Robert Habeck und die Klimapolitik der Ampel - Nüchterner Utopist

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat in seiner „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ gezeigt, was Deutschland tun muss, um die Klimaziele noch zu erreichen: Windkraft und Solarenergie stärker fördern, die Wasserstoffstrategie forcieren und Bürokratie abbauen.

Will Flächen schneller Bebauen: Robert Habeck / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Als sich die Ampelkoalition unter dem Slogan „Mehr Aufbruch wagen!“ Ende letzten Jahres der staunenden Öffentlichkeit präsentierte, erntete sie insbesondere in den Zeitungsredaktionen wohlwollende Anerkennung. Nicht nur die über Wochen gepflegte traute Einigkeit und Vertrauenskultur unter den Akteuren verströmte einen Moment von Zuversicht und den Geist von etwas Neuem. Es war auch die gelungene Modernisierungserzählung, die die seit Jahren abgelagerten Staubschichten von der Oberfläche der großkoalitionären Bundespolitik hinwegzublasen schien. 

Gewiss, in die anfängliche Euphorie mischte sich sogleich eine distanzierende Portion Skepsis. Die Ampelkoalition müsse nun auch durch Taten beweisen, dass sie es tatsächlich ernst meine mit einem Jahrzehnt des Fortschritts und der Innovation. Und mit einem neuen, partnerschaftlichen Politikstil. Auf die Inszenierung müssten auch Taten folgen. 

Das Perpetuum mobile der Ampel 

Das Schwungrad der Modernisierung, wie sie im Koalitionsvertrag verankert ist, hat dabei Anklänge an ein Perpetuum mobile, an eine Kombination von drei Modernisierungselementen, die einander scheinbar ohne Energieverlust gegenseitig antreiben. 

Im Zentrum steht dabei die Bewältigung des Klimawandels. Aber da dieses Ziel, soweit es Deutschland betrifft, nur noch zu erreichen ist, wenn sich der Staat aus seinem sklerotischen Bürokratismus befreit und zugleich durch wissenschaftliche Innovationen neue Grundlagen des wirtschaftlichen Wachstums und damit auch des sozialen Wohlstands entstehen, scheinen auf wundersame Weise die Interessengegensätze der Wähler von Grünen, FDP und SPD versöhnt. 

Mit einem Schulterblick in die Zukunft 

Wenn denn die Ampelkoalition am Ende auch lieferte! Und Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hat diesbezüglich mit seiner „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ beachtlich vorgelegt. Mit einem „Schulterblick“ in die Vergangenheit wolle er einmalig klar herausarbeiten, wo die Republik denn stehe. Um dann um so energischer nach vorne zu marschieren. 

Und die Herausforderungen scheinen enorm: Während im Jahr 2020 unfreiwillig durch die Lockdown-Politik und verbunden mit enormen Wohlstandsverlusten die Vorgaben zur Reduzierung der CO2-Emissionen noch eingehalten worden wären, sei es im Jahr 2021 wieder zu einem Anstieg gekommen. Die Klimaziele würden dadurch verfehlt. Bei Fortsetzung des bisherigen Weges wären im Jahr 2030 gegenüber 1990 nicht CO2-Einsparungen von 65, sondern von nur 50 Prozent möglich, so Habeck auf einer Bundespressekonferenz in dieser Woche.

Ohne politisch nachzutreten, bringt Habeck damit das Problem auf den Punkt: Trotz Urteils des Bundesverfassungsgerichts und trotz aller Bekenntnisse der Großen Koalition erweisen sich die bisher ergriffenen Maßnahmen als unzureichend, um auch nur die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Mehrfach hält der Vizekanzler Grafiken in die Kamera, auf denen das Problem deutlich wird: Der Ausbau von Windkraft und Solarenergie ist in den letzten Jahren durch politische Untätigkeit fast zum Erliegen gekommen.  

Eine gigantische Aufgabe 

Die vor ihm liegende Aufgabe bezeichnet Habeck daher als „gigantisch“. Deutschland müsse „dreimal besser werden in allen Bereichen“. In rund 30 Jahren habe man es zwar geschafft, die erneuerbaren Energien beim Stromverbrauch auf einen Anteil von 42 Prozent zu hieven, betont Habeck anerkennend und nüchtern. Erstmals nach über zwanzig Jahren sank 2021 aber der Anteil der Erneuerbaren wieder. 

In den verbleibenden acht Jahren müsse der Anteil nun gar auf 80 Prozent angehoben werden, um klimapolitisch nicht zu scheitern. Das ist nicht weniger als der Faktor fünf. Angesichts überbordender Bürokratie und eines sich mitunter selbst blockierenden Staates hört sich das fast unlösbar und ein wenig utopisch an. Aber Habeck lässt sich davon nicht beirren. 

Nur wenige Wochen nach Amtsantritt kündigt er daher zwei Gesetzespakete an. In einem „Osterpaket“ soll es um Sofortmaßnahmen gehen. Es brauche zum Beispiel ein „Solarbeschleunigungspaket“ und für Windräder eine schnellere Bebaubarkeit von Flächen. Dabei geht es noch gar nicht um die Ausweisung zusätzlicher Flächen, sondern bloß um die tatsächliche Nutzung bürokratisch blockierter, eigentlich bereits verfügbarer.  

In einem „Sommerpaket“ will Habeck dann die zweite Klimaschutzrakete mit vor allem langfristigen Auswirkungen zünden. Er beabsichtigt, zumindest vorübergehend, Mehrbelastungen von Investoren, die in erneuerbare Energien einsteigen, abzufedern, mit einer „Wärmestrategie“ die Nutzung von Wärmepumpen in Privathaushalten massiv zu fördern und außerdem die „Wasserstoffstrategie“ zu forcieren. Hierbei geht es vor allem um die Abdeckung der Grundlast in der Stromversorgung durch Gaskraftwerke mittels grünem Wasserstoff. Und darum, auch die Industrie mit alternativen Brennstoffen zu versorgen. 

Den Klimaschutz „küchentischtauglich“ machen 

Was Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck dieser Tage vorgestellt hat, läuft auf einen maximal forcierten Umbau der deutschen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft hinaus. Für ihn verbinden sich damit „enorme Chancen“, aber auch absehbare gesellschaftliche Konflikte. Zwar seien immer alle abstrakt für den Klimaschutz, aber nur dann, wenn man davon individuell nicht betroffen sei. Ohne mehr Solidarität und Gemeinwohl werde die Operation daher nicht gelingen, alle müssten „über ihren Schatten springen“. Er meinte damit erkennbar nicht nur alle Bürger, sondern auch die politischen Parteien. 

Er selbst wolle durch zwei Maßnahmen genau dazu beitragen. Zunächst werde er „viel im Lande unterwegs sein“, um die Menschen zu überzeugen – und vor allem Länder wie Bayern. Es brauche auch Anstrengungen, die geplanten Maßnahmen in eine „normale Sprache“ zu übersetzen und sie letztlich „küchentischtauglich“ zu machen. Und außerdem müsse versucht werden, die Einsicht in das moralisch Gebotene erfolgreich mit den je eigenen Interessen zu verbinden. 

Habeck schwebt dabei vor, dass sich Bürger und Kommunen künftig an Investitionsprojekten im Energiesektor auch mit eigenem Geld beteiligen und so finanziell profitieren. Und dadurch schließlich sogar „demokratische Kontrolle“ ausüben könnten. 

Gemeinwohl vor Parteiinteressen 

Es war ein rundum bemerkenswerter Auftritt des neuen Wirtschaftsministers und Vizekanzlers. Ganz jenseits aller parteipolitischen Nickeligkeiten demonstrierte er seine ganz sachliche und nüchterne Entschlossenheit, Deutschlands Energie-, Industrie- und Klimaschutzpolitik auf ein neues Niveau zu heben. 

In einem atemberaubenden Tempo ist es ihm gelungen, nicht nur eine Klimabilanz, sondern ein ambitioniertes Zukunftsprogramm vorzulegen. Er profitiert dabei erkennbar von seiner Erfahrung als ehemaliger Umweltminister von Schleswig-Holstein und setzt so seine Koalitionspartner, ob er will oder nicht, unter Druck. Zumindest der SPD könnte er vorwerfen, den Schlamassel mitverzapft zu haben, in dem sich Deutschland klimapolitisch nun befindet. Aber er unterlässt es – im Interesse der Sache. Er sucht das Gemeinsame und verzichtet auf eigene Profilierung – und profiliert sich gerade dadurch selbst. 

Eine neue Politik 

Robert Habeck löst damit als erster Regierungsvertreter genau jenes Versprechen ein, mit dem die Ampel angetreten ist. Wir blicken auf einen neuen Stil, auf eine andere Art von Politik. Während SPD und Union in der Vergangenheit kaum eine Woche überstanden, ohne sich öffentlich mit Vorwürfen zu überhäufen, geht es nun um die großen Herausforderungen, vor denen das Land steht, und wie man sie am besten gemeinsam bewältigt. 

Aber noch blicken wir bloß auf die Ouvertüre der „Fortschrittskoalition“. Auch jetzt geht es nur um Ankündigungen und nicht um politische Erfolge. Dass sich Habeck durch seine klaren Ansagen selbst am meisten unter Druck setzt, ist ihm dabei bewusst. Aber er sei ja „nicht Minister geworden, um möglichst vier Jahre nichts zu tun und nichts zu riskieren, im Gegenteil“. 

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