen Verschmelzung aus politischem Islam und türkischem Nationalismus angeleitet. Außenpolitisch verfolgt die Türkei eine neoosmanische Expansionspolitik, die militärische Interventionen in Syrien, Irak, Libyen und seit kurzem auch im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt inspiriert hat. Dabei wird eine enge Zusammenarbeit mit dschihadistischen Kampfgruppen nicht gescheut.

Ditib feiert den Märtyrer

Über die mit dem türkischen Staat verbundenen islamischen Verbände wird die Botschaft des türkischen Islamo-Nationalismus auch unter den türkischstämmigen europäischen Muslimen verbreitet. So zum Beispiel in einer Predigt mit dem Titel „Der hohe Rang bei Allah: Das Märtyrertum“, die 2014 in deutschen Moscheen verlesen wurde:

„Keiner, der das Paradies betritt, möchte zurück auf die Erde (…). Nur der Schahid (Märtyrer; RK), er möchte wieder zurück und wieder den Märtyrertod sterben, wenn er sieht, welches Ansehen und welchen Rang er hier im Paradies genießt. Diese Frohbotschaft war es, die unseren Propheten (…) und seine Gefährten und später auch unsere Vorfahren beseelten und sie von einer zur nächsten Front trieben, um diesen hohen Rang zu erreichen. Rein für den Weg Allahs, um Seinen Namen zu verbreiten. Für das Land und die Landsleute.“

Diese Predigt wurde bundesweit in den Moscheen der größten deutschen muslimischen Organisation – Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion – verlesen. Ditib ist direkt der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt, ihr Vorsitzender ist der türkische Botschaftsrat für religiöse Angelegenheiten, ihre Predigten werden zentral festgelegt und von Imamen verlesen, die aus der Türkei nach Deutschland entsandt und als türkische Staatsbeamte von der Türkei bezahlt werden. Kein Wunder, dass mit dem „Land“ und den „Landsleuten“ im obigen Zitat nicht Deutschland und die Deutschen gemeint sind, sondern die Türkei und die Türken.

Fälle für den Verfassungsschutz

Die nach Mitgliederzahlen zweitstärkste islamische Organisation in Deutschland ist die ebenfalls türkisch-nationalistisch geprägte Islamische Gemeinschaft Millî Görüs. Anders als Ditib wird diese Organisation seit vielen Jahren vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet und dem islamistischen Spektrum zugeordnet. Auch wenn im Verfassungsschutzbericht ein „schwächer werdender Extremismusbezug“ festgestellt wird, sind die Verbindungen zu extremistischen Teilen der Millî-Görüs-Bewegung nach wie vor stark, etwa zum Sprachrohr der Bewegung, der Zeitung Millî Gazete, in der Antisemitismus laut dem Verfassungsschutz zum guten Ton gehört: „Die Juden – so die ‚Millî Görüs‘-Ideologie – würden den ‚gottlosen Westen‘ und den größten Teil der Welt beherrschen. Sie seien hinter den Kulissen agierende Führer der herrschenden unislamischen, tyrannischen und ‚nichtigen‘ Ordnung und damit ewige Gegner des Islam.“ 

Eine dritte wichtige islamische Organisation in der Bundesrepublik ist der Zentralrat der Muslime in Deutschland, der zwar deutlich weniger Mitglieder hat, dafür aber in der öffentlichen Debatte mit seinem Vorsitzenden Aiman Mazyek umso präsenter ist. Zu den Mitgliedsorganisationen des Zentralrats gehört die vom Verfassungsschutz beobachtete Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD), die sich 2018 in Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) umbenannt hat und vom Bundesinnenministerium als zentrale Organisation der Muslimbruderschaft in Deutschland angesehen wird. Ebenfalls Mitglied und vom Verfassungsschutz beobachtet: das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), das als Instrument des schiitisch-fundamentalistischen Regimes in Iran eingeschätzt wird und regelmäßig an den antisemitischen Al-Quds-Demonstrationen teilnimmt, bei denen es um die „Befreiung Jerusalems von den zionistischen Besatzern“ geht.

Die größte Mitgliedsorganisation des Zentralrats ist die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib). Sie gehört zum türkisch-nationalistischen Spektrum und bezieht, wie Ditib, Imame direkt von der Religionsbehörde aus der Türkei. Anlässlich der Resolution des Bundestags von 2016, in dem der Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs verurteilt wurde, äußerte sich Atib empört:

„Wir sind entsetzt darüber, dass der Deutsche Bundestag sich dazu hergeben konnte, am 2.06. 2016 gegen das Türkische Volk und dessen Vergangenheit eine Entscheidung zu treffen, die noch nicht einmal historisch untermauert ist und einzig und allein auf Verleumdungen und Lügen basiert. (…) Wer hat Ihnen das Recht gegeben, über das Türkische Volk ein Urteil zu fällen?“

Wege aus der Islamismus-Falle

Um den Einfluss von fundamentalistischen und türkisch-nationalistischen Organisationen einzudämmen, gibt es drei Wege. Der erste besteht aus Organisationsverboten. Bei denen ist in einer liberalen Demokratie, in der die Religions- und Glaubensfreiheit zentrale Güter sind, Zurückhaltung geboten. Sie sollten nur erfolgen, wenn Organisationen offen zu Hass und Gewalt aufrufen oder diese legitimieren. So wurde in Berlin 2017 der von Anis Amri, dem Attentäter des Berliner Weihnachtsmarkts, besuchte Moscheeverein Fussilet 33 verboten. Frankreich verbot nach dem Mord an Samuel Paty den Verein Barakacity, dessen Vertreter in sozialen Medien gegen den Lehrer gehetzt hatten, und Österreich schloss unlängst zwei Moscheen, in denen sich der Attentäter von Wien radikalisiert hatte.

Es wäre zu wünschen, dass solche Schließungen öfter proaktiv erfolgten und nicht erst, nachdem Menschen zu Tode gekommen sind.

Ein prominenter Kandidat für ein Verbot wären die auch in Deutschland sehr stark vertretenen türkischen Grauen Wölfe. Frankreich hat bereits ein Verbot beschlossen, nachdem Anhänger der Bewegung in einem Vorort von Lyon Hetzjagd auf Armenier gemacht und ein Denkmal für die Opfer des Genozids an den Armeniern beschmutzt hatten.

Ein zweiter Weg besteht darin, die Geldströme aus dem Ausland, mit denen nationalistische und fundamentalistische Islamvarianten nach Europa exportiert werden, trockenzulegen. Österreich ist in dieser Hinsicht mit dem „Islamgesetz“ von 2015 einen wichtigen Schritt vorangegangen, und Frankreich plant nach den jüngsten Anschlägen ähnliche Schritte. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat im März 2019 die Verfassungsmäßigkeit der Ausweisung von vom türkischen Staat entsandten Imamen bestätigt.

Verbote mit Augenmaß 

Gegen den Einwand, eine Beschränkung der Finanzierung von Imamen, Moscheen und anderen islamischen Religionseinrichtungen durch ausländische Staaten verstoße gegen die Glaubensfreiheit, muss betont werden, dass in den fraglichen Ländern keine Glaubensfreiheit und keine Trennung von Staat und Religion existiert. Es geht nicht darum, gleichsam als Revanche auch in Deutschland die Glaubensfreiheit für bestimmte Gruppen einzuschränken – so der manchmal geäußerte Vorwurf. Vielmehr stellt sich die Frage, ob die Einflussnahme solcher Staaten auf die Glaubens­praxis von Muslimen in Europa der Glaubensfreiheit tatsächlich zugutekommt.

Diese Frage muss verneint werden. Im Falle des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten Diyanet und seinen europäischen Ablegern dient die gegenwärtige Praxis, verbeamtete Imame aus der Türkei zu entsenden, der Verbreitung eines autoritären Staatsislam. Ähnliches gilt in noch stärkerem Maße für die Finanzierung durch Länder wie Saudi-Arabien und Katar. Der in der Scharia begründete Staatsislam dieser Länder legitimiert die Todesstrafe oder langjährige Haftstrafen zum Beispiel wegen Homosexualität, Gotteslästerung oder Glaubensabfall. Es ist gerade keine Bereicherung der Diversität oder der Glaubensfreiheit unserer Gesellschaft, wenn wir autoritären religiösen Regimen erlauben, ihre menschenfeindliche Ideologie unter den hier lebenden Muslimen zu verbreiten.

Selbstverständlich muss bei einer gesetzlichen Eindämmung ausländischer Einflussnahme vermieden werden, das Kind mit dem Bade auszuschütten, indem auch legitime Formen der ausländischen Finanzierung und Missionierung unmöglich gemacht würden. Das kann erreicht werden, wenn das Verbot auf Finanzierung aus undemokratisch regierten Ländern beschränkt bliebe. So ist es etwa vorgesehen in einem parteiübergreifenden Gesetzentwurf, der zurzeit beim niederländischen Parlament zur Beratung vorliegt.

Fördergelder für Autokraten

Auch wo Organisationsverbote nicht möglich sind (und unabhängig vom Thema der Auslandsfinanzierung) stellt sich die Frage, ob man islamistisch und nationalistisch orientierte Organisationen unterstützen sollte, indem man zum Beispiel Staatsverträge mit ihnen abschließt oder ihnen Subventionen zukommen lässt. Das ist beispielsweise der Fall beim mit dem iranischen Terrorregime verbundenen Islamischen Zentrum Hamburg. Dieses Zentrum ist Partner eines Staatsvertrags, der unter anderem die Gestaltung des islamischen Religionsunterrichts an hamburgischen Schulen und die religiöse Betreuung in Einrichtungen wie Krankenhäusern und Gefängnissen umfasst. Auch Ditib ist im hamburgischen Staatsvertrag mit von der Partie. Im Saarland und in Niedersachsen ist Ditib ebenfalls in die Organisation des islamischen Religionsunterrichts eingebunden. Das Land Hessen dagegen hat die Beteiligung von Ditib am islamischen Religionsunterricht in 2020 beendet.

Dass man auch mit Ditib und Millî Görüs im Gespräch bleibt, zum Beispiel im Rahmen der Islamkonferenz, ist allein schon wegen des Umfangs ihrer Mitgliedschaft klug. Befremdlich hingegen ist, dass diese Organisationen zu den größten Nutznießern der im Rahmen der Islamkonferenz verteilten Subventionsgelder gehören. So erhielten aus dem 2019 neu aufgelegten Förderansatz „Moscheen für Integration“ fünf Berliner Moscheen Gelder im Teilprogramm „Empowerment alevitischer und muslimischer Organisationen“ – darunter eine Ditib-Moschee sowie zwei Moscheen der mit Millî Görüs liierten Islamischen Föderation Berlin. In Hamm gingen Fördergelder des Teilprogramms „Islamische Gemeinden als Partner religionsbasierter Integrationsarbeit“ an gleich drei Millî-­Görüs-Moscheen und an drei Ditib-Moscheen. Auch in Koblenz, Saarbrücken und Krefeld gehörten Ditib-Moscheen zu den Fördergeldempfängern.

Doch wie soll es der Integration von Muslimen in Deutschland dienen, wenn Fördergelder verteilt werden an Verbände, die eng mit dem autoritären Regime in der Türkei liiert sind und von diesem sogar finanziell unterstützt werden? Ist ernsthaft zu erwarten, dass mangelnde Akzeptanz von Meinungsfreiheit und Religionskritik durch Organisationen bekämpft werden kann, die einem türkischen Präsidenten unterstellt sind, der mit Dschihadisten zusammenarbeitet und die Muslime gegen Frankreich aufhetzt?

Mehr Unterstützung für reformorientierte Verbände

Organisationsverbote, die Eindämmung ausländischer Geldströme und eine staatliche Förderpolitik, die islamistische Strukturen nicht noch weiter stärkt, werden alleine sicherlich die Probleme nicht lösen. Der Fundamentalismus kommt aus dem Herzen der islamischen Welt und muss letztendlich auch dort besiegt werden. Solange die gewalttätigen Konflikte und die Unterdrückung im Namen des Glaubens in großen Teilen der islamischen Welt andauern, wird Europa sich den Folgen der islamischen Krise nicht entziehen können.

Dennoch kann und muss Europa gegensteuern, wo es möglich ist. Dazu müssen wir die Gefahr der islamistischen Ideologie, aus der sich Gewalt, Hass und Integrationsverweigerung speisen, endlich ernst nehmen. Wir brauchen reformorientierte Alternativen für die Kooperationspartner, die der Staat bisher hofiert und gefördert hat. Diese gibt es durchaus, obwohl sie viel weniger mitglieder- und ressourcenstark sind als die großen Islamverbände. Was auch kein Wunder ist, weil sie nicht von jahrzehntelanger Unterstützung durch ausländische Autokratien haben profitieren können.

Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf die Kräfte innerhalb der muslimischen Gemeinschaften umlenken, die unsere Unterstützung brauchen und verdienen. Das heißt nicht, dass große Islamverbände wie Ditib künftig überhaupt keine Rolle mehr spielen dürfen. Aber eben erst dann wieder, wenn sie sich glaubhaft und dauerhaft von ihren finanziellen, institutionellen und ideologischen Verbindungen zum Islamismus gelöst haben.

Diesen Text finden Sie in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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