Nationalratswahl in Österreich - Deutsche Lehren aus dem österreichischen Wahlergebnis

Das Ergebnis der Nationalratswahl in Österreich beschäftigt die deutschen Parteien. In vielerlei Hinsicht könnte es der Vorbote sein für die politischen Verhältnisse hierzulande. Doch der CDU fehlt eine Figur wie Sebastian Kurz und der SPD die Einsicht

Sebastian Kurz und Angela Merkel im Oktober 2018 / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Normalerweise ist es immer eher so, dass die beiden deutschsprachigen Nachbarländer Österreich und Schweiz mit großem Interesse auf deutsche Politik blicken. Am vergangenen Sonntag war es umgekehrt. Ganz Deutschland schaute und schaut noch immer nach Österreich und die dortige Nationalratswahl.

Warum diese verkehrten Verhältnisse? Weil in Österreich eine Stellvertreter-Wahl stattgefunden hat. Und weil in Österreich schon seit längerer Zeit politische Entwicklungen hierzulande vorweggenommen werden. Zuerst der Aufstieg der FPÖ zu einer Zeit, als noch nicht einmal Bernd Lucke an eine AfD dachte. Dann mit einer zermürbend langen und zähen Zeit einer Großen Koalition mit all den einhergehenden politischen und demokratischen Lähmungserscheinungen. Dann das Intermezzo einer schwarz-blauen Koalition, nun die Wiederauferstehung der ÖVP aus den Ruinen dieses heiklen Regierungsbündnisses.

Im Zentrum all dessen: ein Mann, der im Alter von gerade 33 Jahren zum zweiten Mal Bundeskanzler wird. Sebastian Kurz, eine Sehnsuchtsfigur vieler Bürgerlich-Konservativer in Deutschland.

Seine Medienmaschine, geölt wie seine Haare

Man kann mit einigen guten Gründen Reserven gegen Wunderwuzzi haben. Er ist so dampf- und sandgestrahlt, dass er immer aussieht wie sein Alter Ego nach der Photoshop-Behandlung. Eine politische Kunstfigur, eine Art Avatar des politischen Betriebs. Dazu noch seine Medienmaschine, geölt wie seine Haare. Wer unverschuldet in den Mail-Verteiler seiner permanent und penetrant duzenden Mail-Helferlinge geraten ist, hat die vergangenen Tage und Wochen nur schwer aushalten können im Kugelhagel des Mail-Maschinengewehrs, das auf Dauerbetrieb gestellt war.

Aber Sebastian Kurz ist nicht nicht einfach nur diese mediale Kunstfigur. Er ist auch nicht der inhaltsleere Beau, als der er in vielen deutschen Kommentaren abgehandelt wird. Seine sachlich-ruhige höfliche Bestimmtheit ist das Desiderat, nach dem sich in den deutschen Nebelschwaden jahrzehntelanger Merkel-Schwurbelei zu Recht viele sehnen in Deutschland. Kurz hat gezeigt, dass nicht automatisch ein Ausländerfeind ist, wer sich für die Vorstellungen einer einheimischen Bevölkerung in der Migrationsfrage interessiert. Er hat gezeigt, dass Vernunft und Maß eine Existenzberechtigung haben im politischen Diskurs. Und dass Gesinnung und moralischem Rigorismus mit kühler Freundlichkeit erfolgreich begegnet werden kann.

Er hat die Populisten klein gemacht

Deshalb und auf diese Weise hat er die österreichischen Konservativen in Höhen bei dieser Wahl geführt, nach denen sich die Union in Deutschland derzeit vergebens reckt. Gleichzeitig hat Kurz den Beweis geführt, dass das Argument Quatsch ist, auf diese Weise mäste man nur die Populisten der FPÖ. Er hat sie klein gemacht. Die Wählerwanderung von blau zu schwarz belegt das eindeutig bei dieser Nationalratswahl.

Nimmt man also das politische Geschehen in Österreich als die Kristallkugel in der sich Deutschlands politische Zukunft abspielt, dann liegt für die Union hierzulande die Wiener Empfehlung auf dem Tisch, was zu tun ist, um wieder stark zu werden. Ob Annegret Kramp-Karrenbauer jedoch die Figur ist, die den Turnaround bringt, ist zu bezweifeln. Offenkundig aber ist, dass er mit der richtigen Person an der Spitze zu schaffen ist.

Wird die SPD die richtige Abzweigung nehmen?

Sie hat es jedenfalls strukturell leichter als die SPD, eine Wiederauferstehung nach Merkel zu feiern. Die SPD müsste sich nach den Wahlen in Dänemark und jenen in Österreich fragen, ob sie lieber den Kopenhagener oder den Wiener Weg gehen möchte. Aussichtsreicher wäre der dänische Weg, aber nach allem, was man hört und liest von und über die Contest-Veranstaltungen zur neuen Parteispitze, ist sie wild gewillt, die falsche Abzweigung zu nehmen und Richtung Wien zu marschieren.

Die österreichischen Grünen schließlich werden sich nach Lage der Dinge alsbald in der Rolle wiederfinden, um die sich die Grünen in Deutschland schon lange reißen. Ein schwarz-grünes Bündnis ist die wahrscheinlichste Option in Österreich, und wer weiß, vielleicht zeigt Sebastian Kurz auch noch, dass er nicht nur für einige Zeit auf dem blauen Bullen der FPÖ Rodeo reiten konnte. Vielleicht zeigt er auch den Nachbarn jenseits des Inns, wie man mit den Grünen kooperiert, ohne sich von ihnen am Nasenring durch die Manege führen zu lassen.

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