Olaf Scholz im Sommerinterview - Der Scholzomat geht baden

Ein Journalist geht ins Sommerloch und kommt darin um. Das ZDF-Sommerinterview mit Bundeskanzler Olaf Scholz war voller Phrasen. Und das mitten in der Rezession.

Olaf Scholz im Sommerinterview / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Wohl dem Land, in dem selbst im Hochsommer noch bunte Redeblumen blühen. Dem Land, in dem auch dann, wenn die Nacht schon schwarz und die Not längst groß ist, ein kleines Gesums als Schlaflied genügt. Seit 35 Jahren ist es bei uns schließlich guter Brauch: Wenn die Hundstage bereits bis an die Kehle gehen und die Trägheit des Sommers nach etwas Kurzweil verlangt, schmeißt irgendein ZDF-Journalist Mikro, Badehose und Anti-Brumm Mückenspray in seinen Ü-Wagen, fährt vom Lerchenberg hinab bis an die Kante eines Sommersees, mindestens aber einer halb vertrockneten Badelache, um  dann dort mit den Großen aus Regierung und Opposition einen knisternden Plausch am telemedialen Lagerfeuer abzuhalten.

Der Anfang dieses Rituals aus alten Bonner Tagen geht bereits weit zurück bis in das Jahr 1988. Damals war es noch Überkanzler Helmut Kohl, der von Wolfgang Herles oder später Klaus-Peter Siegloch im legendären Sankt Gilgen am Wolfgangsee in der drückenden Sommerfrische visitiert wurde. Frei und offenherzig plauderte er dort über die Zukunft von Welt und kleindeutscher Republik. Und ganz ehrlich: Schon damals war der Ferienspaß mit Anke Engelke und Bobtail Wuschel aus dem ZDF-Nachmittagsprogramm irgendwie erfrischender als das gut eingespielte Wortgewäsch mit dem schwergewichtigen Orakel aus dem Salzkammergut.

In der Rezession

Aber so war sie halt, die gute alte Bonner Republik. Es waren Ferien, und alle machten blau von Flensburg bis nach Oberammergau. Heute, 35 Jahre später, machen nur noch jene blau, die sich die gestiegenen Bahntickets und die überteuerten Hotels und Pensionen überhaupt noch leisten können. Der Rest versinkt ohnehin in tiefster Flugscham. Deutschland steckt als nahezu einziges Land Europas in der Rezession, die Inflation frisst uns seit fast zwei Jahren die Haare, mindestens aber das teure Styling vom Kopf, und noch immer beglückt uns irgendein Regierungschef mit ein paar warmen Worten aus der schwülen Luft nahe der teuren Uferlagen von Flüssen und Seen.

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Am heutigen Sonntag war es Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der am Rande des Templiner Sees nahe Potsdam die Fragen – oder sollte man nicht besser von kleinen Schnack-Stützen sprechen? – von Theo Koll parieren durfte. Nach einem kurzen „Moin“ und einem kleinen Tändelei über Frauenfußball und Ruderregatten ging es auch gleich in die Vollen: Energiepolitik („Hier haben wir ein ganz neues Tempo“), Exportschlappe („Was wir brauchen, ist, dass wir Probleme lösen“) und Industrieabwanderung („Es ist gut, wenn deutsche Unternehmen im Ausland investieren“) waren die harten Sachthemen in dem im Stil eher sommerlich-fluffigen Strand-Geschäker zwischen Politik und Medien. Von Schlagabtausch konnte jedenfalls keine Rede sein; denn  bei allen Fragen entglitt der Kanzler wie sonst nur ein flutschiger Lurch im linden Brackwasser des Templiner Sees. 

Konkrete Luft

Dieses inhaltliche Abhandenkommen aber vollzog Scholz derart behände, ja geradezu leichtfüßig, dass es fast schon wieder eine Freude war, ihm beim Dribbling mit dem unterirdischen Sendungsniveau über gut 20 Minuten hinweg zuzuschauen. Selbst als Scholz von Koll direkt darauf angesprochen wurde, dass laut einer Umfrage 72 Prozent der Deutschen der Meinung seien, dass er, Scholz, in Interviews niemals konkrete Antworten gäbe, erhielt er anschließend noch genügend Beinfreiheit, um einen Satz wie den folgenden in die Empfangsgeräte der Gebührenzahler zu deklarieren: „Entscheidungen müssen immer gewogen werden. Das werde ich auch weiter tun und das sehr klar sagen. Davon wird mich auch keiner abbringen.“

Wie gesagt: Ein Land, das sich in seiner vermutlich größten wirtschaftlichen Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit derlei Dödeleien durch die lauen Sommernächte wiegen lässt, dem muss es eigentlich immer noch gut gehen. Interessanterweise war es übrigens die Thüringer Allgemeine und nicht das übergebührlich gepamperte ZDF, das dem Bundeskanzler an diesem Wochenende dann doch noch einen Satz mit Inhalt abringen konnte. Als Scholz von den dortigen Journalisten nämlich darauf angesprochen wurde, wie sich seine  SPD verhalten würde, wenn sie auf kommunaler Ebene einmal auf Stimmen der AfD angewiesen sein sollte, gab er eine Aussage zu Protokoll, die in ihrer Tendenz einer viel diskutierten Ansicht von Friedrich Merz (CDU) schon bedrohlich nahe kam: „Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt.“

Diese Information aber gab es eben leider nur in einer ostdeutschen Regionalzeitung zu lesen. Überregional orientierte sich Scholz lieber staatsmännisch am großen Ganzen. Und so war der sicherlich schönste, weil unwidersprochendste Satz am Ende dieser: „Ich plädiere ausdrücklich dafür, dass wir weiterhin eine erfolgreiche Exportnation sind.“ Eine Sentenz wie eine sanfte Sommerbrise. Und nur die zarten Wellen des großen Wassers waren noch von Ferne zu vernehmen, als der deutsche Qualitätsjournalismus kurz hinter Potsdam baden ging.

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