Nachwuchsporträt - Jung, weiblich, wirtschaftsliberal

Wiebke Winter (25, CDU) und Ria Schröder (29, FDP) wollen erstmals in den Bundestag ziehen. Winter erhielt überregionale Aufmerksamkeit für die von ihr mitgegründete Klimaunion. Und Schröder kämpft gegen das Image der FDP als Altherrenpartei für Besserverdiener. Können die jungen Politikerinnen ihre Parteien modernisieren?

Wiebke Winter, CDU-Kandidatin für den Bundestag / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Ihren ersten großen Talkshow-Auftritt hat sich Wiebke Winter anders vorgestellt. Nach der Hochwasserkatas­trophe steht die Sendung von Markus Lanz an diesem Mittwoch im Juli ganz im Zeichen des Klimawandels und notwendiger politischer Maßnahmen – eigentlich Winters Steckenpferd. Doch die Runde wird für sie vor allem zu einer Rechtfertigungsveranstaltung für die Versäumnisse und Fehler ihrer Partei. Der Moderator und seine Gäste sparen nicht mit harter Kritik an der Union und insbesondere an Armin Laschet. Für Luisa Neubauer ist die Union „langfristig ein Teil vom Projekt Klimakrise“. Lanz, der Winter immer wieder in die Mangel nimmt, scheint das ähnlich zu sehen. 

Die 25-Jährige wirkt überrumpelt. „Ich hätte mir auch gewünscht, dass in den letzten 30 Jahren mehr passiert wäre“, sagt sie. Auch sie wünsche sich eine „ehrgeizigere Klimapolitik“, deswegen habe sie die Klimaunion mitgegründet und kandidierte für den Bundestag. Die Beteuerungen verpuffen bei Lanz: „Sie muten den Leuten nichts zu“, kritisiert der Moderator die Klimaschutzappelle von Winter und ihrer Partei.

Aufmerksamkeit aus der Klimaunion

Am Tag nach der Ausstrahlung sitzt Wiebke Winter für ein Interview in ihrer Wohnung in Bremen. Sie ist etwas müde, aber gut gelaunt. Die Woche war vollgepackt: Haustürwahlkampf, Podiumsdiskussionen, Interviews. Sie erhält den ganzen Tag über Nachrichten wegen der Sendung, im Großen und Ganzen sei sie zufrieden mit ihrem ersten Talkshow-Auftritt, sagt sie.

Die Sendung zeigt, dass sie vor einer doppelten Überzeugungsarbeit steht. Gegenüber ihrer eigenen Partei, deren klimapolitische Ziele zaghafter sind, als von Winter gefordert. Und gegenüber Nicht-CDUlern, die in ihrer Klimaunion bloß ein Greenwashing-Feigenblatt sehen.

Keine kleine Aufgabe, doch im Bundestag würden ihre Einflussmöglichkeiten steigen. Winter tritt als Bundestagskandidatin für den Wahlkreis Bremen II – Bremerhaven an. Dieses Jahr wurde sie als jüngstes Mitglied in den Bundesvorstand der CDU gewählt. Seit 2019 ist sie Landesvorsitzende der Jungen Union Bremen. Große, überregionale Aufmerksamkeit erhielt sie jedoch vor allem für die Klimaunion. 

Nicht zu ignorieren

Im April gründete Winter mit anderen den Verein, der in Zukunft eine Bundesvereinigung der CDU werden will. Winter und ihre Kollegen haben zwei Kernziele formuliert: Die Begrenzung der Erderwärmung um maximal 1,5 Grad Celsius soll im Regierungsprogramm festgeschrieben werden, außerdem soll Deutschland spätestens 2040 klimaneutral sein. Beide Ziele haben es nicht ins Wahlprogramm der Partei geschafft.

Trotzdem wünscht Armin Laschet der Klimaunion, „dass da möglichst viele mitmachen“. Ob sie nicht die Gefahr sieht, dass ihr Verein Schulterklopfen erntet, aber nicht ernst genommen wird? „Nein. Ich weiß, wie sehr ich nerven kann. Das Wort Klimaunion fällt in fast jeder Vorstandssitzung“, antwortet sie.

Winter nimmt Laschet in Schutz, wenn er angegriffen wird. Zu Markus Lanz sagte sie diplomatisch, sie sei überzeugt, „dass Armin Laschet in den nächsten vier Jahren vernünftige Klimapolitik machen wird“. Dazu steht sie auch beim Interview. Sie sehe natürlich den Verbesserungsbedarf, doch Laschet habe auch durchaus Gutes vollbracht – er habe den Kohlekompromiss in NRW ausgehandelt. Außerdem sehe sie keinen Sinn darin, einzelne Personen zu attackieren. „Ich meine, allein eine Klimaunion zu gründen, sagt doch viel aus, oder?“

Nicht die Wirtschaft vergessen

Vermutlich wäre ein konfrontativerer Kurs mit Fridays-for-Future-Rhetorik in einer Partei wie der CDU auch zum Scheitern verurteilt. Denn dort stößt das Klimathema nicht nur auf Liebe. Der ehemalige Ostbeauftragte Christian Hirte schrieb auf Twitter: „Die CDU braucht weder eine Werte- noch eine Klimaunion. Als Volkspartei müssen alle Politik- und Themenfelder integriert werden.“

Wer in der CDU klimapolitische Ziele fordert, ohne die Wichtigkeit einer starken Wirtschaft zu beteuern, verprellt Wähler. Winter weiß das. Die Klimawende solle nicht mit Verboten bewältigt werden, sagt sie, sondern mit der Marktwirtschaft. Sie plädiert für technische Innovationen, für eine Abkehr von fossilen Brennstoffen, für mehr grünen Strom, mehr Offshore-Windkraftanlagen und eine Solarpflicht für Neubauten. Im Juni veröffentlichte die Klimaunion eine Broschüre, die aufzeige, „wie Deutschland bereits 2030 vollständig auf Erneuerbare Energien setzen kann und dabei Kosten einspart“.

Ria Schröder

Auch Ria Schröder scheint nicht ganz in das Profil ihrer Partei zu passen. Sonst hat die junge FDP-Politikerin kaum Gemeinsamkeiten mit Winter. Zum Treffen kommt Schröder in Turnschuhen. In ihrer linken Hand ein Kasten Astra-Bier, über ihrer rechten Schulter ein Jutebeutel mit Hannah-Arendt-­Zitat: „No one has the right to obey.“ 

Es ist ein nicht formelles Treffen. Acht junge Menschen sind Schröders Einladung gefolgt, die sie auf ihrem Instagram-Account veröffentlicht hat. Wer sich für Politik und die FDP interessiere, aber noch nicht ganz überzeugt sei, schrieb sie, sei eingeladen, in kleiner Runde bei einem Bier zu diskutieren und Fragen zu stellen.

Decken werden auf der Wiese im Hamburger Planten-un-Blomen-Park ausgebreitet, Kekse aus den Rucksäcken gepackt. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde die erste Frage zum Thema Bildung. Der junge Mann, der Teil eines Start-ups ist, sagt, er habe nie in dieses preußisch geprägte Schulsystem gepasst: Abgefragte Inhalte lernen, auf Papier bringen, Note kassieren, Inhalte wieder vergessen. Erst im Studium sei er aufgeblüht. Wie sieht ihre Bildungspolitik aus?

Listenplatz 2

„Du sprichst mein Herzensthema an“, sagt Schröder. Das Thema Bildung stehe bei ihr ganz oben. Zunächst sollen Schulen mit digitalen Tools ausgestattet und die Lehrkräfte dementsprechend weitergebildet werden. Lesen, Schreiben und Rechnen sollen natürlich als Basics vermittelt werden, darüber hinaus wünsche sie sich aber Änderungen. Sie stellt sich vor, dass Schülerinnen und Schüler als Individuen im Vordergrund stehen, dass sie selbstständiger arbeiten und die Möglichkeit bekommen, eigenständig vorgegebene Themen zu recherchieren.

Schröder bewirbt sich für die FDP Hamburg für die Bundestagswahl auf Listenplatz 2. Eigentlich hatte sie sich auf Platz 1 beworben, der letztlich aber an Ex-Fraktionschef Michael Kruse ging. Natürlich sei sie enttäuscht gewesen, sagt sie. Aber die FDP kämpfe ja um zwei Mandate aus Hamburg, und sie rechne sich gute Chancen aus.

Harte Schule

Tatsächlich steht die FDP in aktuellen Umfragen gut da. Das war nicht immer so. Als Schröder 2013 den Liberalen beitrat, hatten diese nach vier Jahren schwarz-gelber Regierung bei den Bundestagswahlen gerade ihr größtes Debakel erlebt. Sie sei in die Partei eingetreten, um das mitaufzubauen, was sie unter einer wirklich liberalen Partei verstehe. „Das Besondere an der FDP ist, dass sie wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit, etwa den Einsatz für Gleichberechtigung, zusammenbringt.“

Geboren wurde Ria Schröder 1992 in einem kleinen Ort im Hunsrück. Sie ist die Tochter einer Versicherungskauffrau und eines Alarmanlagenbauers. Das Bildungsthema hat sie offenbar schon früh beschäftigt – sie wechselte auf eigenen Wunsch auf eine Privatschule, weil sie mit dem Unterricht an ihrer Schule unzufrieden war. Nach ihrem Abitur studierte sie, wie Wiebke Winter, als Stipendiatin in Hamburg an der Bucerius Law School. In der FDP machte sie sich schnell einen Namen. 2015 machte sie Wahlkampf für die Hamburger FDP. 2017 trat sie bereits eine aussichtslose Bundestagskandidatur an. Damals lernte sie die Basics: Plakate kleben, Infostände aufbauen, Reden über Bildungspolitik vor desinteressierten Passanten halten. 

Türöffner für andere

Nach ihrem Staatsexamen 2016 übernahm sie einen Beisitzerposten im Bundesvorstand der Jungen Liberalen. Als zweieinhalb Jahre später Konstantin Kuhle in den Bundestag ging, warf sie ihren Hut in den Ring und wurde Bundesvorsitzende. Die erste Frau an der Spitze seit damals 25 Jahren. 

In den letzten Jahren hat Schröder immer wieder Aufmerksamkeit erregt. Sei es, weil sie gegen die Parteiführung aufbegehrte, indem sie Christian Lindners Art und Weise der Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik als „Stil der Rechtspopulisten“ kritisierte. Oder weil sie den auf Lindner zugeschnittenen Wahlkampf dafür kritisierte, nicht die Heterogenität der Partei abzubilden. „Ich wünsche mir, dass wir anders diskutieren, dass das Argument zählt.“

Schröder kämpft gegen das Image der FDP als Altherrenpartei für Besserverdiener, wünscht sich mehr Meinungsvielfalt, mehr Frauen, mehr Mitglieder mit Migrationshintergrund, mehr Menschen aus finanziell ärmerem Elternhaus.
Der Einzug in den Bundestag wäre ein Sprung in Schröders recht steiler Karriere. Wird man als junge Frau in der FDP gut gefördert? „Man muss sich schon selber durchsetzen“, sagt sie. Nicht, dass sie glaubt, viel Pionierarbeit geleistet zu haben, aber wenn sie in 20 Jahren eine erfahrene Bundestagspolitikerin sein sollte, soll das anders sein. „Ich finde es gut, wenn man immer auch dafür arbeitet, dass andere es leichter haben und man nicht die Tür hinter sich wieder zuschlägt.“

 

Dieser Text stammt aus dem Sonderheft zur Bundestagswahl des Cicero, das Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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