Politik nach der Corona-Krise - „Eine Enquete-Kommission ist eine gute Idee“

Eine Aufarbeitung der vergangenen beiden Pandemie-Jahre ist notwendig - allerdings ohne Schuldzuweisungen, sagt Karl-Rudolf Korte im Cicero-Interview. Vielmehr gehe es darum, für künftige Krisen zu lernen, seien es Umweltkatastrophen oder Cyber-Terrorismus. Der Politikwissenschaftler meint: Wir brauchen eine grundsätzliche Staatsstrukturreform.

„Wir brauchen wieder Lust auf soziale Interaktion“: Vereinzelung gefährdet die Demokratie / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ist Professor an der Universität Duisburg-Essen am Campus Duisburg und Direktor der NRW School of Governance. Er ist häufig als Wahlexperte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen.

Herr Korte, am vermutlichen Ende der Pandemie gibt es auch Verunsicherung über Maßnahmen und Management der Corona-Krise. Was brauchen wir, um Vertrauen zurückzugewinnen?

Wir brauchen einen Mutmacher, der uns aus unseren Höhlen wieder herausholt. Wir brauchen wieder Lust auf soziale Interaktion, das haben wir verlernt, weil jede Interaktion ein Infektionsrisiko war. Wir müssen wieder die Gemeinschaft suchen, die Vereinzelung gefährdet die Demokratie.

Jens Spahn hat gesagt, wir werden einander viel verzeihen müssen. Wie finden wir heraus, was gut gelaufen ist und was nicht?

Es braucht tatsächlich auch eine gründliche Aufarbeitung der zurückliegenden zwei Jahre, die aber in die Zukunft gerichtet sein muss. Eine vom Bundestag eingerichtete Enquete-Kommission ist dafür eine gute Idee. Damit könnte die Zeit der Pandemie wissenschaftlich und gründlich aufgearbeitet werden. Das darf nicht nur eine Suche nach vermeintlichen Fehlern sein, sondern viel wichtiger ist es, für die anstehenden Herausforderungen zu lernen. Es muss dabei darum gehen, in der Politik eine bessere Fehlerkultur zu entwickeln, mit Heterogenität besser umzugehen und die Rolle der Wissenschaft in der Politik besser zu fassen.

In der SPD gibt es Stimmen, die eine Aufklärung des Maskenskandals durch einen Untersuchungsausschuss fordern. Eine gute Idee?

Das ist meiner Meinung nach eben keine gute Idee. Es nutzt nun niemandem, nach Schuldigen zu suchen und Schuldzuweisungen zu verteilen. Politik muss sich als lernfähiges Geschehen erweisen, um eine Resilienzfähigkeit der Gesellschaft zu erreichen. Wir haben die Reparaturbedürftigkeit des Nachsorgestaates kennengelernt und sehnen uns nach dem Vorsorgestaat. Wir müssen aus der zurückliegenden Krise lernen, welche Tools wir für kommende Krisen nutzen können.  

Die Pandemie hat aber auch Schwächen nicht nur unseres Gesundheitssystems offengelegt. Was muss passieren?

Karl-Rudolf Korte
/ dpa

Wir brauchen nach den Erfahrungen dieser Pandemie eine grundsätzliche Staatsstrukturreform. Es reicht nicht, nur Planungsverfahren zu beschleunigen. Die nächste Krise wird keine Pandemie sein, vermutlich werden die kommenden Problemszenarien viel gravierender sein, das können Umweltkatastrophen sein oder Bedrohungslagen durch Cyberkriminalität. Diese zu bewältigen, wird komplexer sein, als eine Impfung für die Bevölkerung zu organisieren.  

Ist der Föderalismus krisentauglich?

Wir müssen den Föderalismus überdenken. Die Vielheit im Sinne eines Wettbewerbs ist absolut hilfreich. Widerstandsfähigkeit lässt sich gerade durch die Unterschiedlichkeit der Ansätze herstellen, es darf nur nicht in einer Kakophonie enden, wie wir es bisweilen erlebt haben. Auch die kommunale Selbstverwaltung mit den Gesundheitsämtern war eine deutsche Stärke, nur die fehlende Vernetzung hat das System anfällig gemacht. Aber wir müssen in vielen Bereichen unsere Widerstandsfähigkeit stärken.

Wie erklären Sie es sich, dass es Skepsis den Maßnahmen gegenüber gibt?

Die Skepsis findet sich meines Erachtens nur in einer kleinen gut organisierten Minderheit. Die übergroße Mehrheit hat die Maßnahmen akzeptiert und auch solidarisch umgesetzt. Der freiheitliche Staat wäre gar nicht in der Lage gewesen, Maskenpflicht und Abstandsregeln von oben polizeilich durchzusetzen, es brauchte die Akzeptanz und das Mittun der Bevölkerung. Der hybride Protest war gut inszeniert, aber letztlich von der Größenordnung irrelevant.

Woher kommt der Protest?

Da mischen sich ganz unterschiedliche berechtigte und unberechtigte Interessen und Anschauungen. Menschen, die verständlicherweise ihre Interessen verletzt sehen, weil sie ihren Beruf nicht richtig ausüben können, sind dabei. Aber es gibt auch Verschwörungserzählungen, die absurdeste Dinge kundtun und eine grundsätzliche Skepsis der staatlichen Ordnung gegenüber artikulieren. In der Summe aber muss eine Demokratie das aushalten und damit umgehen. Doch die zurückliegenden Wahlen zeigen alle: Die Mitte wird gestärkt, die Ränder verlieren, das ist auch ein Erfolg der Pandemiebekämpfung.

Aber Sie sehen auch die Notwendigkeit, dass es jetzt einen Impuls geben muss, zur Normalität zurückzukehren?

In der Tat braucht es sowas wie eine Initialzündung, vielleicht eine Art Freedom Day. Wir kommen nicht direkt dahin zurück, woher wir gekommen sind. Die Pandemie hat uns verändert. Aber es braucht jetzt ein Zurück zur Lust auf soziale Interaktion. Vielleicht könnte der Bundespräsident einen solchen Öffnungstag organisieren, es braucht nicht nur das Totengedenken im November, sondern vielleicht jetzt auch das Feiern eines Lebensfreudetags im Frühling.

Die Fragen stellte Volker Resing.

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