Olaf Scholz bei „Brigitte Live“ - Der untote Kanzlerkandidat

Der SPD-Kanzlerkandidat hat sich rar gemacht und war mit dieser Strategie zuletzt sehr erfolgreich. Aktuell ist der Finanzminister beliebter als seine Mitstreiter. Gemessen an seiner Performance im „Brigitte Live“-Gespräch sollte Olaf Scholz vielleicht besser weiter schweigen.

Auch wenn die Sessel weich waren und die Fragen kuschelig, wurde der Abend mit Olaf Scholz ungemütlich / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Uta Weisse war Online-Redakteurin bei Cicero. Von Schweden aus berichtete sie zuvor als freie Autorin über politische und gesellschaftliche Themen Skandinaviens.

So erreichen Sie Uta Weisse:

Anzeige

Ich habe mir Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD, im Brigitte Live“-Gespräch angesehen, damit Sie es nicht tun müssen. Denn eine Freude war dieses Kennenlern-Interview mit dem Bundesfinanzminister nicht.

Am Mittwochabend sitzen Brigitte Huber, Chefredakteurin der Brigitte, links von Scholz und Meike Dinklage, Ressortleiterin für Zeitgeschehen, rechts neben ihm auf einer Bühne in der Astor-Filmlounge in Berlin. Die Veranstaltung wird live gestreamt.

Welche Einstellungen, welchen Teamspirit die Person mitbringe, die maßgeblich die Politik in Deutschland bestimmen werde, das wolle man in diesem Gespräch abklopfen, eröffnet Huber den Abend. Scholz trägt einen schnittigen grauen Slimfit-Anzug und weißes Hemd, die oberen beiden Knöpfe offen. Er hat einen leicht gebräunten Teint und wirkt schlanker als sonst. Er sei schon vor einem Jahr von seiner Partei nominiert worden, und das sei geräuschlos geschehen, erklärt Dinklage. Entsprechend leise vollziehe sich gerade auch sein Wahlkampf, der aber noch zu einer Aufholjagd werden solle.

Fehlender Jagdinstinkt

Doch die Energie, die Scholz an diesem Abend versprüht, erweckt nicht den Anschein, dass er auf der Jagd nach dem Amt des Kanzlers sei, sondern darauf spekuliere, sich über das herzumachen, was übrig bleibt, wenn sich die Konkurrenz um die Beute zankt. Blutige Nasen haben sich die Kandidaten der Grünen und der Union ja bereits geholt.

%paywall%

Laschets Beliebtheitswerte als Kanzlerkandidat haben laut einer INSA-Umfrage im Auftrag für Bild am Sonntag um fünf Prozentpunkte abgenommen. Schuld war sein Auftritt im Flutgebiet in NRW, als ein Video von ihm in den sozialen Medien die Runde machte. Laschet feixte und witzelte im Hintergrund, während Frank-Walter Steinmeier mit betroffener Miene der Opfer der Flutkatastrophe gedachte. Nur noch 15 Prozent würden aktuell im Falle einer Direktwahl Laschet ihre Stimme geben, die Woche davor waren es noch 20 Prozent.

Baerbock landet mit 14 Prozent unverändert auf dem dritten Platz. Diskussionen um ihren frisierten Lebenslauf, zu spät gemeldete Einkünfte als Abgeordnete und Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang mit ihrem Buch „Jetzt“ haben die einstige „Frau für alle Fälle“ (Der Spiegel)  Beliebtheitspunkte gekostet.

Olaf Scholz’ Taktik derweil: beobachten, aussitzen, abwarten. Wirklich viel hat man im Wahlkampf von ihm nicht gehört. Er war im Flutgebiet, besuchte seine „sehr gute Freundin“, die Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), in Rheinland-Pfalz, dem bisher am schwersten von der Flut gebeutelten Gebiet Deutschlands. Das habe ihm seine Funktion als Vizekanzler geboten, erklärt er gegenüber den Brigitte-Jounalistinnen. Die Kanzlerin sei schließlich im Ausland gewesen und konnte somit nicht vor Ort sein. Kurzer empörter Blick von Scholz. Wenn man da als Bundesminister der Finanzen nicht hingehe, mache man was falsch.

Der beliebteste Kandidat

Sein leiser Auftritt an der Seite Dreyers hat ihm geholfen. So ist er mittlerweile der beliebteste der drei Kanzlerkandidaten. 20 Prozent der Wähler würden ihn, wenn der Kanzler direkt gewählt werden könnte, laut der besagten INSA-Umfrage ins Amt wählen. Es berühre ihn sehr, dass er aus seinem persönlichen Umfeld, aber auch in den Meinungsumfragen sehen könne, dass ihm viele das Amt des Bundeskanzlers zutrauen würden. Wer Scholz an diesem Abend zuhört, könnte sich das nochmal anders überlegen.

Die Antworten, die er sich von seinen Gastgeberinnen am Mittwochabend mühsam aus der Nase ziehen lässt, lassen die Zuschauer einen Laschet herbeiwünschen, der an der falschen Stelle zu lachen beginnt, oder eine Baerbock, die entgegen den Gepflogenheiten ihrer Partei aus Versehen „das N-Wort reproduziert“. Solche Ausrutscher sind immerhin Beweis dafür, dass die beiden echte Menschen sind. Bei Scholz’ blutleerem Auftritt – nicht so sicher.

Das Problem scheint ihm selbst klar zu sein. Nur weil er Finanzminister sei, wolle er doch nicht als Untoter durch die Gegend laufen, sagt er an einer Stelle des Gesprächs. Bei einem darauf folgenden Fragespiel soll er entscheiden, ob er lieber auf eine Frage zu Geld oder zu Leben antworten möchte. Scholz in onkeligem Ton: „Wir sollten uns doch fürs Leben entscheiden.“ Und was dann folgt, ist eine von drei weniger gefälligen Fragen des Interviews: Ob Scholz seine politische Lebenserfahrung vor den leichtsinnigen Fehlern seiner Mitbewerber schütze, will Dinklage wissen.

Der erfahrene Politiker

Kurze Stille. Scholz rutscht auf seinem Sessel vor und zurück und beginnt groß auszuholen: „Niemand sollte den Eindruck erwecken fehlerfrei zu sein. Das, glaube ich, kann niemand von sich sagen.“ Und dann zählt er einzelne Stationen seines Lebenslaufs auf. Die Arbeit in der Jugendorganisation der SPD, seine Tätigkeit als Anwalt, wo er viele Sozialpläne für Betriebsräte und Kündigungsschutzklagen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verhandelt habe, seine Tätigkeit als Abgeordneter, sein Amt als Vorsitzender des Vermittlungsausschusses – zweimal, wie er betont – und das Amt des Ersten Bürgermeisters von Hamburg. All das habe ihm geholfen. Die Zuschauer dürften an dieser Stelle bereits vergessen haben, warum Scholz hier einzelne Stationen seiner Vita runterspult. Dinklage hilft nach: Das schütze ihn doch aber nicht vor Fettnäpfchen. Scholz: „Nö, überhaupt nicht.“ Aha. Trotzdem helfe die Erfahrung. Hä? Und er hoffe, dass er da was beitragen könne für „unser Land“. So richtig zufrieden wirkt er mit seiner Performance wohl selbst nicht.

Eine weitere unangenehme Frage Hubers zielt auf persönliche Niederlagen von Scholz. Seine schmerzhafteste Niederlage sei, so Scholz, die dramatische Gewalt um den G20-Gipfel in Hamburg in 2017 gewesen. Es seien alle verfügbaren Polizeikräfte vor Ort gewesen, man sei intensiv vorbereitet gewesen. „Und trotzdem haben wir, habe ich, will ich ausdrücklich sagen, die Bürgerinnen und Bürger nicht so beschützen können, wie ich mir das vorgestellt habe.“ Solche Momente hätte Scholz mehr in das Interview einstreuen sollen, er hätte mehr menscheln sollen. Aber das hat ihm seine Taktik, lieber nichts Falsches zu sagen, wohl verboten.

Bei der dritten ungemütlichen Frage des Abends geht es um das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zu Cum-Ex-Geschäften. Am Mittwochnachmittag, nur wenige Stunden vor dem Brigitte-Live-Interview, hatte das Gericht geurteilt, dass Cum-Ex-Geschäfte, also die Erstattung der in Deutschland gezahlten Kapitalertragsteuer bei Aktiengeschäften, Steuerhinterziehung und damit strafbar seien. Ob dieser Tag, an dem das Urteil gefällt wurde, ein guter Tag für Deutschland sei, fragt Brigitte Huber Olaf Scholz. „Ein großartiger Tag“, antwortet dieser. Und ob er mit sich im Reinen sei, schließlich sei er mit der Warburg Bank in Verbindung gebracht worden, bohrt Huber nach. „Ich habe ein reines Gewissen, das ist immer eine gute Grundlage. Das bedeutet nicht, dass man nicht kritisiert wird. Aber die Grundlage ist ja erstmal, dass das stimmt, was man sagt“, erwidert Scholz.

Belastende Geschäfte

Ob Scholz allerdings wirklich ein reines Gewissen haben darf, wird aktuell in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft überprüft. Die sogenannten Cum-Ex-Deals haben deutsche Steuerzahler mehrere Milliarden Euro gekostet. Scholz sowie weiteren führenden Hamburger SPD-Politikern wird vorgeworfen, Einfluss auf die steuerliche Behandlung der mit solchen Deals assoziierten Bank, der Hamburger Privatbank Warburg, genommen zu haben. Scholz soll sich 2016 und 2017, als er noch Erster Bürgermeister der Stadt war, mit Mitinhabern der Bank, Christian Olearius und Max Warburg, getroffen haben. Fabio De Masi, stellvertretender Fraktionschef der Linksfraktion im Bundestag, nannte das BGH-Urteil eine „Ohrfeige“ für Scholz. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk stellte in Zweifel, ob Scholz „wirklich der Richtige ist, dieses Land zu führen.“

Beim Rest der Fragen bauen Huber und Dinklage dem SPD-Kanzlerkandidaten goldene Brücken. Vielleicht in der Hoffnung, dass er ihrem Publikum doch noch ein paar Lacher bescheren würde. Aber Scholz kann die Chancen, die ihm geboten werden, nicht verwandeln. Zum Beispiel beim Thema Gleichstellung von Männern und Frauen. Huber zitiert Scholz, er habe in Bezug auf Baerbock gesagt, Frauen und Männer würden in der Politik anders behandelt. Woran er das im politischen Alltag festmache, will die Brigitte-Chefin wissen. Was dann kommt, wird schwammig. Scholz rettet sich in Allgemeinheiten: „Es wird anders und heftiger kritisiert, wenn mal was schief geht. Ein Mann gilt als kernig, wenn er eine ganze Veranstaltung lang düster guckt, während eine Frau mit Aggressionen rechnen muss, wenn sie nicht oft genug lächelt.“ Dabei wäre es so einfach gewesen. Er hätte doch einfach auf die gefakten Nacktfotos von Baerbock anspielen können oder die fiesen Hasskommentare, denen sich ihre Kollegin Ricarda Lange ausgesetzt sieht. Oder dass weibliche Bundestagsabgeordnete, egal welcher Partei, sexualisierte Nachrichten über soziale Medien erhalten. Genug berichtet wurde darüber. Dass Scholz indes mit keinem konkreten Beispiel aufwartet, hinterlässt den Eindruck, dass ihm Emanzipation über die Angleichung des Gender Paygaps hinaus kein Herzensthema ist.

Schlechte Performance

Selbst als ihm Dinklage die „dusseligste Frage“ stellt, für die sie sich am Ende des Interviews bei Scholz entschuldigt, kann der SPD-Kandidat nicht richtig punkten. Sie will wissen, ob Britta Ernst, Scholz’ Ehefrau, sollte er Kanzler werden, weiter arbeiten werde. An Scholz' Antwort ist inhaltlich nichts auszusetzen: „Sie ist erfolgreiche Politikerin und in einem Bundesland Ministerin.“ Was das genau heiße, will Dinklage wissen. „Das ist eine Frage, die mich empört“, poltert Scholz. Dass solche Fragen überhaupt noch gestellt würden, schießt er gegen die Journalistin, deute daraufhin, dass es um die Gleichstellung in Deutschland immer noch nicht gut stehe. Hätte er das ein oder andere Lächeln eingestreut, Dinklage nett gefragt, ob sie diese Frage auch im Zusammenhang eines Mannes gestellt hätte, dann hätte er diese Gelegenheit in Sympathie umwandeln können. Stattdessen wirkt Dinklage nach Scholz’ Konter abgewatscht, senkt verlegen den Kopf. Unangenehme Stimmung macht sich breit.

Am Ende des Gesprächs greift Dinklage die Situation noch einmal auf, sagt, „Ich finde super, wie Sie reagiert haben.“ Scholz lächelt leicht zufrieden. Sympathisch wirkt er trotzdem nicht. Die Gastgeberinnen bedanken sich bei ihrem Gast, der den Augenblick, um noch einmal charmant in die Kamera zu lächeln oder Danke und Tschüss zu sagen, davon ziehen lässt, bevor der Live-Stream endet. 

Anzeige