Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow - Die Linke: Selbstzerstörung durch „friendly fire“

Der Rücktritt der Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow illustriert den desolaten Zustand der Linkspartei. Ihr Rücktritt ist auch ein Eingeständnis des Scheiterns des „radikal-pragmatischen Ansatzes“, der das Mitregieren in diversen Länderparlamenten ermöglichte. Eine Auferstehung aus Ruinen scheint illusorisch.

Susanne Hennig-Wellsow / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Wenn die Fassade bröckelt, ist oft auch im Gebälk dahinter einiges morsch. Die verschiedenen aktuellen Krisenereignisse in der Linkspartei sind für sich genommen nur äußere Hinweise auf ein größeres Bild. Die aus der SED, die immerhin die Parteidiktatur DDR gelenkt hat, hervorgegangene Linkspartei, die sich mit ihrem doppelten Lebensnerv als ostdeutsche Regionalpartei und westdeutsche Protestpartei etabliert hatte, scheint im 32. Jahr der deutschen Einheit am Ende ihrer Kräfte. Der heutige Rücktritt der Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow markiert diese Krisensituation und verstärkt sie auch noch.

Die aus dem mecklenburgischen Demmin stammende Hennig-Welsow prägte von 2009 bis 2021 maßgeblich die Thüringische Landespolitik und ist sicher auch eine Mutter des Erfolgs von Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow. Der Thüringer Kurs steht für maximalen Pragmatismus im Regierungshandeln bei gleichzeitiger ideologischer Linientreue. Dieses Konzept, diesen „radikal-pragmatischen Ansatz“, wollte sie mit der Übernahme des Bundesvorsitzes auch in die Bundespartei tragen und mit dem Einzug in den Bundestag auch nach Berlin. Ihr Rücktritt ist auch ein Eingeständnis des Scheiterns dieses Ansatzes in der Linkspartei insgesamt. Welche Folgen das für die Regierungsbeteiligungen in Thüringen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern hat, ist noch völlig offen. Obwohl die Linken bei der Bundestagswahl eine schwere Niederlage einstecken mussten und nur über die Direktmandate ihren Einzug ins Parlament sicherstellen konnten, scheint ein realpolitischer Lernprozess noch nicht richtig eingesetzt zu haben.

Neuanfang mit neuen Gesichtern?

Für einen radikal-linken Kurs hingegen stand und steht die Co-Vorsitzende Janine Wissler, die sich als gute Rednerin im hessischen Landtag einen Namen gemacht hatte. Sie wurde aus der Gegnerschaft zur Agenda-Politik der Schröder-Regierung politisiert und steht heute für den streng antikapitalistischen Kurs, der sich mit nur schwer mit Realpolitik vereinbaren lässt. Gerade in den Debatten um den Ukraine-Krieg wurde das auch deutlich, bei denen es Wissler schwer fiel, die Verurteilung von Putins Angriffskrieg nicht in einem Atemzug mit „völkerrechtswidrigen Kriegen der Nato“ zu nennen. Selbstredend lehnt sie Waffenlieferungen an die Ukraine ab.

Aktuell aber haben Wissler und die Linkspartei ein ganz anderes Problem. Es steht nämlich nach Spiegel-Berichten der Vorwurf im Raum, sie und auch die Gremien der Parteien seien zu nachsichtig mit Fällen von sexuellem Missbrauch in den eigenen Reihen umgegangen. Im besonderen Fokus stehen dabei Vorgänge in Hessen, von denen die damalige Fraktionschefin Wissler gewusst haben soll. In die laufende Aufarbeitung platzt nun ausgerechnet der Rücktritt von Hennig-Wellsow. Die Thüringerin hatte zunächst mit den Missbrauchsvorwürfen gar nichts zu tun. Sie macht sich das Problem aber nun zu eigen und nennt als einen von drei Gründen für ihren Rücktritt den „Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen“. Sie mahnt einen Neuanfang auch mit neuen Gesichtern an. Dass die Linkspartei aber selbst diesen Neustart nicht abgesprochen, sondern nur mit maximalem „friendly fire“ hinbekommt, offenbart die Risse auch im Fundament der Partei.

Die Partei ist nicht nur inhaltlich gespalten und ausgelaugt

Die Jugendorganisation der Linken, die „Linksjugend ['solid]“, hatte sich hingegen an die Spitze der Aufklärung gesetzt. Sie habe bereits Kontakt zu mehr als 30 weiteren Betroffenen in dem Missbrauchsskandal, ständig kämen neue Meldungen hinzu. Die Bundessprecherin Sarah Dubiel fordert nun, dass die Parteiführung die Vorwürfe „ernst nimmt“. Personelle Konsequenzen nicht ausgeschlossen. Der Rücktritt der pragmatischen Thüringerin setzt nun die ideologische Hessin unter Druck. Wie sollte sie ihren Verbleib im Amt begründen, wenn doch gerade in ihrem Landesverband der Ausgangspunkt der aktuellen Krise liegt?

Doch selbst ein mutmaßlicher Rücktritt der mühsam gefundenen weiblichen Doppelspitze würde der Linkspartei keineswegs einen Befreiungsschlag garantieren. Denn letztlich ist die Partei nicht nur inhaltlich gespalten und ausgelaugt, sie steht auch personell ziemlich blank da. Es waren vor allem die politischen Charakterdarsteller, die der Linkspartei in den zurückliegenden Dekaden oft eine mediale Wahrnehmung bescherten, die über ihre Bedeutung weit hinauswuchs. Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht: Von Nachwuchstalenten ähnlichen Kalibers ist weit und breit nichts zu sehen. Die drei alten Helden aber sind entweder schon halb Geschichte oder auf dem parteiinternen Abstellgleis. Bei den anstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hatte auch schon keiner mehr mit den Linken gerechnet. Wer das verfallene Haus renovieren soll und wozu, steht in den roten Sternen. Eine Auferstehung aus Ruinen scheint illusorisch.

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