Parteiausschluss - Das Problem der CDU heißt nicht Maaßen, sondern Feigheit

CDU-Funktionäre wollen den früheren Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen aus der Partei schmeißen. Damit droht ihnen ein Debakel. Sie sollten sich lieber darum kümmern, wie Deutschland Merkels Fehler in der Migrationspolitik korrigieren kann.

Hans-Georg Maaßen mit Thilo Sarrazin im September 2021 in einer Wahlkampfveranstaltung / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Hans-Georg Maaßen, der vom Spitzenbeamten zum CDU-Rebellen wurde, macht es der Parteiführung nicht einfach, ihn loszuwerden. Im Konrad-Adenauer-Haus beschloss man, den unter Angela Merkel abgesägten Verfassungsschutzchef jetzt auch noch zum Parteiaustritt zu drängen. Doch im Deutschlandfunk machte er klar, keinesfalls kampflos aufzugeben. Er habe zwar die Parteifunktionäre gegen sich, aber dafür den Rückhalt „vieler einfacher Parteimitglieder“, sagte Maaßen. Sein Ziel sei es, den „Linkskurs“ der Christdemokraten zu beenden.

Damit droht nun ein zähes und schmerzhaftes Parteiausschlussverfahren, das schon jetzt an den unglücklichen Umgang der SPD mit Thilo Sarrazin erinnert. Das CDU-Präsidium hat diesen Schritt jedenfalls angekündigt, falls Maaßen nicht von sich aus bis kommenden Sonntag die Partei verlässt. Zur Begründung schreibt das Präsidium: „Immer wieder gebraucht er die Sprache aus dem Milieu der Antisemiten und Verschwörungsideologen bis hin zu völkischen Ausdrucksweisen.“ Das ist sehr schwammig und lässt unklar, welche Äußerungen ihm konkret vorgeworfen werden.

„Grün-rote Rassenlehre“

Vorangegangen war etwas öffentliche Empörung über ein Interview, das Maaßen dem Blogger Alexander Wallasch anlässlich der Silvesterkrawalle in Berlin gegeben hatte. Darin sprach er von „einer grün-roten Rassenlehre, nach der Weiße als minderwertige Rasse angesehen werden und man deshalb arabische und afrikanische Männer ins Land holen müsse“. Vermutlich nimmt das CDU-Präsidium darauf Bezug.

Für die einst konservative Volkspartei, die sich in der Merkel-Ära selbst verloren hat und auch unter Friedrich Merz noch nicht genau weiß, wer sie eigentlich sein will, wird der Fall Maaßen damit zum ernsthaften Problem. Seine scharf zugespitzt formulierte Kritik an der 2015 eingeschlagenen Migrationspolitik schießt zwar zum Teil übers Ziel hinaus und findet natürlich auch Anklang in rechtsradikalen Kreisen, ihm selbst aber deshalb Demokratie- oder Judenfeindlichkeit vorzuwerfen, ist blanker Unsinn.

Innerparteilicher Machtkampf 

Warum also versucht Merz, der selbst als Anti-Merkel ins Amt kam und in Migrationsfragen mit bissigen Bemerkungen („kleine Paschas“) zu punkten versucht, nun einen anderen prominenten Kritiker der Ex-Kanzlerin aus der CDU zu drängen? Zumal Maaßen zwar am Wochenende zum Bundesvorsitzenden der konservativen Splittergruppe „Werte-Union“ gewählt wurde, aber innerhalb der Partei keine wichtige Rolle spielt.

Hat Merz dem Druck linker Journalisten und Politiker nachgegeben, die Maaßen schon lange zum Feindbild auserkoren haben? Oder ist er im parteiinternen Machtkampf mit merkeltreuen Christdemokraten, denen der Ex-Verfassungsschützer ebenfalls ein Dorn im Auge ist, unterlegen?

Um die Hintergründe dieser Affäre zu verstehen, hilft es jedenfalls nicht, sich an einzelnen Äußerungen Hans-Georg Maaßens abzuarbeiten und sie von Rechtsextremismusexperten deuten zu lassen, die auch Franz-Josef Strauß oder Roland Koch als Fälle für den Verfassungsschutz gewertet hätten. Wichtig ist der Blick zurück: Warum genau ist Maaßen eigentlich in Ungnade gefallen?

Warnungen vor unkontrollierter Einwanderung

Als Angela Merkel auf dem Höhepunkt der damals durch den Syrienkrieg ausgelösten Flüchtlingskrise im deutschen Fernsehen verkündete, man könne Grenzen heutzutage nicht mehr schützen, war Maaßen noch in Amt und Würden. Er leitete als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz den größten deutschen Inlandsgeheimdienst, der unter anderem auch dafür zuständig ist, islamistische Terroristen frühzeitig zu identifizieren. Junge Männer aus arabischen Ländern trotz ungeklärter Identität massenhaft ins Land einreisen zu lassen, war schon vor diesem Hintergrund für ihn ein Albtraum. 

Gemeinsam mit zwei anderen Chefs deutscher Sicherheitsbehörden, dem Bundespolizei-Präsidenten Dieter Romann (dessen Leute das leisten sollen, was die Kanzlerin für unmöglich erklärte: Grenzschutz) und dem damaligen Präsidenten des für die Auslandsaufklärung zuständigen Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler, versuchte Maaßen, Politiker und Journalisten wachzurütteln. Die drei warnten vor den schwerwiegenden Folgen unkontrollierter Masseneinwanderung. Doch hören wollte auf sie niemand.

Angebliche Hetzjagden in Chemnitz

Für Merkel muss Maaßen schon damals, im Jahr 2015, zum Problem geworden sei. Gehen musste er aber erst drei Jahre später. Der Anlass: Maaßen hatte der Kanzlerin via Bild-Zeitung widersprochen. Er warf ihr indirekt vor, die Unwahrheit über angebliche „Hetzjagden“ auf Ausländer in Chemnitz zu verbreiten. Der Chef des Inlandsgeheimdienstes stellte sich offen gegen die Regierungschefin. Es war klar, dass Merkel reagieren musste.

Doch weil ihr damaliger Widersacher und Innenmister, CSU-Chef Horst Seehofer, an Maaßen festhalten beziehungsweise ihn in sein Ministerium holen wollte, krachte es innerhalb der schwarz-roten Koalition ordentlich. Am Ende setzte sich die SPD durch und Maaßen wurde in den Ruhestand versetzt.

Maaßen wettert gegen „Ökosozialisten“

Seitdem hat der eher trocken wirkende Jurist (Fachgebiet Ausländer- und Asylrecht), der eigentlich kein Mann für die erste Reihe ist, eine neue Rolle entdeckt: Auf Twitter und in Beiträgen für Medien rechts außerhalb des Mainstreams kommentiert er teils bissig, teils raunend das politische Geschehen. Er wettert gegen „Ökosozialisten“, die auf einen Systemwechsel hinarbeiten, und sieht sich als Verfechter der Interessen des „kleinen Mannes“.

Besonders aufschlussreich, um sein Weltbild zu verstehen, ist ein Beitrag, den Maaßen als Co-Autor im konservativen Magazin Cato veröffentlicht hat. In „Aufstieg und Fall des Postnationalismus“ warnt er vor einem neuen Bündnis zwischen internationalen Kapitalisten und westlichen Linken: „Wir müssen befürchten, dass wir am Ende in Gesellschaften leben, die das genaue Gegenteil dessen sind, wofür unsere Vorfahren und die Ostdeutschen 1989 gekämpft haben: undemokratische, totalitäre supranationale Systeme. Die sozialistischen und die globalistischen Kräfte scheinen sich verbündet zu haben, um genau dieses Ziel zu erreichen.“

CDU muss Migrationsfrage klären

Merkels Politik der grenzenlosen Einwanderung, die von der Ampelkoalition fortgesetzt wird, sieht Maaßen als Teil dieser Bestrebungen. Man kann das als Verschwörungstheorie abtun oder die Verwendung einzelner Vokabeln anprangern. Für die CDU ist damit aber noch lange nicht geklärt, wie sie sich migrationspolitisch positionieren will. Gerade jetzt, während wir mit geschlossenen Augen in eine zweite Flüchtlingskrise hineinsteuern, muss die Partei, die einst auch für innere Sicherheit und einen selbstbewussten Nationalstaat stand, diese Frage beantworten: Sollen die Grenzen Deutschlands weiterhin für jeden offen bleiben, der das Wörtchen „Asyl“ aussprechen kann?

Offensichtlich traut sich Merz nicht, in dieser grundlegenden Richtungsentscheidung den offenen Konflikt mit den Merkel-Getreuen in den eigenen Reihen und in den Medien auszutragen. Stattdessen stürzt er sich auf die Randfigur Hans-Georg Maaßen. Dabei ist der sicher nicht das Problem der CDU. Das Problem der CDU ist ihre eigene Feigheit.

Anzeige