Ostermärsche 2022 - Alle Ostern wieder ...

Der Krieg in der Ukraine hätte die diesjährigen Ostermarschierer eigentlich alt aussehen lassen müssen. Gegen Putins Angriffskrieg helfen keine antiamerikanischen Reflexe. Während sich Bündnis 90/Die Grünen vom marschierenden Pazifismus distanzieren, bleibt die Friedensbewegung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Dauerbrenner. Ein nostalgischer Reflex, der sich nur schwer erklären lässt.

Ostermarsch 2022 / dpa
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Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Was ist das Wichtigste an diesem Ostermontag um 8 Uhr? Wer sich darüber im Deutschlandfunk (DLF) informiert, erfährt in der Übersicht der Acht-Uhr-Nachrichten diese drei Punkte: Brasilien beendet Gesundheitsnotstand, Abschluss der Ostermärsche, Justiz prüft Vorwürfe der Veruntreuung gegen Le Pen. 

Ist der Abschluss der Ostermärsche wirklich das zweitwichtigste Ereignis an diesem Tag? Da dürfte im Kölner Funkhaus eher der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein als die Realität. Nun ja, die Aufmärsche der sogenannten Friedensbewegung an den Ostertagen haben eine lange Tradition. Dazu gehört ihre besonders wohlwollende Behandlung in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Jedoch sind die Zeiten, in denen bei den Ostermärschen Hunderttausende gegen die Nato-Nachrüstung protestierten, längt vorbei. Zu den vielen Demonstrationen, Mahnwachen und Kundgebungen zwischen Karfreitag und Ostermontag kommen seit Jahren mal eine Handvoll „Friedensaktivisten“, mal ein paar hundert, aber keine Massen. Niedrige vierstellige Teilnehmerzahlen gelten bei den Veranstaltern schon als Erfolg. Die größte Demonstration war wohl am Samstag in Berlin mit 1300 Teilnehmern – 1300! Die von Ukrainern und Syrern in Berlin organisierte Gegenveranstaltung zog immerhin 650 Menschen an. 

Einige Tausend bewegen Millionen

Gleichwohl wurde in den öffentlich-rechtlichen Medien seit Karfreitag nahezu im Stundentakt der Eindruck vermittelt, halb Deutschland wäre „für den Frieden“ auf den Beinen. So war am Samstag bei Spiegel-Online zu lesen, „einige Tausend Menschen haben sich am Samstag in deutschen Städten den Ostermärschen der Friedensbewegung angeschlossen." Diese „einige Tausend“ waren es der ARD und dem ZDF wert, sie in fast allen Nachrichtensendungen zu erwähnen. Dabei waren am Samstag und Sonntag allein bei den Spielen der 2. Bundesliga ungleich mehr Menschen in den Stadien als bei allen Demonstrationen der vergangenen vier Tage zusammen.

Offensichtlich wird in den Redaktionen der ARD-Sender, beim ZDF wie beim DLF eine Ostermarsch-Nostalgie der besonderen Art gepflegt. Der verklärte Blick zurück auf die gute alte Zeit machtvoller Demonstrationen lässt dabei vergessen, dass die Ostermarschbewegung selbst in ihren besten Zeiten immer nur für eine Minderheit stand. Schließlich wurden von der Mehrheit der Deutschen solche Parteien gewählt, die die friedliche Nutzung der Kernkraft ebenso ermöglicht haben wie die Stationierung amerikanischer Pershing 2-Systeme als Schutz gegen die sowjetischen SS-20 Raketen. 

Mehr als Pazifismus

Die sogenannte Friedensbewegung war nie ein Zusammenschuss von ausschließlich Menschen guten Willens, denen es nur darum geht, Kriege und Leid zu verhindern. Zweifellos sind dort auch gutgläubige Pazifisten dabei, die der eher weltfremden Ansicht anhängen, die Putins dieser Welt würden den Verzicht eines Landes auf Waffen durch friedliches Verhalten respektieren. Die aus dem linken Spektrum stammenden Marschierer, darunter diverse Friedensinitiativen, Gewerkschafter, Linksradikale jeglicher Schattierung, kirchliche Kleingruppen, linke Sozialdemokraten, grüne „Fundis“ und Mitglieder unzähliger Polit-Sekten, einte ungeachtet ideologischer Differenzen stets ein Ziel: Die Vereinigten Staaten sowie die Nato als weltweite Kriegstreiber mit der Bundeswehr als willigem Helfer zu diskreditieren und der Sowjetunion beziehungsweise Russland den angeblich ehrlichen Willen zum Frieden zu attestieren. 

An Ostern 2022 ist eigentlich alles anders, hätte eigentlich alles anders sein müssen. Wenige Flugstunden von hier tobt in der Ukraine ein schrecklicher Vernichtungskrieg. Russland will sich dieses Land mit Gewalt in seinen Herrschaftsbereich einverleiben. Doch ist auf den ukrainischen Schlachtfeldern weit und breit kein „kriegslüsterner Ami“ zu sehen. Hätte das schreckliche Morden in der Ukraine folglich nicht die Deutschen in Scharen auf die Straße treiben müssen, um sich den Ostermarschierern anzuschließen? 

Das war nachweislich nicht der Fall, trotz der massiven medialen Begleitung der diesjährigen Märsche. In den Ostermarschaufrufen wurde zwar pflichtgemäß der völkerrechtswidrige Krieg verdammt. Aber die eigentliche Stoßrichtung war eindeutig eine andere: keine deutschen Waffen für die Ukraine und vor allem auch kein zusätzliches Geld, um die Bundeswehr in einen einsatzfähigeren Zustand zu versetzen. Kritik an Putin und seinen Kriegsverbrechen war nicht erwünscht, Sympathiebekundungen für die überfallene Ukraine dagegen ebenso erlaubt wie für den russischen Aggressor. Bezeichnend die Äußerung einer Initiatorin der Berliner Demonstration: Man werde nicht gegen Teilnehmer mit russischer Flagge einschreiten. Banner mit Aufschriften wie „Putin der Aggressor“ seien hingegen nicht erwünscht, sie würden nicht zu den Positionen des Ostermarschs passen.

Grüne gehen auf Distanz

Auffällig: Anders als in früheren Jahren gingen die Grünen, einst einer der Säulen der Ostermärsche, in diesem Jahr deutlich auf Distanz. Vizekanzler Robert Habeck hätte sich gewünscht, dass die Ostermärsche sich deutlich gegen den Krieg des russischen Präsidenten richteten: „Es ist eindeutig, wer in diesem Krieg Angreifer ist und wer sich in schwerer Not verteidigt und wen wir unterstützen müssen - auch mit Waffen." Im gleichen Sinn äußerte sich Danyal Bayaz, der baden-württembergische Finanzminister von den Grünen: „Die Ostermärsche hätten sich und ihrem Anliegen einen Gefallen getan, wen sie rauf und runter vor der russischen Botschaft und den russischen Konsulaten im ganzen Land demonstriert hätten. Es reicht nicht, einfach „nur“ gegen Krieg und für Frieden zu sein.“ 

Die „Friedensbewegten“ dachte jedenfalls nicht daran, ihren Protest vor russische Einrichtungen in Deutschland zu tragen. Sie gaben damit dem FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff recht, der die Ostermarschierer als „fünfte Kolonne Putins" bezeichnete: „Sie versuchen, den Westen zu schwächen und die Ukraine zu diskreditieren."

Lambsdorff Einschätzung ist zutreffend, was das eigentliche Ziel der Ostermarsch-Organisatoren betrifft. Diesem Ziel ist die „Friedensbewegung“ in diesem Jahr jedoch nicht nähergekommen. Im Gegenteil: Sehr bescheidene Teilnehmerzahlen, einzelne Anti-Putin-Demonstrationen außerhalb des offiziellen Ostermarsch-Programms und die deutliche Distanzierung führender Grünen machen deutlich, dass die meisten Deutschen den Spruch „Frieden schaffen ohne Waffen“ mit Blick auf die Ukraine als Verhöhnung der Ukrainer verstehen. 

Gleichwohl: Es reicht offensichtlich, „einfach ‚nur‘ gegen Krieg und für Frieden zu sein“, um medial als relevante politische Bewegung dargestellt zu werden. Auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten als Unterstützer können sich die Ostermarschierer verlassen – alle Ostern wieder. 

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