Oberst a.D. Ralph Thiele im Gespräch mit Alexander Marguier - Cicero Podcast Politik: „Dann sehe ich schwarz für die Ukraine“

Machen wir uns etwas vor, wenn wir glauben, Russland durch Sanktionen in die Knie zwingen zu können? Die Hinweise verdichten sich jedenfalls, dass die Strafmaßnahmen des Westens vor allem den europäischen Unterstützern der Ukraine schaden. Ohnehin sieht es aus westlicher Perspektive derzeit nicht gut aus, was den Krieg in der Ukraine betrifft. Der Militärexperte und frühere Bundeswehr-Oberst Ralph Thiele analysiert im Podcast mit Cicero-Chefredakteur Alexander Marguier die aktuelle Situation.

Alexander Marguier und Oberst a.D. Ralph Thiele / privat
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Am Anfang sah es so aus, als würde es der Ukraine gelingen, den russischen Invasoren erfolgreich zu widerstehen. Die russische Armee machte auf dem Schlachtfeld zunächst einen desolaten Eindruck – was auch im Westen die Hoffnung nährte, der Krieg könne schon bald zu Ende sein, und die Ukrainer würden ihr gesamtes Territorium zurückerobern. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet, die Zuversicht ist geschwunden. Denn es wird immer deutlicher, dass die russische Seite über wesentlich mehr militärische Ressourcen verfügt als anfangs vermutet. Und auch die Sanktionen der EU scheinen eher Europa selbst zu treffen als Russland. Haben die Ukraine-Unterstützer – darunter auch Deutschland – sich also kolossal verkalkuliert?

Der frühere Bundeswehr-Oberst Ralph Thiele sagt: ja. Und blickt entsprechend pessimistisch auf das Schlachtfeld in Osteuropa. Der Vorsitzende der Politisch-Militärischen Gesellschaft war in seiner eigenen Laufbahn in bedeutenden nationalen und internationalen Verwendungen eingesetzt, darunter im Planungsstab des Verteidigungsministers. Voriges Jahr erschien sein vielbeachtetes Buch „Hybrid Warfare“, das viele Szenarien vorausnahm, die wir heute im Ukrainekrieg erleben müssen. Insbesondere die Bundesrepublik agiere jedoch angesichts hybrider Kriegsführung immer noch hilflos und unerfahren – auch dies eine Folge mangelnder deutscher Strategiefähigkeit.

Das russische Militär, analysiert Thiele, lege derzeit eine „operative Pause“ ein, um danach mit voller Wucht gegen die Ukraine loszuschlagen. Im Grunde würden sich die gegnerischen Verbände darauf einrichten, einander spätestens im Winter wieder erbittert zu bekämpfen. „Das spricht also für eine Verlängerung des Konflikts“, sagt Thiele. Gleichzeitig müsse man konstatieren: „Die Russen haben Munition bis zum Abwinken.“ Und während sich die Ukrainer jetzt langsam auf westliche Waffensysteme umstellen sollten, seien diese in großen Mengen überhaupt nicht vorhanden. Das Fazit: Der Charakter des gesamten Konflikts wird sich womöglich in Richtung eines Guerillakrieges entwickeln, von dem auch noch umliegende Länder betroffen sein könnten. „Das ist alles keine wirklich gute Perspektive.“

Besonders kritisch sieht der Oberst a.D. das westliche Sanktionsregime gegen Russland. Weil man im Westen nämlich aus einer Blase heraus argumentiere – und in dieser Blase „kommt der Rest der Welt nicht vor“. Tatsächlich würden dieser Tage sehr viele Staaten „mit klammheimlicher Freude“ dabei zuschauen, wie sich die alten, als ausbeuterisch empfundenen Industrienationen mit ihren Exportverboten selbst schadeten: „Darum sehen die auch gar nicht diese Notwendigkeit, den Westen bei seinen Sanktionen zu unterstützen.“ Insbesondere die Chinesen könnten sich die Hände reiben.

Apropos China: Dort liegt, davon ist Thiele überzeugt, der Schlüssel, wenn es darum geht, den Ukrainekrieg doch noch in absehbarer Zeit zu beenden. China sei nämlich sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland befreundet – und habe „durch die Blume erklärt, dass es bereit wäre, an einem Frieden mitzuwirken und auch als eine Garantiemacht dort einzutreten“. Doch der Westen scheue ein chinesisches Engagement, weil man die Sache lieber selbst regeln wolle. Aus Thieles Sicht ist das aber ein fataler Fehler: „Wenn wir diese Möglichkeit ausschlagen, sehe ich schwarz für die Ukraine.“

Das Gespräch wurde am 15. Juli 2022 aufgezeichnet.

 

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