Räumung der Liebig34 - „Angekündigt war großes Kino. Und wat is? Nüscht“

In Friedrichshain-Kreuzberg hat die Polizei eines der letzten besetzten Häuser in Berlin geräumt. Der angekündigte Widerstand der linksextremen Szene blieb aus. Doch aufatmen können die Anwohner deshalb nicht.   

Durch die Fenster: Polizisten räumten am Freitag die „Liebig 34“ / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es ist 7:32 Uhr, als das Geräusch einer Motorsäge verkündet, dass das Recht in der Liebigstraße im Berliner Stadtteil Friedrichshain wiederhergestellt ist. „Die Tür ist auf“, ruft ein Mann, der in der Menge vor dem Haus mit der Nummer 34 steht.

Eine halbe Stunde später verlässt der erste Bewohner das Haus über eine Gangway, die Polizisten zu einem zuvor aufgesägten Fenster in der ersten Etage gebaut haben. Es ist ein Mann, der schwarz vermummt ist. Die Gangway ist seine Showtreppe. Er winkt der Menge zu. Die pfeift, klatscht, johlt und trommelt. Sie feiert ihn, als wäre er ein Popstar.

Business as usual   

Es sind solche Bilder, an die man sich noch erinnern wird, wenn schon keiner mehr von der Räumung des Hauses spricht. Ihre Botschaft ist eindeutig: Triumph im Augenblick der größten Niederlage. Die Liebig34 ist eines der letzten besetzten Häuser in Berlin. Die Adresse eines queer-feministischen Wohnprojektes. War, muss man jetzt sagen. Denn am Freitagmorgen hat der Eigentümer das Haus mit Hilfe der Polizei räumen lassen.

Für die Beamten war es „Business as usual“. Schon um sechs Uhr säumten hunderte Schaulustige die Straße. Der typische Sympathisant ist Mitte 20, er ist schwarz gekleidet und trägt eine Bierflasche in der hinteren Hosentasche. Und er reagiert berufsbetroffen auf das martialisch anmutende Szenario, das die Polizei vorbereitet hatte.

Spott und Häme für die Antifa

Ein grüner Räumungspanzer versperrte den Eingang zur Liebig34. Hunderte Polizisten riegelten den Schauplatz zu allen Seiten ab. „Ich glaub nicht, dass Widerstand möglich ist“, sagt eine Endzwanzigerin, die mit ihrer Freundin händchenhaltend vor dem Haus steht. Sie soll Recht behalten.

Von lautstark angekündigten Protesten war wenig zu spüren, geschweige denn von bewaffnetem Widerstand. Bei Twitter mussten die Aktivisten dafür Spott und Häme einstecken. „Angekündigt war großes Kino. Und wat is? Nüscht.“ Ein User schrieb: „Nach fünf Minuten hat die Antifa bedingungslos kapituliert.“

Der Staat, dein Freund und Helfer?  

„RAUS AUS UNSEREM KIEZ!“ Aus einer Lautsprecher-Box scheppert die Stimme einer Aktivistin. Sie ruft die Demonstranten auf, sich in der Gegend zu verteilen und „widerständig“ zu bleiben. Ein Anti-Polizei-Chor stimmt ein: „Raus aus unserem Kiez!“ Das lesbische Pärchen macht nicht mit.

Klar, sagen sie, würden sie die Bewohnerinnen der Liebig34 kennen. Sie seien dort einige Male zu Besuch gewesen. Sie starren einen entgeistert an, wenn man sie fragt, ob der Eigentümer nicht im Recht sei, wenn er jetzt einen Gerichtsvollzieher geschickt hat, weil die Frauen seit 2018 keine Miete mehr bezahlt haben. Sie sagen: „Das ist ein Frauenhaus.“ Was es leiste, sei eigentlich Aufgabe des Staates.   

Der Staat, dein Freund und Helfer? Tatsächlich wird das Projekt vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg protegiert. Noch im Juni sprach sich die Bezirksverordneten-Versammlung mit den Stimmen der Linken und Grünen gegen eine Räumung aus. Die Liebig34 sei ein Schutzraum für Frauen und Lesben, „ohne patriarchale und diskriminierende Strukturen“, hieß es. 

Wie aus einem Traum ein Albtraum wurde

Dass die Ecke Liebigstraße/Rigaer Straße zu einem Hotspot für linksextreme Gewalt geworden war, dass die Bewohnerinnen der Liebig34 wie ihre Nachbarn aus dem ebenfalls teilbesetzten Haus Rigaer Straße 94 regelmäßig wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, Landfriedensbruch oder Beleidigung angezeigt werden, davon war nicht die Rede.

Für Kaspar Deecke war das eine schallende Ohrfeige. Er hat vor fünf Jahren mit anderen eine Baugemeinschaft gegründet und sich mit seiner Familie den Traum von einer 100-Quadratmeter großen Eigentumswohnung in einem Neubau erfüllt. Seither, so sagt er, würden er und die Nachbarn von Linksextremisten terrorisiert.  

Gewehrkugeln im Kinderzimmer

Mal sprühten sie „Stirb, Yuppie-Abschaum!“ auf die Hauswand. Mal schlugen 6 Millimeter große Stahlkugeln im Kinderzimmer seiner Tochter ein, die im Hochbett schlief. Deecke hat schon TV-Journalisten in seine Wohnung gelassen. Jetzt will er nicht noch mehr Öl in Feuer kippen. Er sagt: „Mit einer gewissen Nervigkeit muss man in Berlin zwar rechnen. Aber Gewalt sollte nicht dazugehören.“

Von der Politik fühlt er sich im Stich gelassen. Ihre Hilferufe seien auf taube Ohren gestoßen, sagen die Nachbarn. Dass jetzt Ruhe in den Kiez einkehrt, glaubt keiner. In der Nacht vor der Räumung konnten sie nicht schlafen, weil wieder Autos in Flammen aufgingen und ein Hubschrauber über dem Kiez kreiste. Aufatmen können sie auch nach der Räumung nicht. Die Aktivisten haben damit gedroht, weitere Häuser in Berlin zu besetzen.

Der Anschlag auf den S-Bahn-Verkehr als PR-Coup  

Von Rache-Akten ist die Rede, von Versuchen, die Stadt zu chaotisieren. Tatsächlich hatte die Räumung schon am Montag ihre Schatten vorausgeworfen. Ein Anschlag auf einen Kabelschacht in der Frankfurter Allee hatte den S-Bahn-Verkehr rund ums Ostkreuz lahmgelegt. Fünf Tage später ist er noch immer eingeschränkt. Tausende Pendler müssen Umwege fahren oder mit Verspätungen rechnen.  

Von einer „Verzweiflungstat“ spricht der Anwalt des queer-feministischen Frauenprojektes in der Liebig24, Moritz Heusinger. Er meint das tatsächlich ernst. „Wie sollte sich die Szene denn sonst Gehör verschaffen?“ Jetzt stehen Menschen dichtgedrängt vor dem Haus, und Heusinger muss sich fragen, ob der Anschlag auf die Bahn ein guter PR-Coup für seine Mandanten war. Die Polizei hat 1.500 Beamte geschickt, dazu kommen 1.500 Demonstranten und hunderte Journalisten. Kann sich Berlin so ein Super-Spreader-Event in Corona-Zeiten leisten?

War der Polizei-Einsatz rechtswidrig?

Als Student hat Heusinger selbst Erfahrungen im Häuserkampf gesammelt. Jetzt steht er in blankpolierten Lederschuhen, mit Mantel und Kaschmirschal vor der Liebig34, das grau gewordene Haar zum Knoten gebunden.  

Er verfolgt, wie die Polizisten eine Bewohnerin nach der anderen aus dem Haus tragen. Er sei stinksauer, sagt er in die Mikrophone der Journalisten. Der Polizei-Einsatz sei nicht nur unverhältnismäßig, nein, er sei auch rechtswidrig. Schließlich, sagt Heusinger, hätte der Eigentümer die Räumungsklage gegen den Trägerverein erwirkt, den er vertrete. Der aber sei gar nicht der richtige Adressat. Er hätte die Räume längst an einen anderen Verein untervermietet.

Kritik am Innensenator

Von „juristischen Tricksereien“ spricht Burkard Dregger. Er ist Anwalt und innenpolitischer Sprecher der Berliner CDU-Fraktion. Und als solcher ist er am Tag der Räumung ein gefragter Interview-Partner. Das Thema linksextreme Gewalt treibt ihn schon länger um. 2018 hat seine Partei einen 16-Punkte-Plan zur Stärkung der Rechte der Polizei vorgelegt.

„Un-er-träg-lich“ finde er, was in Friedrichshain-Kreuzberg passiere, sagt er am Telefon. Ein rot-rot-grüner Senat, der sich nicht von linker Gewalt distanziere. Ein Innensenator, der einfach wegschaue, wenn die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann sich über das Recht hinwegsetze, indem sie sich weigere, die stählerne Tür in der Rigaer Straße 94 entfernen zu lassen, um den Brandschutzbestimmungen Rechnung zu tragen.

Dregger hat sich jetzt in Rage geredet. Er redet vom Versagen der Exekutive. Er fragt, wo das noch hinführen solle. Dass die Polizei jetzt zumindest die Liebig34 geräumt hat, ist für ihn nur ein schwacher Trost. Dregger sagt, die Initiative sei vom Eigentümer ausgegangen, nicht von der Politik. Dabei wäre es doch ihre Aufgabe gewesen, den Bewohnern den Kopf geradezurücken. „Es gibt Leute in Berlin, die glauben, dass sie besondere Rechte haben. Diese Leute haben heute gelernt, dass sie in einer Sackgasse gelandet sind.“  

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