Nach dem Jamaika-Abbruch - Merkels letzte Hoffnung heißt Schulz

Die SPD und Martin Schulz weigern sich auch nach dem Scheitern von Jamaika beharrlich, eine Große Koalition einzugehen. Dabei wäre mehr SPD-Programmatik als mit Angela Merkel an der Spitze einer Regierung kaum vorstellbar. So könnte der gescheiterte Kanzlerkandidat sein Vermächtnis retten

Nur die SPD könnte jetzt noch die Entmachtung Merkels verhindern / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Martin Schulz, der glücklose Kanzlerkandidat und (bis auf weiteres) amtierende SPD-Vorsitzende, hat die Weigerung einer Regierungsbeteiligung seiner Partei bekanntlich mit dem Argument begründet, die Große Koalition sei „abgewählt“ worden. Was schon deswegen Unsinn ist, weil diese Koalition am 24. September überhaupt nicht zur Wahl stand. Außerdem käme ein Bündnis von Union und Sozialdemokraten im Bundestag immer noch auf eine recht komfortable Mehrheit. Und es wäre, zumindest aus Sicht der CDU, auch eine Liaison mit der größtmöglichen Stabilität.

Natürlich dürfte dem Merkel-Flügel Schwarz-Grün noch verlockender erscheinen, allein schon wegen der dann obwaltenden Kräfteverhältnisse und der damit verbundenen Zahl an Ministerien. Aber dafür reicht es eben nicht – es sei denn, man wagt sich in eine Minderheitsregierung. Jedoch hat die CSU angesichts ihrer derzeitigen Lage gewiss keine allzu großen Ambitionen in Richtung Jürgen Trittin, Katrin Göring-Eckardt oder Simone Peter. Um eine solche Verbindung der eigenen Klientel überhaupt irgendwie schmackhaft zu machen, dafür wäre zumindest eine liberal-bürgerliche Beimischung in Form der FDP nötig gewesen. Aber das ist jetzt alles Schnee von gestern.

Schwarz-gelbe Koalition kaum noch vorstellbar

Die FDP hat mit ihrem offenbar wenig spontanen Abbruch der Sondierungsverhandlungen das überwunden geglaubte politische Lagerdenken reanimiert: Die von der Kanzlerin so emsig betriebene Verwischung von rechts und links in eine amorphe „Mitte“ ist mit dem Ausstieg der Liberalen an ein vorläufiges Ende gekommen. Wobei dieser Schritt ironischerweise die Kohäsion zwischen CDU und Grünen eher noch bestärkt hat. Nach derzeitigem Stand ist die FDP rechts von der Union und links von der AfD zu verorten. Ob sie sich dort wohlfühlt, ist eine andere Frage. Fest steht jedoch, dass insbesondere Angela Merkel und ihre Anhänger in Christian Lindners Liberalen nicht mehr gesehen haben als ein notwendiges Übel zur Bildung einer Koalition. Die FDP wäre auf Jamaika eben nur ein Behelfs-Insulaner gewesen.

Dass Christian Lindner nun behauptet, während der Sondierungsgespräche sei zwischen seiner Partei und der CDU/CSU „eine neue politische Nähe, auch menschliche Nähe, gewachsen“, mag glauben, wer will. Auf die Bundeskanzlerin und ihr Umfeld kann sich dieser Satz jedenfalls nicht bezogen haben. Sondern allenfalls auf jene Teile der Union, die den Merkel-Kurs ohnehin ablehnen – insbesondere also die CSU. Sollte es zu Neuwahlen kommen und Angela Merkel tatsächlich die Chuzpe besitzen, noch einmal als Kanzlerkandidatin ins Rennen zu gehen, wäre eine sogenannte bürgerliche Koalition zwischen Union und FDP selbst dann kaum vorstellbar, wenn es zahlenmäßig dazu reichen würde. Denn Lindner hat der CDU-Vorsitzenden in dieser Nacht maximalen Schaden zugefügt, indem er mit Aplomb deren Machtlosigkeit vorgeführt hat. Zwischen den beiden passiert gar nichts mehr, weder politisch noch menschlich.

Seehofers Ziel: Merkel mit in den Abgrund reißen

Womöglich geht Christian Lindner in die Geschichtsbücher ja als derjenige ein, der die Merkel-Ära beendet hat. Damit hätte er vollzogen, was etliche CSU-Funktionäre schon längst gern selbst erledigt hätten. Insbesondere Horst Seehofers Wehklagen über den Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Präliminarien klingen deshalb nicht sehr glaubwürdig. Denn erstens lenken die jetzigen Zustände – nach dem Motto „große Krise frisst kleine Krise“ – von der Fronde gegen den geschwächten CSU-Chef ab. Und zweitens ist selbstverständlich auch klar, wem Seehofer die Schuld für seine eigene missliche Lage gibt: Ohne Merkels Agieren in der Flüchtlingsfrage wäre keine Situation entstanden, die dem bayerischen Ministerpräsidenten lebensgefährliche Verrenkungen zwischen langanhaltender Fundamentalkritik und späteren Beistandsbekundungen abgenötigt hätten.

Wenn Horst Seehofer, was absehbar ist, seine Macht verlieren sollte, wird er zumindest Merkel mit in den Abgrund reißen wollen. Diesen „dirty job“ hat jetzt Lindner für ihn erledigt – zumindest hat er den ersten Schritt dazu getan. Er wäre seltsam, sollte die CSU von den Ereignissen in der Nacht von Sonntag auf Montag tatsächlich überrascht worden sein. Vielmehr klingt alles wie der Auftakt zu einem wohlorchestrierten, grundsätzlichen Politikwechsel. Nur die SPD könnte jetzt noch die neue Melodie verändern und die Entmachtung Merkels verhindern. Dass die Sozialdemokraten ihre Berufung nicht darin sehen, einer CDU-Kanzlerin die Karriere zu retten, ist klar. Andererseits: Mehr SPD-Programmatik als mit Angela Merkel an der Spitze einer Regierung ist kaum vorstellbar. Und Bundeskanzler wird Martin Schulz sowieso nicht mehr. Warum also nicht eine Kanzlerin von seinen Gnaden?  

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