Ralph Brinkhaus - Die Stunde des stillen Stürmers

Ralph Brinkhaus will die Lobbyismus-Vorwürfe gegen Philipp Amthor nun prüfen lassen. Ansonsten wirkt der Voristzende der Unionsfraktion eher unscheinbar. In der Corona-Krise jedoch versucht er sich Profil zu verschaffen. Wird Brinkhaus der neue Zahlmeister der Republik?

„Ich werde langsam unleidlich“: Ralph Brinkhaus pocht auf Finanzdisziplin / picture alliance
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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In seinem länglichen Büro an der Spree gibt es nur wenig Dekoration: An der Wand hängt ein rostfarbenes Kreuz, auf dem Schreibtisch steht der weiße Geißbock des 1. FC Köln. Vielleicht sollte sich der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende noch einen Taschenrechner oder eine Spardose dazulegen. Ihm fehlt noch ein prägnantes Bild, das man mit ihm verbindet. Der formal mächtigste Mann im Bundestag blieb in seinen zwei Jahren als Vorsitzender der größten Fraktion im Bundestag meist unscheinbar. War da jemand als Merkel-Kritiker gestartet – und ließ sich dann doch als Stützpfeiler im System der Kanzlerin einmauern? 

Der 51-Jährige hat sich jetzt mit einem kraftvollen Bild zu Wort gemeldet. Wie in einem „schlechten amerikanischen Endzeitfilm“ habe er sich in der Corona-Krise gefühlt, als er in dem wie ausgestorben wirkenden Berlin im Bundestag zur nächtlichen Stunde Milliarden-Hilfspakete verabschiedete. „Ich werde langsam unleidlich“, sagte der sonst um ein freundliches Wort nicht verlegene katholische Ostwestfale dem Spiegel. Nun müsse auch an die Finanzierbarkeit der Wohltaten gedacht werden. 

Wurde da der neue Sparkommissar geboren, die Stimme der wirtschaftlichen Vernunft? Die Forderungen zum Geldausgeben kämen im Stundentakt, sagt Brinkhaus, so gehe es nicht weiter. Er predigt das altbekannte finanzpolitische Credo: Steuererhöhungen schaffen kein Wachstum, keine Vergemeinschaftung von Schulden, Konjunkturpakete mit Augenmaß. „Ich sehe die Abwrackprämie skeptisch“, sagt er in seinem Büro. Vielleicht ist die Stelle an der Spitze des politischen Berlins angesichts der Krise vakant: die des strengen Kassenwarts, des Ordnungspolitikers, der nach weniger Staat und nach mehr Eigenverantwortung ruft. Diese Rolle hat sich Brinkhaus jetzt gesucht. Doch wie viel Gehör er finden wird, ist noch nicht ausgemacht, trotz seiner Funktion. Vielleicht könnte er mit diesem Profil in einem nächsten Kabinett nach Merkel Finanzminister werden. Doch dann wird er mutmaßlich mit einem Schuldenberg und Massenarbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Keine Zeit für reine Lehre. 

Brinkhaus ist Seiteneinsteiger und Überraschungskandidat

Es gibt eine ganz eigentümliche Gemeinsamkeit von Angela Merkel und Brinkhaus. Beide sind Seiteneinsteiger, Überraschungskandidaten, immer eher unwahrscheinlich an dem Platz, an dem sie sind. Beiden fehlt etwas, was eigentlich lebensnotwendig ist im politischen Geschehen: Hausmacht. Anders gesagt: Netzwerke. Nun hat Merkel, die 20 Jahre CDU-Vorsitzende war, inzwischen viele Unterstützer, Anhänger und Verbündete gesammelt. Und doch bleibt sie, die erst mit 35 Jahren in die Politik eingestiegen ist, eben auch die eingeheiratete Stiefmutter in der Unions-Familie, in der Partei geachtet und bewundert, aber nicht wirklich geliebt. Im Übrigen würde sie das auch als unpassend empfinden. So tickt auch Brinkhaus.

Als er 2009 überraschend in den Bundestag einzieht, ist sein Adressbuch praktisch leer. In seinem Wahlkreis Ostwestfalen-Lippe hatte der Außenseiter sich in einer Kampfabstimmung durchgesetzt, zuvor saß er fünf Jahre im Rat der Stadt Gütersloh. Ansonsten kümmerte er sich als Steuerberater um seine Klienten.

Nach der Bundestagswahl 2018 wählte die Unionsfraktion den vorherigen Stellvertreter zum Fraktionschef – in einer Kampfabstimmung gegen den langjährigen, von Merkel favorisierten Amtsinhaber Volker Kauder. So etwas geschieht sehr selten im zumeist perfekt choreografierten Berliner Politikbetrieb. „Das ist Demokratie“, meint Brinkhaus.

Brinkhaus ist Stürmer

Er lebt von Überraschungen, er hat seinen eigenen Kopf, wie man in seiner Heimat sagt. Brinkhaus stammt aus dem ländlichen Wiedenbrück, gelegen zwischen Münster, Bielefeld und Paderborn. „Dort wohnen Menschen, denen nicht viel geschenkt wurde, sondern die kämpfen müssen und können“, sagt er. Mit 16 Jahren tritt er in die Junge Union ein. Doch erst 14 Jahre später wird er Parteimitglied. Dass daraus eine Karriere an die Spitze der Politik werden könnte, ist völlig unwahrscheinlich. 

Das macht ihn anders, zum Solitär, bis heute. Das unterscheidet ihn von den meisten Spitzenpolitikern. Er ist nicht im JU-Milieu groß geworden, hat kaum Kontakte und Freundschaften in der Partei gesammelt – ein Fundament, auf dem sonst so viele politische Karrieren gründen. Das bringt eine gewisse Unabhängigkeit mit sich, die ähnlich wie bei Merkel zu Macht und Einfluss geführt hat. Und manchmal ist die vermeintliche Schwäche eine unberechenbare Stärke.

Kauder galt als Dompteur der Fraktion, manche sahen nun in Brinkhaus, dem Steuerberater und Ökonom, den Moderator. Doch das trifft es nicht ganz. „Es kommt auf die Tore an“, sagt er, der den Fußball liebt. „Dafür muss man geduldig die Lücken suchen.“ Er stürmt. Für Überraschungen bleibt Brinkhaus gut.

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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