Mord an Sophia Lösche - „Sophia wurde ermordet, weil sie eine Frau war. Das war der einzige Grund“

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat Ermittlungen gegen den AfD-Politiker Björn Höcke aufgenommen, weil er das Foto des Gewaltopfers Sophia Lösche missbräuchlich verwendet haben soll. Die Anzeige gegen die AfD hatte ihr Bruder Andy erstattet. Im Oktober hatten wir ihn dazu befragt

Trauerfeier für ein Mordopfer: Im September wurde Sophia Lösche im bayerischen Amberg beerdigt /picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Die ersten Hassmails nach dem Mord an seiner 22 Jahre jüngeren Schwester Sophia hat Andy Lösche noch gelöscht. Dabei waren darunter auch Morddrohungen an ihn. Inzwischen wehrt sich der Künstlermanager gegen die Versuche von Rechten, den Mord an Sophia zu instrumentalisieren. Sein Kampf ist auch politisch motiviert. Lösche sitzt seit Jahren für die Grünen im Kreistag Bamberg. 

Herr Lösche, im Juni wurde Ihre Schwester Sophia ermordet, als sie als Tramperin zu einem marokkanischen Fernfahrer in den Lkw stieg. Jetzt haben Sie Strafanzeige gegen Pegida-Chef Lutz Bachmann und den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke erstattet. Was haben die beiden Politiker mit dem Gewaltverbrechen zu tun? 
Mit dem Verbrechen an sich erstmal nichts. Sie haben es aber so umgedeutet, dass es zu ihren politischen Zielen passt. Sie haben den Mord an meiner Schwester instrumentalisiert, um gegen Flüchtlinge zu hetzen. Dabei war der Täter weder Flüchtling noch Migrant. 

Kannten Höcke und Bachmann Sophia persönlich?
Nicht, dass ich wüsste. 

Andy Lösche / privat

Trotzdem haben die beiden im September ein schwarzumrandetes Plakat mit ihrem Foto bei dem Trauermarsch in Chemnitz für den ebenfalls getöteten Daniel H. vor sich hertragen lassen. 
Aber doch nicht, um zu trauern. Trauern können nur Angehörige, Freunde oder Menschen, die Sophia kannten – aber doch nicht irgendwelche rechte Politiker, die den Namen meiner Schwester in ihren Hetzreden auch noch falsch aussprechen. Schon daran wird deutlich, wie der Fall instrumentalisiert wird. 

Aber es ist doch nicht verboten, um jemanden zu trauern, den man nicht kennt.
Aber doch nicht in dieser Form. Es gab ein Plakat mit dem Foto von Sophia, das wir der Polizei für den Fahndungsaufruf gegeben hatten. Dieses wurde durch Chemnitz getragen. Davor und dahinter war der Pöbel mit Hitlergruß unterwegs. Also, für mich ist das kein Trauermarsch. 

Ihre Schwester Sophia, 28, war Juso-Vorsitzende in Bamberg und in der Flüchtlingshilfe aktiv. Woher kam ihr Bedürfnis, anderen zu helfen?
Wir stammen aus einer evangelischen Pfarrersfamilie. Sophia hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Sie war eine Menschenfreundin. Sie war sehr engagiert, vor allem in der Flüchtlingshilfe. Sie war mehrfach im Moria-Camp auf der griechischen Insel Lesbos, um für bessere Lebensverhältnisse zu sorgen, indem sie zum Beispiel Essen, Kleidung oder Medikamente für die Flüchtlinge verteilte.

Was glauben Sie, würde Sophia  sagen, wenn sie wüsste, dass Deutschlands bekanntester Rechtsaußen mit ihrem Foto Werbung für seine Partei gemacht hat?
Sie wäre entsetzt und würde alles dagegen unternehmen, was sie könnte. 

Schon lange vor diesem Trauermarsch bekamen Sie hunderte Hassmails. Wann ging das los? 
Zwei Tage nach Sophias Verschwinden, als bekannt wurde, dass sie vermutlich in einem Lkw mit marokkanischem Autokennzeichen gestorben ist. Diese Nachrichten kamen auf allen Kanälen, auf Twitter, per eMail, Messenger oder auf dem Blog „Find Sophia.“ 

Was stand da drin?
Hoffentlich wirst Du auch noch weggemessert. Oder: Lösche, ab jetzt bist du als nächster im Visier! Oder: DEINE DUMME SCHEISS ZECKENSCHWESTER VON MADEN ANGEFRESSEN. 

Waren es alles anonyme Nachrichten?
In der Regel ja. Die Kriminalpolizei in Bamberg hat einige überprüft, die volksverhetzend oder bedrohend waren. Sie stammen fast alle von Fake Accounts. 

Gab es gar kein Wort der Anteilnahme?
Doch, natürlich. Der überwiegende Teil der Nachrichten – so ungefähr 80 Prozent – war teilnahmevoll und bestärkend. Uns haben auch viele Menschen kontaktiert, denen Ähnliches widerfahren ist. 

Vier Tage, nachdem Ihre Schwester als vermisst gemeldet worden war, wurde ihre Leiche an einer Autobahn im spanischen Baskenland gefunden. Sie war teilweise verbrannt. Sie als Bruder hatten den Schock noch gar nicht verarbeitet, da wurden sie schon mit Hassmails und Morddrohungen konfrontiert. Wie haben Sie das verkraftet? 
In den ersten Tagen habe ich die einfach gelöscht und ignoriert. Ich hatte gar keine Zeit, mich auch noch damit zu beschäftigen. Irgendwann hat mir jemand geraten, diese Mails an die Polizei weiterzuleiten. Erst da habe ich angefangen, sie aufzuheben. Von Anfang an war mir klar, aus welcher Richtung der Wind wehen würde: Das war eine tolle Kombination für die Rechten, um einen Märtyrer-Mythos zu konstruieren.  

Muslim ersticht Jungsozialistin, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv war. Warum ist das eine ideale Vorlage? 
Das liegt doch auf der Hand. Da kommt dieser Faktor dazu: Die war doch selbst Schuld. Dabei war der Mann ja kein Migrant. Der wäre diese Strecke mit dem Lkw auch gefahren, wenn es 2015 nicht dieses Motto der Bundeskanzlerin gegeben hätte:  „Wir schaffen das!“ Da wird also von den Rechten passend gemacht, was eigentlich gar nicht passt. 

Wäre das Echo auch dann so groß gewesen, wenn Sophia politisch rechts gestanden hätte?
Schwer zu sagen. Ich glaube, dass dieser Faktor „links“ schon eine wichtige Rolle spielt. 

Wie kommen Sie darauf?
In der italienischen und spanischen Presse hat der Fall anfangs noch höhere Wellen geschlagen. Die Medien haben aus der ehemaligen Juso-Vorsitzenden in Bamberg die Juso-Vorsitzende schlechthin gemacht. Dadurch bekam die Geschichte gleich viel mehr Gewicht. Es entstand dort der Eindruck, Deutschlands Juso-Vorsitzende sei ermordet worden. Ich frage mich, ob uns der spanische Premierminister Pedro Sanchez als erster kondoliert hätte, wenn die Medien den Fall nicht so hoch gehängt hätten. 

In Italien ruft der rechte Innenminister Matteo Salvini zur Jagd auf Roma auf. Haben die Medien in Italien und Spanien den Mord an Sophia genauso instrumentalisiert?
Das will ich nicht unterstellen. Fakt ist: Sie haben aus Sophia eine Prominente gemacht, ob bewusst oder unbewusst. 

Weil Sie die Unterstützung der Polizei vermisst haben, haben sie selbst einen Fahndungsaufruf gestartet. In dem steht, Sophia sei  in einen  Lkw mit marokkanischem Kennzeichen gestiegen. Haben Sie die Rechten damit nicht erst auf die Spur gelockt?   
Es ging nicht anders. In ihrer letzten Nachricht hatte Sophia sinngemäß geschrieben: „Ich sitze mit einem Marokkaner auf einem Lkw, :)“ Da wussten wir noch nicht, dass es ein Lkw mit marokkanischem Kennzeichen war. Das konnte man erst auf den Videoaufzeichnungen der Tankstelle in Schkeuditz sehen. Wir haben diese Info in den zweiten Aufruf aufgenommen, weil wir diesen Lkw finden mussten. Und das ging ja nicht, ohne zu schreiben, wie er aussieht. Ein Lkw mit marokkanischem Kennzeichen ist ja hierzulande eher ungewöhnlich. 

So aber wurde schon von Anfang an in rechten Foren darüber spekuliert, dass Sophia einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. 
Wir waren uns auch von Anfang an sehr sicher, dass sie einem Verbrechen zum Opfer wurde. Sophia war auf dem Heimweg zu dem Geburtstag ihres Vaters in Bayern. Sie verschickt aus dem Lkw noch eine Nachricht, ist sonst immer extrem zuverlässig  – kommt aber nicht an und ist nie wieder zu erreichen. Alles sehr eindeutig. Nur die Polizei hat das nicht verstehen wollen. Sie hat den Fall komplett falsch eingeschätzt.

Inzwischen gibt es Aufkleber, die Sophias Namen auf einem Stolperstein zeigen, wie er eigentlich zum Gedenken an Holocaust-Opfer verwendet wird. Auf dem Stein steht, bei ihr handle es sich um ein weiteres Opfer des von der Bundeskanzlerin inszenierten Vergewaltigungs-Dschihads. Wie bewerten Sie das?
Ich tue mich unheimlich schwer damit, mich in Leute hineinzuversetzen, die so etwas machen. Ich kann das einfach überhaupt nicht nachvollziehen. Ich versuche es auch nicht. 

Kommt da, bei aller Wut über die Rechten, nicht trotzdem ein bisschen Wut auf die Bundesregierung hoch, die ja 2015 mit ihrer Politik der offenen Grenzen tatsächlich auch Männer ins Land gelassen hat, die hier Verbrechen an der Bevölkerung begangen haben – zum Beispiel den Terroranschlag auf den Breitscheidtplatz?
Nein, überhaupt nicht. Ich finde es richtig, wie sich die Bundeskanzlerin 2015 verhalten hat. Das war menschlich. Unser Land hat sich von seiner menschlichen Seite gezeigt. Mit dem Mord an meiner Schwester hat das gar nichts zu tun.  

Der Mord an Ihrer Schwester hat Ihren Blick auf die Politik nicht verändert?
Nein, nicht auf die Politik. Es hat aber mein Vertrauen in die Polizei grundlegend zerstört. Sie brauchen nur auf dem Weg von einem Bundesland ins andere verloren zu gehen, schon fühlt sich keines der beiden Bundesländer für Sie zuständig – und am Wochenende schon gar nicht. Hätten wir Sophia nicht selbst gesucht und Druck gemacht, wären wir nicht an die Videoaufnahme von dem Lkw des Täters gekommen. Wer weiß, ob sie jemals gefunden worden wäre, vermutlich nicht.  

Immerhin haben Sie auch Anzeige gegen die AfD als Veranstalterin des Trauermarsches in Chemnitz gestellt. Die Partei ist gerade im Aufwind. Nach Umfragen hat sie die SPD schon überholt. In Sachsen, wo nächstes Jahr ein neuer Landtag gewählt wird, schließt die CDU eine Koalition mit der AfD nicht mehr aus. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie daran denken, dass die Partei im Osten an die Regierung kommen könnte? 
Da wird mir schlecht. Ich kann nicht verstehen, warum so viele Menschen eine Partei wählen, die zwar nicht nur, aber auch aus Nazis besteht. Diesen Wählern fehlt es offenbar an Geschichtsbewusstsein und an Menschlichkeit. 

Der mutmaßliche Mörder ist ein 41-jähriger Marokkaner, der als Fernfahrer regelmäßig durch Europa fuhr. Was weiß man noch über ihn?
Er hat Familie. Und er hat nicht nur über unsere Familie großes Leid gebracht, sondern auch über seine eigene.

Sophia ist im September im Heimatort ihrer Eltern beerdigt worden. Ging wenigstens die Trauerfeier ohne Hetze über die Bühne?
Ja. Und auch die Presse hat  unseren Wunsch respektiert und uns völlig in Ruhe gelassen. Ich ziehe den Hut vor den Journalisten. Die haben uns in all der Zeit mit viel Fingerspitzengefühl und Pietät behandelt. Das hätte ich so nicht erwartet. 

Die Trauerrede hat der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm gehalten. Wie hat sie Ihnen gefallen? 
Die Rede war herausragend gut, ganz nahe an der Familie und ganz nahe an Sophia. Die beiden kannten sich etwas. Sie saßen zusammen im Studienausschuss der Uni Bamberg, er als Honorarprofessor,  sie als Studentenvertreterin. 

Im Internet kann man auch andere Meinungen über die Rede lesen. Sie löste einen Shitstorm aus. Ein rechter Blogger schrieb, Bedford-Strohm habe die ermordete Sophie für politische Zwecke missbraucht. 
Das ist völliger Unsinn. Die Rede können nur Leute beurteilen, die Sophia kannten. Offenbar ist Herr Bedford-Strohm für viele Rechte eine Reizfigur. 

Sophia Lösche / privat

Kritisiert wird unter anderem der Satz: „Vielleicht wäre Sophia noch am Leben, wenn sie aus dem Misstrauen heraus gelebt hätte.“ Ist das eine Frage, die Sie sich auch schon gestellt haben? 
Nein, diese Frage stellt sich mir überhaupt nicht. Sophia hat aus dem Vertrauen heraus gelebt. 

Aber genau das hat sie doch am Ende das Leben gekostet.
Sophia wurde ermordet, weil sie eine Frau war. Das ist der einzige Grund.

Was versprechen Sie sich von den Anzeigen gegen Björn Höcke und Lutz Bachmann?
Wir möchten damit ein Zeichen setzen, dass wir uns diese Instrumentalisierung nicht gefallen lassen. Pegida und AfD hätten Sophias Bild nicht verwenden dürfen, ohne uns um Einverständnis zu fragen. Das Bild stammte aus dem Fahndungsaufruf der Polizei. Während der Fahndung darf es verwendet werden, aber danach erlischt dieses Recht und geht zurück an die Abgebildete oder an deren Angehörige. 

Stacheln Sie die Rechten mit der Anzeige nicht noch an?
Gegenfrage: Würden Sie sich das gefallen lassen, wenn Ihrer Schwester das passiert wäre? Ihr wurde vor ihrem Tod Gewalt angetan – und jetzt noch einmal. So empfinde ich das zumindest.  

Hinweis: Auf Wunsch der Angehörigen hat die Redaktion die Kommentarfunktion unter diesem Interview ausgeschaltet. 

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