Rundfunkbeitrag-Erhöhung auf der Kippe? - Resignieren statt Ratifizieren

Der Streit in Sachsen-Anhalt um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags offenbart nicht nur ein Strukturproblem der Öffentlich-Rechtlichen, sondern auch ein politisches: Wegen eines gleich vierfachen CDU-Machtvakuums aus Merkel, AKK, Haseloff und Stahlknecht bekommt man die Fraktion in Magdeburg nicht auf Linie.

Reiner Haseloff kann sich offenbar nicht mehr auf die eigene Fraktion verlassen / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Noch nie gab es einen derartig heftigen Streit bei einer Erhöhung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeitrags wie derzeit wegen des angekündigten Neins der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt. Es ist ein Streit, der mitten in der Corona-Pandemie zu einer handfesten politischen Krise für die ganze Bundesrepublik werden kann. Wie konnte es dazu eigentlich kommen?

Bislang war es quasi demokratischer Konsens, dass sich die 16 Ministerpräsidenten gemeinsam einigen, den Empfehlungen der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) zu entsprechen oder nicht. Die 16 Mitglieder dieses vom Rundfunk unabhängigen Gremiums werden übrigens von den jeweiligen Landesregierungen berufen. Für Sachsen-Anhalt etwa sitzt in der KEF der CDU-Politiker und Chef des Landesrechnungshofes Kay Barthel. Ein Mann, der augenscheinlich rechnen kann, war also beteiligt an der Ermittlung des künftigen Finanzbedarfs für ARD, ZDF und Deutschlandradio.

Wie hältst du's mit der AfD?

Nachdem sich die Länderchefs in der Ministerpräsidentenkonferenz geeinigt hatten, war es bislang immer so, dass die Landtage mit Regierungsmehrheit anschließend diese Rundfunkstaatsverträge ratifiziert haben. Manch einer kritisiert dies als reines Abnicken und verweist auf das freie Mandat der Abgeordneten. Das ist korrekt. Aber normalerweise können sich die 16 Länderchefs eben schlicht auf die Mehrheiten ihrer jeweiligen Regierungskoalitionen verlassen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff kann dies aber offenkundig nicht. Deshalb auch ließ er bei der diesmaligen Einigung der Länderchefs per Vorbehalt vermerken, dass die Mehrheit im Magdeburger Landtag noch nicht stehe. Ausgerechnet er ist seit 1. November Bundesratspräsident. Das Nein seiner Fraktion wäre eine Blamage.

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Sicherlich geht es nicht um die 86 Cent mehr, die wohl niemanden über Gebühr belasten dürften, zumal etwa Menschen mit Grundsicherung von der Beitragszahlung befreit sind, ebenso wie Betriebe, die in der aktuellen Corona-Krise finanzielle Probleme haben. Es geht vielmehr um eine politische Machtprobe und darum, dass weite Teile der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt die politische Chance sehen, für ihr inhaltliches Anliegen eines reformierten Rundfunks jetzt prominent Aufmerksamkeit zu bekommen. Allerdings scheint dieser Plan nicht wirklich aufzugehen. Denn überlagert wird das inhaltliche Anliegen längst von der politischen Frage: Wie hältst du's mit der AfD?

Ein großes Führungsversagen

Das mag manchem zwar nicht passen, der gemeinsames Abstimmen nicht gleich als echte Zusammenarbeit gewertet haben will. Aber viele, insbesondere in der CDU, werten es als Zusammenarbeit und damit als Verstoß gegen den Bundesparteitagsbeschluss, der selbige mit AfD und mit Linken verbietet. Und so offenbart die Heftigkeit des Streits inzwischen längst weniger ein strukturelles Problem der öffentlich-rechtlichen Sender, sondern vielmehr das politische Problem der CDU: Es ist gleich ein vierfaches Machtvakuum, das dazu führt, dass eine einzelne Fraktion eines vergleichsweise kleinen Bundeslandes inzwischen die ganze Republik und den gesamten Rundfunk in Atem halten kann.

Weder die Bundeskanzlerin Angela Merkel, noch die CDU-Vorsitzende auf Abruf, Annegret Kramp-Karrenbauer, noch Ministerpräsident Reiner Haseloff, noch der CDU-Landeschef aus Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, bekommen die CDU-Fraktion auf Linie. Man mag dies als Fest für die Demokratie feiern. Für die Union aber ist es ein Desaster, das ihr eigentlich großes Führungsversagen offenbart.

Absolut abenteuerliche Akrobatik

Seit der Wahl von Thomas Kemmerich in Thüringen, die für die CDU mit dem langsamen Abgang von AKK endete, versank Deutschland in der Pandemie. Es waren die Stunden der Exekutiv-Partei CDU, wie es oftmals heißt. Es war eine Zeit, in der vor allem sie als Regierungspartei im Bund von ihrer Stellung profitieren konnte – ganz ohne Zynismus. Gelegentlich nur blitzte das ungelöste große Problem der Union auf, zuletzt durch die Absage des Bundesparteitags, auf dem Anfang Dezember eigentlich ein neuer Parteivorsitzender gewählt werden sollte.

Es wäre die erste echte Bewährungsprobe eines Armin Laschet, eines Friedrich Merz oder eines Norbert Röttgen gewesen mit der Situation in Sachsen-Anhalt umzugehen. Dieser Kelch geht vorerst an ihnen vorüber. Kein Wunder ist von den drei Kandidaten zu dieser Sache auch nichts hören. Sich jetzt ohne Not zu äußern, wäre taktisch unklug, insbesondere für Merz, dem die Ostverbände der CDU besonders zugetan sind.

Sollte es der CDU-Führung vor dem 31. Dezember nun aber noch gelingen, eine politische Lösung zu konstruieren, die für alle Beteiligten gesichtswahrend wäre, so gebührte ihr Respekt. Beim aktuellen Stand der Dinge und angesichts der kaum noch glaubwürdig veränderbaren Positionen wäre es politisch eine absolut abenteuerliche akrobatische Höchstleistung. Viel spricht aber dafür, dass der Erste Medienänderungsstaatsvertrag zum 1.1.2021 nicht in Kraft treten kann. ARD, ZDF und Deutschlandradion werden dann den Rechtsweg nach Karlsruhe beschreiten. Und damit wäre höchstwahrscheinlich nichts gewonnen für die CDU – weder im Bund noch in Sachsen-Anhalt.

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