PostVac und Impfschäden - Die vergessenen Veteranen im Viruskrieg

Aus den von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vollmundig versprochenen schnellen Hilfen für Impfgeschädigte ist nichts geworden. Im Krieg gegen das Coronavirus sind sie die stillschweigend in Kauf genommenen Opfer.

Eine Aktion der Betroffenengruppe „NichtGenesen“ vor dem Bundestag / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Diana Schneider lebt in zwei Welten. Und das schon seit über zweieinhalb Jahren. „Während in Gesellschaft und Politik noch darüber diskutiert wird, ob meine Symptome überhaupt existieren, sind sie unter Betroffenen absolute Realität.“ Wer der 38-jährigen Pharmakologin zuhört, der bemerkt zuweilen eine Sprachlosigkeit. Es gehe ja nicht nur um sie, sagt sie schließlich. Es gehe um Menschen, von denen heute niemand so genau weiß, wie viele es eigentlich sind. Menschen, die vor wenigen Monaten noch inmitten der Gesellschaft verankert waren; die sich für sich und – wie es damals vermutlich zu oft geheißen hatte – auch für andere hatten impfen lassen oder die unter die Einrichtungsbezogene Impfpflicht fielen.

Nun drohen viele dieser Menschen aus eben dieser Gesellschaft herauszufallen; nicht weil sie es wollen, sondern weil die Gesellschaft sie anscheinend nicht mehr will. Irgendetwas jedenfalls passt nicht mehr zusammen. Und das hat vermutlich mit diesem bunten Strauß an Symptomen zu tun, deren Beginn die allermeisten noch heute exakt datieren können: „Es begann kurz nach der Corona-Impfung. Und seither hört es nicht mehr auf.“ 

Viele dieser Menschen können nicht mehr arbeiten, sind unentwegt kraftlos oder bettlägerig und haben Tag für Tag Schmerzen. Eine Hölle, die in den meisten Fällen nicht einmal auf Medikamente zu reagieren scheint. „Man verkennt die wirtschaftlichen Folgen des Wegsehens. Die Chance auf Teilhabe – ob bei Karriere, Kinderwunsch oder Lebensträumen – schwindet“, kritisiert Diana Schneider. Und noch etwas anderes macht sie traurig: „In der Mehrzahl sind Frauen betroffen, die sowieso schon um Gleichstellung kämpfen müssen. Sie werden auch öfter Opfer von Medical Gaslighting.“ Eine Berechnung des US-Ökonomen David Cutler summiert die Kosten, die in der US-amerikanischen Gesellschaft allein durch Long-Covid (und somit auch Post-Vac) entstehen werden, auf gigantische 3.700 Milliarden US-Dollar.

Ein kleiner Piks, ein großer Schaden

Vor eineinhalb Jahren, im Februar 2022, hat Cicero schon einmal mit Diana Schneider gesprochen. Für einen Artikel über vermutete Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Corona-Impfung erzählte die studierte Pharmakologin damals von den merkwürdigen Symptomen, die bei ihr kurz nach ihrer Impfung aufgetreten waren: Kopfschmerzen, nächtliche Orientierungslosigkeit, extreme Brustenge, Übelkeit, rasender Puls. „Ich bin froh, wenn ich mal einen guten Tag habe und den dann so überstehe, dass ich nicht direkt zusammenbreche“, sagte die couragierte Berlinerin damals. Eine Frau, die trotz aller Gegenwehr ganz plötzlich in ein dunkles Loch gefallen zu sein schien. Ein „kleiner Piks“ hatte gereicht, um einen festen Boden an Sicherheiten wegzuziehen.

Damals gehörte viel Mut dazu, über derlei Dinge zu reden. Wohl die meisten Mediziner beteiligten sich in der Hochphase der Impfkampagnen an der Verharmlosung, oftmals sogar an der Leugnung von Nebenwirkungen. Unerwünschte Reaktionen nach der Corona-Impfung gebe es allenfalls für ein paar Tage, hieß es nahezu unisono. Und wenn es doch einmal länger dauere, dann sei es vermutlich psychisch bedingt.

Ein Minister rudert zurück

Mittlerweile aber musste selbst der Bundesgesundheitsminister einräumen, dass es langanhaltende und schwerwiegende Schädigungen nach der Impfung geben kann; Schädigungen, über die auch er zuvor lieber nicht so offen gesprochen hatte: In einem Interview mit dem ZDF-„Heute Journal“ vom 12. März 2023 jedoch blickte Karl Lauterbach (SPD) plötzlich auch auf die dunkle Seite der Impfkampagnen. Er sprach von Schicksalen, die „absolut bestürzend“ seien. Ja mehr sogar: Jedes einzelne Schicksal sei eines zu viel, tue ihm leid. Der Bundesgesundheitsminister versprach Hilfe: Die Krankenkassen würden ohnehin bereits die Behandlungskosten übernehmen, und die Länder trügen notfalls die Kosten der Versorgung. Es müsse jedoch, so Lauterbach damals gegenüber ZDF-Moderator Christian Sievers, zu einer schnelleren Anerkennung der Schäden und somit auch zu einer schnelleren Hilfe kommen.

Ein erstes Aufatmen unter Betroffenen. Doch mehr als ein Vierteljahr später scheint sich nichts zum Besseren gewandelt zu haben. In einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage von Cicero heißt es bereits im Juni 2023 recht lapidar, dass zwar zu Long-Covid mittlerweile mehrere Studien liefen, u.a. auch an vier Zentren in Deutschland. Über Impfnebenwirkungen jedoch, die in der Öffentlichkeit mittlerweile unter dem zwiespältigen Begriff Post-Vac firmieren, kaum ein Wort: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, so sein Sprecher gegenüber Cicero, setze sich für ein Forschungsprogramm ein, das die Versorgung von Long-Covid-Patienten verbessere; und von diesem sollen angeblich auch Post-Vac-Betroffene profitieren.

Eine Hoffnung versandet

So blieb zumindest die Hoffnung. Einen Monat später dann eine Bundespressekonferenz mit dem Minister sowie mit den zwei führenden deutschen Experten auf den Gebieten Long-Covid und Impfnebenwirkungen: Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité und Bernhard Schieffer von der Post-Vac-Ambulanz an der Universitätsklinik Marburg. Wieder scheint Lauterbach das irgendwie unangenehme Thema Impfnebenwirkungen weiträumig umschiffen zu wollen. In seinem Eröffnungsstatement jedenfalls redet er lieber über Long- und Post-Covid sowie über ME/CFS – das gefürchtete Chronische-Fatigue-Syndrom. Irgendwann ist es dann der Kardiologe Bernhard Schieffer, der an diesem Morgen des 12. Juli das unangenehme Schweigen durchbricht: „Wir sollten die Augen nicht vor Dingen verschließen, die uns vielleicht unangenehm sind“, so Schieffer vor der versammelten Hauptstadtpresse. Und zu diesen Dingen gehöre eben auch, dass die Impfstoffe gegen Sars-Cov-2 gelegentlich Nebenwirkungen hätten: „Da appelliere ich an meine Kollegen, nicht zu sagen, es gebe diese Erkrankung nicht.“

Ob dieser Zwischenruf einer ausgewiesenen und durchaus engagierten Koryphäe hilft? Patienten wie Diana Schneider haben es zu oft erlebt: Ärzte, die keinen Zusammenhang ihrer Symptome mit der Impfung sehen wollen; Krankenkassenvertreter, die mangels offizieller Daten und Fakten keine Hilfestellung und Unterstützung leisten. Eine andere Betroffene schildert gegenüber Cicero ihren ermüdenden Kampf um Kostenübernahme bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse. Statt am Ende ein von zahlreichen Experten sowie vom behandelnden Arzt empfohlenes Medikament zu übernehmen, empfahl die Kasse auf einen Widerspruch hin keine Medikation, sondern den Gebrauch von Merkzetteln sowie die Verwendung von Sonnenbrille und Ohrstöpseln. Und das bei Patienten, die zuweilen bereits ihre Arbeitsfähigkeit eingebüßt haben und die oft nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag selbständig zu meistern. 

Die lange Reise ans Licht

Für viele von ihnen wird dieser Kampf gegen die Bürokratie irgendwann zur Sisyphosiade. Diana Schneider hat dennoch nicht aufgegeben. Nach einer langen Odyssee durch Spezialsprechstunden und Krankenhäusern in ganz Deutschland hatte man ihr im November 2022 endlich angeboten, an einer sogenannten H.E.L.P.-Apherese-Therapie teilzunehmen – einer Art Blutreinigung, die ursprünglich bei Fettstoffwechselstörungen eingesetzt wird. Der Nutzen, warum und ob die Methode bei Post-Covid oder Post-Vac hilft, ist noch unklar.

Eine einzige Behandlungssitzung kostet hier zwischen 1300 und 2300 Euro und muss für gewöhnlich viele Male durchgeführt werden. Hätte Diana Schneider nicht das Glück gehabt, dass in ihrem Fall die behandelnde Klinik die Kosten aus eigenem Forschungsantrieb übernommen hat, sie hätte sich diese Therapie schlicht nicht leisten können. Die Behandlung brachte jedoch den entscheidenden Durchbruch bei der Verbesserung der Belastung. „Über die pharmakologische Therapie hinaus muss die H.E.L.P.-Apherese besser in kontrollieren Studien untersucht werden“, heißt es daher in einem hoffnungsvoll stimmenden Bericht der Universitätsklinik Marburg. Noch aber fehlen die Gelder für eine Studie. Finanzierungslücken sollen durch eine Crowdfunding-Aktion geschlossen werden.

Zwar hat Karl Lauterbach jüngst für die weitere Versorgungsforschung zu Post- und Long-Covid sowie zu Post-Vac 20 Millionen Euro zugesichert. Doch die ursprünglich einmal auf 100 Millionen Euro anvisierte Förderung wird bei Weitem nicht ausreichen. Diana Schneider nämlich ist kein Einzelfall. Schätzungen gehen heute davon aus, dass über 2 Millionen Menschen in Deutschland an Post-Covid Symptomen leiden. Wie viele davon auf Nebenwirkungen der Impfung zurückzuführen sind, weiß niemand genau. Und zuweilen hat es den Anschein, dass es auch niemand wirklich wissen möchte.

Irritationen

Denn eines ist merkwürdig: Viele der angeblich unter Long Covid leidenden Patienten hatten zum Zeitpunkt ihrer Krankmeldung noch nie eine Corona-Infektion. Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, immerhin die größte deutsche Krankenkasse, ergab vor einigen Monaten nicht nur, dass bis Dezember 2022 lediglich bei ein Prozent aller zuvor wegen einer Covid-Infektion ausgefallenen Beschäftigten später auch ein Post-Covid-Leiden diagnostiziert wurde. Das eigentlich Überraschende kam erst einige Zeilen später: Bei nur knapp der Hälfte aller durchgängig Versicherten mit einer Post-Covid-Diagnose nämlich wurde zuvor auch eine akute Sars-Cov2-Infektion dokumentiert.

Wie ist das möglich – zumal bei einer Erkrankung, die lange Zeit einer behördlichen Meldepflicht unterlag? Das Krankenkasseninstitut selbst spekuliert über falsch-negative Testergebnisse oder unterschiedliche Dokumentationsgewohnheiten. Bei dem lang anhaltenden Chaos in der Nachverfolgung von Infektionen nicht ungewöhnlich. Doch kann das alleine schon die gravierende Diskrepanz erklären? Während Fachleute noch immer rätseln, werden immer weitere Auffälligkeiten publiziert. Sie betreffen vor allem die Verbreitung von Long- und Post-Covid. So ergab etwa ein im April veröffentlichter Preprint einer beobachtenden Kohorten-Studie aus Australien, dass anhaltende Symptome und Funktionsbeeinträchtigungen, die noch zwölf Wochen nach einem positiven Test auftraten, bei Corona nicht häufiger zu beobachten waren als bei Influenza. Daten, die gewiss mit Vorsicht zu genießen sind, zumal es sich eben nur um einen Vorabdruck handelt. Doch geben sie einen ersten Hinweis darauf, dass möglichweise nicht alles Long-Covid ist, was von manchem Verantwortlichen vorschnell Long-Covid genannt wird. 

Alles wird durcheinandergeschmissen

Denn Fakt ist: Es wird immer weniger differenziert. Impfschäden werden immer öfter in einem Atemzug mit Long- oder Post-Covid-Erkrankungen genannt; und Post-Vac – jener eigentümliche Begriff, der auch nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums nicht mal eine „medizinisch definierte Erkrankung oder Symptomatik“ darstellt – ist zu einem ideologisch aufgeladenen Dummy-Term geworden, der den an schweren Impfnebenwirkungen leidenden Patienten vermutlich kaum ein Deut weiterhilft. Bernhard Schieffer von der Uniklinik in Marburg scheint daher längst zu einer pragmatischen Lösung übergegangen zu sein: „In Marburg unterscheiden wir nicht zwischen Post-Covid nach Impfung und Post-Covid nach einer Infektion“, so der Kardiologe jüngst während der Pressekonferenz mit dem Bundesgesundheitsminister.

Zugegeben, eine solche Vermengung mag es für Betroffene im Notfall einfacher machen, eine angemessene Therapie zu bekommen – zumal die allermeisten Bundesbürger mittlerweile nicht nur mindestens eine Infektion, sondern eben auch einige Impfungen bekommen haben. Doch für die Erfassung schwerer Impfnebenwirkungen, ja für die Pharmakovigilanz in Gänze, könnte das irgendwann noch zum Problem werden. 

Melden lohnt sich nicht

Für beides wäre in Deutschland eigentlich das Paul-Ehrlich-Institut zuständig. Doch in dem bundeseigenen Institut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel hat man sich seit Beginn der Impfkampagne auf eine lediglich passive Verfolgung von Impfschäden verständigt. Heißt: Ärzte und Patienten können Schäden melden; doch jeder Meldebogen verschwindet letztlich in einer Art institutioneller Black-Box. Was das Paul-Ehrlich-Institut selbst von derlei „Spontanmeldungen“ hält, hat es in seinem jüngsten Sicherheitsbericht zu den Covid-19-Impfstoffen mit Sachstand 31.03.2023 kundgetan: Spontanmeldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung bzw. Impfkomplikation seien demnach zwar „ein wichtiges Instrument, um zeitnah neue Risikosignale detektieren zu können“; doch indirekt legt man den zumeist eh nicht sonderlich meldewilligen Ärzten nahe, die Meldung besser gleich zu unterlassen. Denn: „Solche Verdachtsfallmeldungen sind […] zumeist nicht geeignet, um die Kausalität der berichteten unerwünschten Reaktion mit der Impfung oder ihre Häufigkeit festzustellen.“

Eine Aussage, die zwar zweifelsohne richtig ist, die aber umso mehr die Frage aufwirft, warum das PEI nicht von Beginn an ein aktives und flächendeckendes Monitoring der neuartigen Impfungen betrieben hat – zumal zahlreiche Studien über die Nebenwirkungsanzeige bei neu eingeführten Medikamenten schon in der Vergangenheit gezeigt haben, dass eher viel zu wenig, denn zu viel gemeldet wird. Eine Metastudie der Drug Safety Research Unit im britischen Southampton etwa kam bereits 2012 zu dem besorgniserregenden Ergebnis, dass die mediane Untermelderate in 37 Studien 94 Prozent betrüge. 

Keine ist gefragt worden

Beim PEI aber scheint man derlei Forschung zuweilen auf die leichte Schulter zu nehmen. Von Cicero gefragt, wie das Institut eigentlich gemeldete Verdachtsfälle auf schwere Impfnebenwirkungen prüfe, teilte man zwar mit, dass man gegebenenfalls auch Rückfragen bei meldenden Personen durchführe, wies aber zugleich darauf hin, dass Verdachtsfallmeldungen seitens des PEI nicht einer „individuell medizinisch-klinischen Begutachtung unterliegen“. Eine stichprobenartige Nachfrage von Cicero bei zahlreichen Selbsthilfegruppen von Impfgeschädigten sowie bei meldenden Ärzten ergab indes, dass keiner der meldenden Personen je eine Rückfrage durch das Paul-Ehrlich-Institut erhalten habe.

So fühlen sich viele Geschädigte seit Monaten und oft sogar schon seit Jahren wie die im Stich gelassenen Veteranen eines Krieges. Im „la guerre contre le coronavirus“, wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2020 vollmundig die vielen Maßnahmen gegen die Pandemie genannt hatte, sind sie die vergessenen Opfer. Mitten unter uns, und doch nicht wirklich da. Da wirkt es fast wie eine böse Satire, dass für viele der Opfer am Ende weder die Pharmaunternehmen, noch der Staat in die Schadensersatzhaftung genommen werden können. Für viele bleibt am Ende wohl nur das nackte Überleben, kärglich gesichert durch das Bundesversorgungsgesetz. Und das wurde 1960 ausgerechnet als ein „Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges" geschaffen.

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