Pop-Up-Radwege in Berlin - Wie man eine gute Idee in den Sand setzt

Das Berliner Verwaltungsgericht hat dem Senat eine schallende Ohrfeige verpasst und die hastig installierten Pop-Up-Radwege wegen fehlender Begründungen für unrechtmäßig erklärt. Die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther steht vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik.

Für viele Fahrradfahrer ein Schritt in die richtige Richtung: Pop-Up Radwege / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Das hat weh getan. Das Berliner Verwaltungsgericht hat am Montag die vor einigen Wochen an acht Hauptstraßen eingerichteten Pop-Up-Radwege für unrechtmäßig erklärt und deren Rückbau angeordnet. Nun sollte man nicht mutmaßen, dass es sich bei den Richtern um ausgewiesene Fahrradfeinde und Auto-Nerds handelt.

Vielmehr haben sie schlicht bemängelt, dass die Einrichtung der separaten Spuren und die damit verbundene Einschränkung des PKW-Verkehrs nicht auf „verkehrsbezogenen Erwägungen“ basiert habe, sondern pauschal mit der gestiegenen Fahrradnutzung während der Corona-Pandemie begründet wurde.  

Ein altes Problem 

Der „rot-rot-grüne“ Berliner Senat und allen voran die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther stehen somit erneut vor einem veritablen Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik. Denn die in der Koalitionsvereinbarung vom November 2016 niedergelegten ambitionierten Ziele zum Ausbau der Fahrradinfrastruktur und vor allem zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für die Zweiradfahrer sind größtenteils längst im Berliner Planungschaos versunken.

Die Zahl der schwer verletzten oder gar tödlich verunglückten Fahrradfahrer hat sogar zugenommen. Immer mehr Menschen nutzen in der Hauptstadt das Fahrrad für ihre alltäglichen Wege, doch viele wichtige Verbindungsstraßen erinnern eher an Survival-Training als an sichere Verkehrswege. Ausweichrouten sind in vielen Teilen der Stadt Mangelware, und die vorhandenen Fahrradwege auf den Bürgersteigen sind nicht selten anspruchsvolle Buckelpisten und mitunter an Kreuzungen sogar regelrechte Todesfallen. Das alles ist seit Jahren bekannt, doch geändert hat sich wenig.

Verkehrsplanung sieht anders aus

Die Pop-Up-Radwege wirkten daher von vornherein wie ein eher verzweifelter Befreiungsschlag einer angeschlagenen Senatorin und einiger Bezirksstadträte. Zwar brachten sie an einigen Straßen, besonders in Kreuzberg, deutliche Verbesserungen der Sicherheit für Fahrradfahrer, doch die Problematik des Lieferverkehrs und der Zufahrt zu Parkplätzen wurde an einigen Stellen schlicht ignoriert, und auch die Streckenführung wirkte teilweise wenig durchdacht.

Mit einer auch nur einigermaßen kohärenten Verkehrsplanung hat das nichts zu tun. Wie so etwas gerade unter Berücksichtigung und Förderung des Fahrradverkehrs funktionieren kann – und zwar ohne permanente Konflikte mit motorisierten Verkehrsteilnehmern – demonstrieren Städte wie Kopenhagen und Helsinki seit vielen Jahren.

Gegen den „Autohass"

Besonders schmerzlich dürfte es für die Koalition auch sein, dass mit Frank Scholtysek ausgerechnet ein Abgeordneter der AfD mit seiner Eilklage für das mögliche Ende der Pop-Up-Wege sorgte. Der feierte das Urteil dann auch prompt als „Sieg für die individuelle Mobilität gegen Autohass“. Was ziemlicher Unfug ist, denn das Gericht hat keineswegs in Frage gestellt, dass prinzipiell Pop-Up-Radwege eingerichtet werden können, wenn sie denn auf konkreten Untersuchungen der jeweiligen verkehrlichen Situation beruht.

Doch mit seiner schlampig durchgeführten Hauruck-Aktion hat der Senat reichlich Wasser auf die Mühlen der kleiner werdenden, aber immer noch präsenten Gruppe der Verfechter einer „autogerechten Stadt“ gegossen, als deren Sachwalter sich die AfD jetzt profilieren kann.

Gut gemeint ist nicht gut gemacht 

Bislang ist unklar, ob die Pop-Up-Wege jetzt zeitnah abgebaut werden müssen. Der Senat geht in die nächste Instanz, muss aber noch erreichen, dass mit diesem Schritt eine aufschiebende Wirkung verbunden ist. Verneint das Oberverwaltungsgericht dies, müssen die Markierungen und Absperrungen von den zuständigen Bezirken umgehend entfernt werden. Egal wie das weitere Verfahren ausgeht: Der exponentiell wachsenden Gruppe der Fahrradnutzer in Berlin hat der Senat jedenfalls einen Bärendienst erwiesen. Und dem Ansinnen einer zukunftsorientierten, nachhaltigen Verkehrspolitik ebenfalls.

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