Über fünf Prozent mehr Rente - Nach der Rentensteigerung ist vor der Beitragserhöhung

Um über fünf Prozent sollen die Renten hierzulande steigen. Was den Rentner freut, treibt manch Verantwortlichem die Schweißperlen auf die Stirn. Denn mit dem Funktionieren der Rentenkasse ist es so eine Sache. Schon heute reichen die Einnahmen der Rentenversicherung nicht mehr aus, um die Ausgaben zu decken. Eine zeitnahe Beitragserhöhung scheint unausweichlich.

Was den einzelnen Rentner freut, treibt anderen Schweißperlen auf die Stirn / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Was Bundesminister Hubertus Heil (SPD) in dieser Woche zu verkünden hatte, dürfte bei deutschen Rentnern für Freude gesorgt haben. Die Renten sollen um mehr als fünf Prozent steigen und damit so stark wie seit Jahrzehnten nicht. „Gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen – sei es durch steigende Preise oder die internationale Krisenlage – ist es wichtig, zu sehen, dass unser Rentensystem funktioniert“, verkündete ein sichtlich zufriedener Rentenminister.

Mit dem Funktionieren der Rentenkasse ist es aber so eine Sache. Was für den einzelnen Rentner eine Freude darstellen kann, treibt anderen mitunter Schweißperlen auf die Stirn. Zu ihnen gehört mit Alexander Gunkel auch der Vorsitzende des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung. Er gab unlängst bekannt, dass es im Jahr 2021 zu Ausgaben in Höhe von 341,6 Milliarden Euro kam. Das waren schon im letzten Jahr rund 500 Millionen Euro mehr, als überhaupt eingenommen wurden. Und in diesen Einnahmen steckte bereits ein Bundeszuschuss von rund 80 Milliarden Euro.

Schon heute also reichen die Einnahmen der Rentenversicherung nicht mehr aus, um die Ausgaben zu decken. Die Differenz bestreitet die Rentenversicherung derzeit aus einer Rücklage. Die beträgt aktuell noch rund 35 Milliarden Euro. Aber viel ist das nicht. Gunkel rechnet damit, dass die Reserve bis zur Mitte des Jahrzehnts aufgebraucht sein wird. Greife der Bund nicht rechtzeitig ein, werde es zu „Liquiditätsengpässen“ kommen. Oder anders ausgedrückt: Im Herbst eines Jahres könnten dann plötzlich nicht mehr alle Renten pünktlich überwiesen werden. Und dieser Zeitpunkt könnte auch durch stark steigende Renten schnell erreicht sein.

Krise „leichter vorauszusagen als der Klimawandel“

Dabei ist die Lage für die deutsche Rentenkasse auch ohne die aktuellsten Entwicklungen alles andere als rosig. Schon kurz nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrages der Ampelregierung zeigte sich Axel Börsch-Supan, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, von der Politik enttäuscht – wieder einmal. Denn in ihm findet sich im Grunde nichts, um eine langfristige Finanzierungskrise der Rentenversicherung abzuwenden. Dabei sei die, so der Sozialwissenschaftler, „leichter vorauszusagen als der Klimawandel“.

Das liegt daran, dass die demografischen Daten ziemlich robust sind. Man kennt nicht nur die Anzahl der in Deutschland Versicherten, sondern auch das voraussichtliche Datum ihres Renteneintritts. In Verbindung mit den bisher gültigen Regelungen zur Gesetzlichen Rentenversicherung und unter Fortschreibung einer bestimmten wirtschaftlichen Entwicklung lässt sich daher ziemlich genau sagen, was auf das Rentensystem in den nächsten Jahren zukommt.

Bereits im Jahr 2025 sollen die gesetzlichen Rentenleistungen einen Betrag von mehr als 400 Milliarden Euro erreicht haben. Zur Deckung der Mehrkosten sieht die Bundesregierung vor allem zwei Posten vor: deutlich steigende Beitragseinnahmen und einen fast 100 Milliarden Euro umfassenden jährlichen Bundeszuschuss.

„Beitragserhöhung spätestens im Jahr 2024“

Derzeit agiert das politische Berlin dabei noch nach dem „Prinzip Hoffnung“. Mit viel Glück nämlich lassen sich tiefgreifende Reformen am Rentensystem wenn auch nicht verhindern, so doch hinauszögern. Das gelingt dann, wenn die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten schneller steigt als zusätzliche Rentenansprüche. Dann könnten Mehrausgaben durch Mehreinnahmen quasi von selbst gedeckt werden.

Aber eine dauerhafte Lösung ist das alles nicht. Das liegt vor allem daran, dass die Probleme mit dem Jahr 2025 nicht enden, sondern erst so richtig beginnen. Erst danach werden die Boomer-Generationen massiv in die Rente wechseln und das Versicherungssystem bis zum Jahr 2040 immer weiter unter Druck setzen. Börsch-Supan spricht daher von einem bevorstehenden „Ansturm auf die Rentenkasse“. Auch durch eine größere Erwerbsneigung der Frauen oder Einwanderungseffekte könnte das nicht mehr abgewendet werden. Für den Rentenexperten steht daher schon heute fest: „Eine Beitragserhöhung ist spätestens im Jahr 2024 unausweichlich.“

Ein statistischer Effekt

Wahrscheinlich wird sie aber früher kommen. Dazu trägt auch bei, dass die Renten in diesem Jahr so stark steigen wie seit Jahrzehnten nicht. Im Westen sind es 5,35 Prozent, im Osten wegen weiterer Schritte in der Rentenangleichung sogar 6,12 Prozent. Das liegt nicht an erheblichen Lohnzuwächsen. Es ist das Ergebnis eines überaus kompliziert ausregulierten Mechanismus der Rentenentwicklung.

Eigentlich sollen die Renten ungefähr so steigen und sinken wie die Löhne. Nur so lässt sich am Ende auch ein Rentenniveau von 48 Prozent garantieren. Die große Koalition hatte sinkende Renten aber ausgeschlossen. Daher gab es unter Corona zwar sinkende Löhne, aber stabile Renten. Und nun, wo die Löhne wieder steigen und corona-bedingte Rückgänge überkompensieren, steigen aus diesem statistischen Effekt auch die Renten stark an.

Im Osten hätte die Rentensteigerung in diesem Jahr übrigens sogar mehr als sieben Prozent betragen können. Verhindert hat das die FDP. Sie forderte von der Ampel, dass die unter Corona ausgebliebene Rentensenkung mit den jetzigen Steigerungen wieder verrechnet wird – und setzte sich durch. Eigentlich kommt das einem Leistungseingriff in die Rentenversicherung, also einer Leistungskürzung gleich. Aber das fällt wohl nicht auf, wenn die Renten trotzdem um mehr als fünf Prozent steigen und damit annähernd so hoch ausfallen wie die Inflation.

Regierung hat sich eingemauert

Die Möglichkeiten der Bundesregierung, eine Krise der Rentenversicherung abzuwenden, sind dabei denkbar gering. Das liegt vor allem daran, dass sich die Partner in ihrem Koalitionsvertrag regelrecht eingemauert haben. Eine Absenkung des Rentenniveaus wird ebenso ausgeschlossen wie eine Anhebung des Renteneintrittsalters. Also bleiben nach Lage der Dinge neben dem vagen „Prinzip Hoffnung“ nur zwei Auswege: zeitnahe Beitragserhöhungen und eine weitere Anhebung des Bundeszuschusses. Angesichts der Corona-Krise sind die öffentlichen Kassen allerdings ziemlich leer und Umschichtungen zugunsten der Renten dürften erhebliche Verteilungskämpfe nach sich ziehen.

Wahrscheinlich ist daher, dass die Erhöhung der Beträge zur Rentenversicherung bereits im Jahr 2023 auf alle Arbeitnehmer wie Arbeitgeber zukommt. Dieser Schritt ist im Koalitionsvertrag auch ausdrücklich nicht ausgeschlossen, soll „in dieser Legislaturperiode“ aber auf höchstens 20 Prozent beschränkt bleiben.

Schöpft die Politik diesen Rahmen vollständig aus, kann die Rentenkasse mit Mehreinnahmen von rund 20 Milliarden Euro pro Jahr rechnen. Das wird allerdings auch bis 2025 nicht reichen, um die weiter steigenden Rentenansprüche zu bedienen. Die Bundesregierung kann das Problem vielleicht noch ein paar Monate aussitzen, noch sind ja Reserven da. Verschwinden wird es dadurch aber nicht.

 

 

 

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