Richard David Precht - Die neue Lust an Verboten

Bei Grünen, neuen Linken und den Linksliberalen ist das Motto „Sex, Drugs und Rock’n’Roll“ endgültig Geschichte. Stattdessen dürsten sie nach immer mehr Reglementierungen. Der Philosoph Richard David Precht fordert nun offen das, wovor die Grünen aus Populismus zurückschrecken: mehr Verbote

Richard David Precht fordert mehr Mut zu Verboten / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Die Weltgeschichte“, schrieb einst Hegel, „ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“. Wenn er sich da mal nicht getäuscht hat. Zumindest in Deutschland und insbesondere bei den Statthaltern von Modernität und Fortschritt kommt die Freiheit zunehmend aus der Mode. Ganz offen plädiert man für Verbote, ja für eine neue Verbotskultur. Unter dem Eindruck der Klimadebatte, von Feinstaub bis Greta, überbieten sich seit Monaten Organisation, Parteien und Vordenker in immer weitreichenderen Verbotsforderungen. Nach dem Motto: Am modernsten ist, wer noch mehr verbieten möchte: das Autofahren, das Fliegen, das Fleischessen, das Schnellfahren, das Rauchen, den Alkohol oder was auch immer.

Beinah komisch an dieser neuen Lust am Verbot ist, dass sie von einem politischen Lager ausgelebt wird, dass in der Tradition der Emanzipationsbewegungen der sechziger Jahre steht. Es sind Grüne, neue Linke und Linksliberale, die sich mit zunehmender Erregung in Verbotsorgien hineinfantasieren. Wo man einst im Namen von „Sex, Drugs und Rock’n’Roll“ mit allen Konventionen und Regeln brach und gegen die Autortäten aufstand, fiebert man geradezu dem Tag entgegen, an dem die Listen mit den neuen Verboten dem Volk verkündet werden.

Precht fordert mehr Mut zu Verboten

Ende letzten Jahres etwa forderte Merlind Theile in der Zeit „mehr Verbote, bitte“, letzten Monat flehte Mely Kiyak in nur leicht abgewandelter Form „bitte, bitte mehr Verbote!“, und nur wenige Tage später titelte die taz – also eine Zeitung die ihre Wurzeln in der Sponti-Szene der siebziger Jahre hat –: „Wir brauchen eine Verbotspartei“. Dass man insbesondere bei den Grünen immer wieder gerne über eine Reglementierung der Ernährungsgewohnheiten nachdenkt, über individuelle Flugbudgets und das Verbot von Inlandsflügen, ist bekannt. Auch wenn sich die Parteiführung in diesen Fragen zurzeit auffallend zurückhält und eher mit Enteignungen kokettiert – die treffen weniger Bürger und sind daher populärer.

Doch wo Politiker taktieren, da fühlen sich andere berufen, Tacheles zu reden. Etwa der XXL-Intellektuelle Richard David Precht. In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen fordert er mehr Mut zu Verboten. Spannend ist das Gespräch zunächst, weil Precht dort die Grünen demaskiert. Denn dass, was die Grünen fordern, ist ohne drastische Verbote in der Tat nicht zu haben. Und es ist heuchlerisch, das nicht einzugestehen.

Mit Salamitaktik zur unfreien Gesellschaft

Prechts Pointe liegt nun darin, genau das einzuklagen, wovor die Grünen aus Populismus zurückschrecken: mehr Verbote. Bevorzugte Kandidaten für eine erste Verbotswelle wären nach Precht SUVs in Innenstädten, Massentierhaltung und Plastiktüten. Das ist schon deshalb geschickt ausgewählt, weil er damit entweder an Ressentiments (SUVs) oder sentimentale Gefühle (Tiere) anknüpft. Merke: Auch Großdenker appellieren mitunter lieber an den Bauch als an den Kopf.

So richtig spannend ist jedoch die Interviewpassage, in der Precht mit Verweis auf das Rauchverbot behauptet: „Die Menschen lieben Verbote“. Eine steile These – selbst in Deutschland. Richtiger ist wohl: Sie gewöhnen sich daran – und das ist in einer offenen Gesellschaft ein Problem. Denn tatsächlich kann man nach und nach, quasi mit Salamitaktik, aus einer freien eine unfreie Gesellschaft machen. Am Ende des Tages glauben viele, nichts Gravierendes sei passiert und alles beim Alten, doch faktisch lebt man in einem autoritären System.

Bau am autoritären Sittlichkeits-Staat von morgen

Nun könnten Zyniker sagen: Ist doch egal, Hauptsache die Menschen fühlen sich dabei wohl. Aber diese Form von Zynismus ist wirklichkeitsfremd. Denn sie blendet den entscheidenden Faktor aus: die Macht. Denn Verbote zu erlassen, bedeutet Machtstrukturen zu schaffen: Institutionen, die verbieten, Ämter, die diese Verbote überwachen und Behörden, die diese Verbote durchsetzen. Und einmal etabliert, sind diese Machtstrukturen aus einer Gesellschaft nicht zu entfernen. Sie sind wahrscheinlich nicht einmal einzuhegen. Wer Verbotsstrukturen schafft, baut am autoritären Sittlichkeits-Staat von morgen.

Dass Precht das nicht sieht, ist symptomatisch. Es ist eine alte Schwäche von Intellektuellen, ihre Ideale und ihre Vorstellungen dem Rest der Gesellschaft oktroyieren zu wollen und sich dafür an die Mächtigen ranzuschmeißen, die diese Phantasien auch Wirklichkeit werden lassen könnten.

Sehr viel problematischer ist jedoch, dass auch außerhalb von Intellektuellen-Zirkeln eine neue Verbotssehnsucht um sich greift. In einer zunehmend unübersichtlichen Welt ist das vielleicht kein Wunder, genau deshalb aber ist es gefährlich. Denn hier artikulieren sich Bedürfnisse, die dem neuen Autoritarismus eine große Anziehungskraft verleihen.

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