Ricarda Lang - Galopp durch die Institutionen

Die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, hat sich von einer Klimaaktivistin zum Politprofi gewandelt. Was hat sie vor in ihrer neuen Rolle im Establishment?

Während andere Umweltaktivisten die Kompromisse der Grünen kritisieren macht Ricarda Lang Karriere in der Partei / Marlena Waldthausen
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Ihre Klimakarrieren begannen Ricarda Lang und Luisa Neubauer Seit an Seit. 2018 protestierten sie gemeinsam vor dem Bundestag gegen die Klimapolitik der Bundesregierung. Lang als Sprecherin der Grünen Jugend, Neubauer als Mitbegründerin der deutschen Fridays-­for-Future-Bewegung. Seitdem ist viel passiert. Die eine der beiden Freundinnen blieb beim Aktivismus, wurde zum medial dauerpräsenten Gesicht der deutschen Klimabewegung. Die andere marschiert derzeit im Galopp durch die Institutionen.

Wie durch ein Brennglas konnte man den Kontrast auf dem Bundesparteitag der Grünen im Oktober beobachten. Mit unverrückbarer Trauermine hatte Luisa Neubauer ihrer Partei soeben eine Standpauke gehalten: Sie sehe einen „neuen Modus“ bei den Grünen, „eine Art ökologischen Hyper-Realismus“. Plötzlich würden klimafeindliche Entscheidungen „so plausibel verteidigt – wenn man still ist, hört man irgendwo ein Ökosystem weinen“.

Von Beruf Politikerin

Dann betrat strahlend und selbstbewusst Ricarda Lang die Bühne, streichelte ihrer Freundin verständnisvoll lächelnd über den Arm – eine Geste, die wie ein vorgezogener Trost wirkte für das, was nun kommen würde – und hielt der nach wie vor betroffen dreinblickenden Neubauer entgegen: „Wir werden euch enttäuschen.“ Wenn die Grünen die Wahl haben, „etwas zu tun, was nicht perfekt ist, oder gar nichts zu tun, dann werden wir uns für die nichtperfekte Lösung entscheiden“, sagte sie in Richtung Neubauer und Aktivisten.

Die Geschichte von Ricarda Lang und Luisa Neubauer ist keine Geschichte einer Entfremdung. Das machte diese sorgfältig choreografierte Wir-sind-offen-­für-Disput-Inszenierung deutlich. Beide sind jeweils eine Seite derselben Medaille: die Aktivistin, die zivilgesellschaftlich Druck auf die Politik ausübt und so Diskurse erzwingt, und die Politikerin, die den Aktivismus pragmatisch institutionalisiert. „Es ist wichtig, dass wir uns unsere unterschiedlichen Rollen zugestehen“, sagte Lang so auch mit Verweis auf ihre Werdegänge. 

Ohne Abschluss studierte Ricarda Lang, 1994 in Filderstadt in Baden-Württemberg geboren, von 2012 bis 2020 Rechtswissenschaften in Heidelberg und Berlin. Ebenfalls 2012 trat sie der Grünen Jugend bei, deren Sprecherin sie im Oktober 2017 wurde. Ab November 2019 war sie stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin im Bundesvorstand der Grünen. Bei der Bundestagswahl 2021 verpasste sie das Direktmandat. In ihrem Wahlkreis in der Nähe Stuttgarts holte sie nur 11,5 Prozent der Stimmen – das zweitschlechteste Erststimmenergebnis in diesem Bundesland. Über den sicheren Landeslistenplatz zog sie dennoch in den Bundestag ein. 

In der Sache wendig

Im Februar 2022 wurde sie gemeinsam mit Omid Nouripour eine der Bundesvorsitzenden der Grünen. Keine Selbstverständlichkeit, denn in ihrer Partei hatte sie einflussreiche Gegner – sie sei zu links für die auf Anpassung bedachte Partei, so der Vorwurf. Mittlerweile stimmt sie gegen ihre linken Parolen von gestern: Lang will zwar mit Forderungen wie der nach einer Übergewinnsteuer das Image der Grünen als „FDP in ökologisch“ revidieren. Doch als der Bundestag im November abstimmte, ob es eine Vermögensabgabe für Superreiche geben solle, lehnte sie das mit der Ampelkoalition ab.

Seit Lang Vorsitzende ist, verteidigt sie in Talkshows und Interviews, stets bestens vorbereitet und für jede Frage sofort eine Antwort parat habend, die Grünen-Linie. Mal deutet sie an, die Grünen seien pragmatisch und für Atomkraft offen, um kurz darauf wortreich das ideologisch motivierte Beharren der Grünen auf den Atomausstieg zu verteidigen. Lang sei wie Winfried Kretschmann, aber in links, sagte ein Parteikollege neulich über sie – ein bemerkenswerter Vergleich auch deswegen, weil sich das Gerücht hartnäckig hält, dass die machtbewusste Lang nicht nur bundespolitische Ambitionen hegt, sondern sich auch für die Nachfolge Kretschmanns bereithält.

Als die „Letzte Generation“ in der Kritik stand, weil in Berlin eine Fahrradfahrerin starb, nachdem Klimaaktivisten für Stau gesorgt hatten und ein Zusammenhang zwischen dem Tod der Frau und der Protestaktion hergestellt wurde, stellte sich Lang auf die Seite der Kritiker: Derartige Protestaktionen seien „schlichtweg nicht akzeptabel“.

Anfang November attackierten Klimaaktivisten in Berlin unter anderem auch die Bundesgeschäftsstelle der Grünen, die Wände und ein Auto wurden mit orangener Warnfarbe beschmiert. Vor vier Jahren hätte Ricarda Lang womöglich vor der Tür der Parteizentrale demonstriert. An diesem Novembertag im Jahr 2022 aber verließ sie das Haus durch die Hintertür.

 

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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