Mord an Samuel Paty - Warum Linke zu islamistischem Terror schweigen

Auch nach dem Mord an Samuel Paty herrschte, wie so oft zuvor nach islamistischen Attentaten, Schweigen bei der deutschen Linken. Manche versuchten sich gar an einer Rechtfertigung für das Verbrechen. Wie kann das sein?

In Frankreich sitzt der Schock nach dem Mord an Samuel Paty tief / dpa
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Autoreninfo

Judith Sevinç Basad ist Journalistin und lebt in Berlin. Sie studierte Philosophie und Germanistik und volontierte im Feuilleton der NZZ. Als freie Autorin schrieb sie u.a. für FAZ, NZZ und Welt. Sie bloggt mit dem Autoren-Kollektiv „Salonkolumnisten“. 

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Ein Lehrer wird in der Nähe von Paris von einem 18-jährigen Islamisten enthauptet, weil er seinen Schülern Mohammed-Karikaturen zeigte, um mit ihnen über Meinungsfreiheit zu diskutieren. Der Mord an Samuel Paty lässt einen fassungslos zurück. Nicht nur, weil Islamisten derart affektgetrieben sind, dass sie „einfach so“ Menschen ermorden, als ob es sich um eine belanglose Alltagshandlung handeln würde. 

Die Tat reiht sich ideologisch auch neben den Angriff auf Charlie Hebdo und den Attentaten vom November 2015 ein. Es soll ein „gesegnetes Gemetzel“ gegen die „Kreuzfahrernationen“ Deutschland und Frankreich geführt werden, hieß es etwa in dem Bekennerschreiben, das der IS nach der Terrornacht in Paris veröffentlichte. Die Attentäter haben es also nicht zufällig auf Zeitungsredaktionen, Konzertsäle, Bars und einen Lehrer abgesehen, der seinen Schülern die Grundsätze der Demokratie und des liberalen Rechtsstaates beibringen wollte. Denn das Ziel des islamistischen Terrors ist es, die Kultur des Westens zu zerstören.

Krieg gegen „die Imperialmächte“

Mit den Begriffen „kreuzzüglerisches Frankreich“ und „Kreuzfahrernationen“ geht aber noch eine andere Bedeutung einher, die man häufig von Islamisten hört: ein Krieg gegen „die Imperialmächte“, die bis heute die Gräuel des Kolonialismus weiterführten, indem sie Muslime auf der ganzen Welt ausbeuten und in ihren eigenen Ländern unterdrücken. 

Häufig argumentieren Fundamentalisten dann mit einer Täter-Opfer-Umkehr. Motto: Die unterdrückten Muslime hätten gar keine andere Wahl als sich Sprengstoffgürtel um die Hüften zu schnallen und sich in die Luft zu sprengen, weil sie sich nur auf diese Weise gegen die westlichen Dominanz wehren könnten.

Verständnis für die Attentäter in Deutschland

Besorgniserregend ist es, wenn dieser Populismus tatsächlich Anklang in der deutschen Politik findet. So beteuerte Oskar Lafontaine, wenige Wochen nach den Anschlägen in Paris, sein Verständnis für die Wahnsinnstat: „Was sollen die Armen machen im Vorderen Orient, die seit Jahren dem Kolonialismus ausgesetzt sind?“, fragte der Saarländer damals. „Sie haben keine Bomben, sie haben keine Raketen, sie haben keine Heere, die sie auf den Weg bringen können, um ihre Interessen zu wahren – und dann greifen sie zum Selbstmordattentat.“

Und auch nach dem Mord an Samuel Paty konnte man solche Stimmen in den Medien entdecken. „Wer bei islamistischen Anschlägen in Frankreich hastig auf Landkarten nach ‚der Herkunft‘ sucht, sollte sich zusätzlich die französische Kolonialgeschichte dazu anschauen“, twitterte etwa der Autor Mohamed Amjahid. Zudem solle man sich fragen, welche „gesellschaftlichen Strukturen“ im Westen dazu führten, dass sich junge Menschen radikalisierten. Es ist klar, was hier passiert: Es wird eine Täter-Oper-Umkehr betrieben, indem man die eigentliche Ursache für Islamismus an den „rassistischen Strukturen“ der westlichen Gesellschaften festmacht.

Der gemeinsame Feind

Hier wird deutlich, wie krass sich die postkoloniale Ideologie, die gerade in der antirassistischen Bewegung trendet, an der Denkweise der Fundamentalisten orientiert. Denn der größte Teil der Social-Justice-Aktivisten teilt sich mit dem Islamismus einen gemeinsamen Feind, der für sämtliche Probleme in der Gesellschaft verantwortlich gemacht wird: die westliche Kultur.

So vergeht seit dem Tod von George Floyd kein Tag, an dem in deutschen Zeitungen nicht von den kolonialen Gräueln zu lesen war, die bis heute in unserer „westlich-weißen“ Kultur schlummern würden. Jede kleinste Geste wurde von vielen Journalisten und Antirassismus-Experten als ein kolonialrassistische Abwertung von Schwarzen bewertet. Etwa die Frage „Wo kommst du her“ oder der Fakt, dass ein rosafarbener Buntstift – und kein brauner Buntstift – in der Schule „Hautfarbenstift“ genannt wird. In der westlichen Welt tobten monatelang Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung, Statuen wurden enthauptet, Läden geplündert und Straßennamen umbenannt, während sich Weiße auf Social-Media demonstrativ für ihre Hautfarbe schämten. All das, weil in den USA ein Schwarzer von einem Polizisten ermordet wurde. Eine sehr engagierte Bewegung, mag man sich hier denken.

Die Scheuklappen-Haltung der Linken

Aber: Was geschah nach der barbarischen Hinrichtung von Samuel Paty? Nichts. Stille. Keine ausgedehnten Analysen über islamistische Ideologien, keine Kundgebungen, keine Demonstrationen, keine wütenden Artikel, keine Diskussionen über die Radikalisierung im Islam. Kurz: Es ist erstaunlich, wie viele linke Aktivisten, die häufig und zu Recht an die Opfer von Hanau und des NSU erinnern, bei der jetzigen Debatte über Islamismus die Füße stillhalten, weil sie nicht in der Lage sind, eine differenzierte Islam-Kritik zu betreiben. Motto: Den Islam darf man nicht kritisieren, weil man sonst die AfD stärkt oder die gesamte Religion verteufeln könnte.

Zum Glück trifft diese Scheuklappen-Haltung nicht auf die gesamte Linke zu. Der SPD-Politiker Kevin Kühnert und auch viele Mitglieder der Linkspartei und der SPD empörten sich über genau diese Doppelmoral in den eigenen Reihen und forderten mehr Engagement gegen den extremistischen Islam.

Die Feministinnen und der Islam

Doch der Hass auf die westliche Welt sitzt tief unter der postmodernen Linken. Und vor allem Feministinnen aus dieser Szene gucken gerne weg, wenn Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht von „alten weißen Männern“ oder Nazis begangen werden. 

Nehmen wir etwa die Gewalt gegen Frauen, Homosexuelle und Queers, die in muslimischen Communitys in Deutschland zum Alltag gehören. Kein gutes Thema in progressiven Feuilletons. Auch als im Zuge der #Metoo-Bewegung herauskam, dass der französische Islam-Wissenschaftler Tariq Ramadam mehrere Frauen brutal vergewaltigte, blieb der deutsche Aufschrei aus. Immer wieder werden Frauen und Queers im Iran aufgrund der frauen- und menschenverachtenden Ideologie hingerichtet, gefoltert oder ins Gefängnis gesperrt. Die Reaktion in Deutschland: Politiker arbeiten hart daran, das Kopftuch als ein Zeichen der Emanzipation umzudeuten und das Berliner Neutralitätsgesetz zu kippen.

Natürlich können Feministinnen wie Margarete Stokowski weiterhin behaupten, dass die sexistische Gewalt hinter dem generischen Maskulinum, einem Dickpick oder dem deutschen Spargel steckt. Natürlich können sie ignorieren, wie Frauen, sexuelle Minderheiten und Andersdenkende im Namen des Islam tagtäglich ermordet werden. Aber dann sollten sie sich auch eines eingestehen: Dass sie die wahre Ignoranz des Westens verkörpern.

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