Oliver Polak - „Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Kanzlerin besser mit toten Juden umgehen kann als mit lebendigen"

Der deutsche Stand-up-Comedian Oliver Polak beschreibt in seinem neuen Buch „Gegen Judenhass“, wie er den zunehmenden Antisemitismus hierzulande erlebt. Mit der Politik geht er hart ins Gericht. Sie mache sich mitschuldig, weil sie nur Zeichen setze, aber keine Taten folgen lasse

Solidaritätskundgebung gegen Antisemitismus in Berlin / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Der Stand-up-Comedian, Kolumnist und Autor Oliver Polak lebt in Berlin. 2008 und 2014 erschienen seine beiden Bestseller „Ich darf das, ich bin Jude“ und „Der jüdische Patient“. Jetzt hat er bei Suhrkamp sein neues Buch veröffentlicht: „Gegen Judenhass“. Im Frühjahr 2019 beginnt seine Tour „Der Endgegner“.

Herr Polak, Sie waren sieben, als Sie der Vater eines Freundes beim Abendbrot im angetrunkenem Zustand beschimpft hat: „Ihr Juden tragt die volle Schuld am Tod von Jesus.“ Wie haben Sie reagiert?
Alle haben mich in diesem Moment angeguckt. Dabei wusste ich gar nicht, wer dieser Jesus ist, an dessen Tod ich Schuld sein sollte. Ich fühlte mich sehr unwohl.

War Ihnen damals schon bewusst, dass Sie jüdisch sind?
Ja, klar. Mein Vater war ja Holocaust-Überlebender, das war nie ein Geheimnis. Wenn am Wochenende Verwandte oder Bekannte meiner Eltern zu Besuch kamen, haben die sich nicht über Mallorca-Urlaube unterhalten, sondern auch über Konzentrationslager. Wo sie wen verloren oder wiedergefunden haben. Wer wo verstorben ist. Als Kind sitzt Du daneben, spielst mit Playmobil und kriegst das alles mit – und verstehst es auch irgendwie.

Das ist schon für einen Erwachsenen kaum erträglich. Aber was macht es mit einem Kind?
Es macht einen natürlich traurig. Aus meiner Perspektive waren diese älteren Leute ja meine Freunde. Ich fühle mich ihnen verbunden. Auch ein Grund, warum ich mein Buch Mireille Knoll gewidmet habe.

Wer ist das?
Eine 85jährige Holocaust-Überlebende, die im März in ihrer Wohnung in Paris Opfer eines antisemitisch motivierten Verbrechens wurde und mit mehrfachen Messerstichen ermordet und dann angezündet wurde. Ich fand das unerträglich.   

Sie mussten wieder an die Geschichten ihres Vaters und seiner Freunde denken?
Ja, die Freunde meines Vaters leben teilweise noch. Ich dachte mir: DAS KANN DOCH NICHT SEIN! Hieß es damals nicht überall: Nie wieder! Wehret den Anfängen! Aber heute versteckt sich der Antisemitismus nicht mehr. Für mich ist es so, als würde man ein zweites Mal versuchen, diese Menschen zu töten.

Wo begnetet Ihnen Antisemitismus im Alltag?
Ich lebe seit einigen Jahren in Berlin. Ich weiß noch, wie 2014 bei einer Demonstration von Arabern Israel-Fahnen vor dem KaDeWe verbrannt wurden. Rechte und Linke waren auch anwesend. Sprechchöre erklangen: „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ Wie oft habe ich seither gelesen, dass Juden mit Kipa auf der Straße bedroht wurden. Ausschlaggebend für mein Buch war aber noch etwas Anderes.

Was denn?
An der John F. Kennedy-Schule wurde ein jüdischer Schüler der 9. Klasse monatelang gemobbt und bedroht, ohne dass die Schulleitung auf seine Hilferufe reagiert hätte. Das hat mich an meine eigene Kindheit erinnert.

Sie sind im niedersächsischen Papenburg aufgewachsen. Wie war das?
Ich war der einzige Jude an meiner Schule. Es kam vor, dass mich Mitschüler als „Ausländerjuden“ über den Schulhof gejagt und gesagt haben: „Fass den nicht an, der hat Juden-Aids.“ Als Kind kannst Du Dich nicht wehren.

Oliver Polak / Olaf Heine

Was für ein Bild von Juden haben die Ihnen vermittelt?
Jude, Krankheit, ansteckend. Das sind immer dieselben Bilder. Die ziehen sich bis heute hindurch. Jetzt bin ich 42. Ich möchte denen eine Stimme geben, denen es heute genauso geht, wie es mir damals ging. Ich möchte versuchen, das große schwere Thema auf das Wesentliche herunterzubrechen, um es allen verständlich zu machen. Ich wollte zeigen, dass das Thema Antisemitismus in allen Gesellschaftsschichten vorhanden ist.

Die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, hat neulich in einem Interview gesagt, so schlimm wie heute sei der Antisemitismus in Deutschland noch nie gewesen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich glaube, dass es schon immer schlimm war. Antisemitismus war schon immer in Deutschland verwurzelt. Aber inzwischen ist es wieder salonfähig. Es gibt keine Hemmschwellen mehr dafür, irgendwelche seltsamen Sachen zu sagen. Auch im Bundestag sitzt eine Partei, die die absurdesten Dinge formuliert. Dass der Holocaust nur ein Vogelschiss der Geschichte sei.

Sie meinen die AfD.
Genau. Da gibt es natürlich Leute, die sagen, ach Gott, die wollen doch nur provozieren. Aber aus Gedanken werden Worte, und aus Worten werden Handlungen. Ich warte immer noch darauf, dass von den anderen Parteien jemand aufsteht und protestiert. Bei ihrem jüngsten Besuch in Israel hat die Kanzlerin zwar an der Gedenkstätte Yad Vashem ein Kränzchen niedergelegt. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sie besser mit toten Juden umgehen kann als mit lebendigen. Warum schalten sich Politiker nicht ein, wenn die AfD wieder so etwas sagt?

Aber genau das ist doch neulich passiert. Der frühere SPD-Vorsitzende Martin Schulz von der SPD hat nach einer Rede von AfD-Chef Alexander Gauland gesagt, die AfD gehöre „auf den Misthaufen der Geschichte“. Er ist dafür nicht nur gelobt, sondern auch viel gescholten worden.
Ich fand das sehr gut, was Martin Schulz gesagt hat. Man muss da manchmal auch eine Härte reinbringen. Das ist okay. Man muss die natürlich auch argumentativ zerlegen. Aber wir reden hier von einzelnen Momenten. Nochmal: Diese Partei, die sich für Menschenhass ausspricht, sitzt im Bundestag – in einem Land, in dem es immer hieß: „Nie wieder.“

Die Partei säße dort ja nicht, wenn sie nicht von Menschen gewählt worden wäre, die ihre Ziele teilen. Woher rührt der Hass?
Das ist nicht nur Judenhass. Die Deutschen hassen auch Ausländer. Die realisieren nicht, dass Deutschland nach 1945 multikulturell geworden ist.

Die Deutschen? Herr Polak, geht es auch ein bisschen differenzierter?
Ich meine doch nicht jeden Deutschen. Aber ich meine: einen großen Teil der Deutschen. Die Menschen, die Ausländer hassen, werden immer mehr. Bei der Bayernwahl haben sie jetzt 10,2 Prozent der Stimmen bekommen.

Aber wie kann man Menschen hassen, die man gar nicht kennt?
Es muss immer einen Sündenbock geben, das ist doch klar. In Ostdeutschland gab es eine Diktatur. Dann kam die Wende. Die Menschen fühlten sich im Stich gelassen. Sie wurden ausgebeutet, auch emotional. Ein Stück weit kann man das sogar nachvollziehen. Nur warum wird man dann rechts und nicht logischerweise links? Ihr Sündenbock, das ist heute der Flüchtling.

Aber ausgerechnet arabischen Flüchtlingen wird doch unterstellt, sie würden den Antisemitismus noch importieren.
Es hat in Deutschland schon immer Antisemitismus gegeben. Der war nie weg. Der war wie ein Onkel, der die ganze Zeit im Schaukelstuhl in der Ecke saß und stillschweigend geduldet wurde. Ich glaube nicht, dass die Flüchtlinge einen neuen Antisemitismus eingeschleppt haben. Wer vor einem Bürgerkrieg geflohen ist, hat andere Probleme als Juden. Dass es bei den Menschen vielleicht einen Nährboden für Antisemitismus gibt, ist zwar ein berechtigter Gedanke. Ich glaube aber, der muslimische Antisemitismus kam schon in den sechziger Jahren, mit den türkischen Gastarbeitern.

Ihr neues Buch ist ein Plädoyer gegen Judenhass. Es heißt, Sie hätten ganz schnell erscheinen müssen. Sie hätten dafür sogar Ihre aktuelle Tournee verschoben. Warum eigentlich?
Weil es mir ein Anliegen war. Eine Notwendigkeit. Hinzu kam dann noch der nervige Verlagswechsel. Mein Hausverlag Kiepenheuer wollte, dass ich zwei Geschichten aus dem Buch nehme und drohte mir, dass mein Buch nicht bei ihnen erscheinen könnte, wenn ich das nicht ändere.

Fanden Sie die Forderung des Verlags auch schon antisemitisch?
Ich bin jetzt glücklich, dass mein Buch bei Suhrkamp unzensiert erschienen ist.

Das Buch fasst Ihre persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus zusammen. Antisemiten werden es kaum freiwillig lesen. Wer ist Ihre Zielgruppe?
Ich möchte jüngeren Leuten eine Stimme geben. Ich möchte zeigen, wie es sich anfühlt, wenn man sich nicht wehren kann. Es wäre mein Traum, wenn dieses Buch in der Schule gelesen werden würde.

Sie gelten als Deutschlands politisch unkorrektester Comedian. Muss man da nicht auch einstecken können?
Klar, das kann ich auch sehr gut. Doch Stand-up Comedy ist das eine, und Antisemitismus das andere. Wenn man einen Witz macht, ist es gut, wenn der Witz auch eine Pointe hat. Je größer das Tabu ist, desto besser sollte der Gag sein. Es ist immer noch ein Unterschied, ob ich Witze über mich und meine ethnische Identität mache, oder ob das jemand anderes macht.

Das heißt, Nicht-Juden dürfen keine Witze über Juden machen?
Doch, natürlich dürfen die das. Aber die Frage ist doch immer: Warum machen die das? Es gibt einen Unterschied zwischen Juden-Witzen und jüdischen Witzen.

Mal ein Beispiel: „Was ist eine Beule in der Gasleitung? Jude auf der Flucht.“ Das ist ein Judenwitz. „Grün und Blau haben sich zerstritten und gehen zum Rabbi. Der sagt zu Blau, erzähl du zuerst. Blau erzählt, der Rabbi gibt ihm recht und Blau geht. Grün flippt aus, da er seine Seite der Geschichte noch nicht erzählen durfte. Der Rabbi beruhigt ihn, er erzählt seine Version der Geschichte und der Rabbi gibt ihm auch recht. Grün geht auch. Die Frau vom Rabbi hat alles mitbekommen, schüttelt den Kopf und sagt, er könne doch nicht dem Blau recht geben und dann auch noch dem Grün ...? Er dreht sich zu ihr und sagt ihr: Du hast auch recht.“ Das ist ein jüdischer Witz.

Viele Deutsche haben immer noch ein verkrampftes Verhältnis zu Juden. Können Sie als Stand-up Comedian dazu beitragen, es zu normalisieren?
Nein, und das ist auch gar nicht meine Aufgabe. Meine Vorbilder sind Eddie Murphy, Louis C.K. oder Sarah Silverman. Die haben auch alle ihre Biographie als Basis ihrer Show genutzt. Ich bin nun mal Jude. Ich habe das thematisiert.

Was macht Ihr Jüdischsein heute aus? Gehen Sie in die Synagoge? Ernähren Sie sich koscher?
Das hängt davon ab, mit wem ich zusammen bin. Wenn ich in New York mit den Freunden abhänge, mit denen ich auf einem jüdisch-orthodoxen Internat war, halte ich auch manchmal Sabbat und gehe mit denen in die Synagoge. Dann esse ich auch koscher. In Berlin lebe ich das nicht so aus. Da gehe ich vielleicht an den wichtigsten Feiertagen in die Synagoge – um zu gucken, ob sie noch da ist.

Sie definieren sich nicht über Ihr Jüdischsein?
Ich bin in Papenburg im Emsland geboren, mein Vater war Deutscher, meine Mutter kommt aus Russland, beide jüdisch. Das ist meine Identität.  Ich liebe Motorpsycho, das ist eine norwegische Rockband.

Musik ist Ihre Religion?
Kann man so sagen. Wenn ich mich entscheiden müsste, nie wieder in eine Synagoge zu gehen oder nie wieder zu einem Konzert von Motorpsycho, würde ich wahrscheinlich nie wieder eine Synagoge von innen sehen. 

Warum?
Ich mag diesen brachialen Sound. Der hat mich gleich in seinen Bann gezogen und hat mir über die vielen düsteren Momente im Leben hinweggeholfen. 

Mireille Knoll, die Frau, der Sie dieses Buch gewidmet haben, gehört zu den letzten Überlebenden des Holocausts. Diese Zeitzeugen sterben jetzt langsam aus. Haben Sie Angst, dass mit Ihnen auch die Erinnerung stirbt?
Ja, das ist vielleicht ein bisschen so. Aber dann ist es auch Aufgabe von Leuten wir mir, diese Erinnerung wachzuhalten. Dafür habe ich ja dieses Buch geschrieben.

Sie leben in Berlin-Mitte. Viele kennen Sie zwar aus dem Fernsehen, aber die meisten dürften nicht wissen, dass Sie Jude sind. Fühlen Sie sich in der Stadt sicher?
Grundsätzlich: Ja. Aber wenn man diese Frage Mireille Knoll einen Tag vor ihrem Tod gestellt hätte, hätte sie wahrscheinlich gesagt: Natürlich fühle ich mich sicher. So geht es mir auch. Ich fühle mich bloß in Deutschland nicht mehr besonders wohl. Meine Freundin lebt im europäischen Ausland. Ich komme eigentlich nur noch zum Arbeiten hierher.

Was müsste passieren, damit sich das ändert?
Mir fehlt die Klarheit in der Politik. Man hat das Gefühl, dass die Politiker viel zu sehr mit sich beschäftigt sind. Ich würde mir wünschen, dass die sich mehr um die Bürger kümmern. Inzwischen könnte man fast den Eindruck gewinnen: Die einzigen, die die Wähler noch erreichen, sind die von der AfD.

Immerhin hat die Bundesregierung einen eigenen Antisemitismus-Beauftragten eingesetzt. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass das Problem ist also in der Politik angekommen ist?  
Ja, aber Zeichen bringen nichts. Nicht, was die Politiker sagen, ist wichtig – sondern was sie tun. Es kann nicht sein, dass Rechte wieder ungestraft den Hitlergruß in der Öffentlichkeit zeigen dürfen. Dass Neonazikonzerte auf deutschem Boden genehmigt werden. Wir brauchen härtere Gesetze für Straftäter. Jeder soll sich hier sicher fühlen. Egal, ob er christlich, muslimisch oder jüdisch ist. Wir haben ein Rassismus-Problem. Ich mache das auch an den NSU-Morden und den Verwicklungen des Verfassungsschutzes fest. An dem Fall Maaßen. Oder an dem Bundesinnenminister, der einen Witz darüber macht, dass 69 afghanische Asylbewerber an seinem 69. Geburtstag abgeschoben werden. Ey, das sind Politiker, die unser Land regieren. Das ist krank.

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