Reiner Haseloff und der Zoff um den Rundfunkbeitrag - Maggie Thatcher von Magdeburg

Befreiungsschlag oder Akt der Verzweiflung? Reiner Haseloff hat seinen Innenminister Holger Stahlknecht entlassen. Doch den Zusammenbruch der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt hält er damit wahrscheinlich nicht auf. Ebenso wenig sein eigenes Scheitern als Ministerpräsident.

Reiner Haseloffs Scheitern wäre ein Schaden für die gesamte CDU / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Bei Netflix gibt es aktuell eine packende Serie über ein Waisenmädchen, das sich als Schachwunderkind erweist. Elisabeth, so ihr Name, hat es im Amerika der 50er-Jahre immer wieder mit Gegnern, durchweg männlich, zu tun. Sie meinen, sich mit einem genialen Zug aus der sich immer enger ziehenden Schlinge der neurotisch-genialen Rothaarigen zu befreien. Dem triumphalen Blick folgt stets ein sudden death, und die Gegner blicken wie ein Reh, dessen Auge bricht.

Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat im „Queen's Gambit“ von Magdeburg gerade so einen Befreiungsschlag versucht. Er hat seinen Innenminister Holger Stahlknecht entlassen. Der hatte in einem Interview zum außer Kontrolle geratenen Streit um die Abstimmung der CDU-Fraktion im Landtag zu einer Beitragserhöhung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bekräftigt, dass die CDU in Sachsen-Anhalt standhaft bliebe und es im Übrigen bis zu den Wahlen im Sommer 2021 eine Minderheitsregierung gegeben würde, so die Grünen, wie angekündigt für diesen Fall, aus der Kenia-Koalition mit CDU und SPD ausstiegen.

Der Rausschmiss war unvermeidlich

Den Rausschmiss musste Haseloff vollziehen. Stahlknecht kann nicht für den MP verfügen, wann welche Koalition wie fortgeführt wird. Aber Stahlknecht war nicht nur Innenminister. Er ist auch CDU-Landeschef. Und hat den gesamten Landesvorstand hinter sich. Der Fraktionsvorsitzende, die andere Schlüsselfigur, heißt Siegfried Borgwardt und hat auch vor wenigen Tagen verkündet, dass die Fraktion sich keinen Millimeter von ihrem Nein wegbewegen werde und also mit der AfD im Landtag stimmen würde.

Wenn sich Partei und Fraktion einig sind und bleiben, dann hat Haseloff keine Chance. Dann war das kein Befreiungsschlag, sondern eine unausweichliche Aktion, die nichts daran ändert, dass er kippt. Ebenso wie die Damen der Gegner von Elisabeth. In der historisch ungeheuer wirklichkeitsgetreuen Serie „The Crown“ über die englische Königin kommt Maggie Thatcher in der vierten Staffel in eben jene Klemme, in der Haseloff jetzt steckt. Bei ihr tritt der ewige Gefolgsmann Geoffrey Howe als Außenminister zurück, ein Parlamentsauflösungsversuch ihrerseits scheitert. Und weg ist Thatcher. 

Der Schaden des Scheiterns

Haseloff wird absehbar Maggie Thatcher von Magdeburg. Der Schaden seines Scheiterns wäre für die CDU in Bund und Land immens. Haseloff ist ein allseits geschätzter Ministerpräsident von ganz eigenem Schrot und Korn. Einer der wenigen, die sich in der CDU seit jeher trauen, Angela Merkel die Stirn zu bieten. Nicht aus Prinzip. Punktuell, wo er es als notwendig erachtet. Er hat seinen eigenen Kopf, ist komplett unabhängig. Nur seinem Gott, an den er fest glaubt, Rechenschaft schuldig.

Kenia wiederum, diese bunte Koalition aus dem Malkasten des neuen Parteiensystems, hat für die CDU eine besondere Signalwirkung. Sie ist Große Koalition, also jetziges Berliner Bündnis, und Schwarz-Grün, absehbar nächstes Berliner Bündnis, in einem. Wenn jetzt Grün geht, dann ist das für die Bundestagswahl 2021 kein gutes Zeichen. Da helfen auch die Hinweise nichts, dass Magdeburg und die dortige CDU ganz anders ticken als die Parteifreunde in Stuttgart oder Düsseldorf. 

Das Dilemma der CDU

Das Drama auf der Bühne des Ostens offenbart das ganze Dilemma der CDU, in das die Politik der Angela Merkel sie geführt hat: Zerrissen zwischen restaurativ/konservativen und progressiv/grünlichen Kräften, konkret: Zerrissen zwischen der AfD und den Grünen und der Frage, mit wem man wo und wann darf und mit wem man wo und wann und wie nicht darf oder besser nicht sollte. 

Sechs Wahlen stehen im kommenden Jahr an, darunter eine in Sachsen-Anhalt, eine im grün-schwarzen Baden-Württemberg – und die Bundestagswahl. Die CDU hat noch nicht einmal einen neuen Parteivorsitzenden geschweige denn einen Kanzlerkandidaten. Sie mag in den Umfragen vergleichsweise gut aussehen. Aber das Podest ist mürbe, auf dem sie steht.

Inzwischen hat Holger Stahlknecht seinen Rücktritt für Dienstag angkündigt.

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