Senat stoppt Umbenennung der Mohrenstraße - Nächster Halt: Onkel Toms Hütte

Aus dem U-Bahnhof „Mohrenstraße“ soll jetzt doch nicht der U-Bahnhof „Glinkastraße“ werden. Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hat die Umbenennung gestoppt. Ist die Posse damit zu Ende? Wie es scheint, fängt sie gerade erst an.

Gibt es ein Leben nach der „Mohrenstraße"? / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Man kann sich vorstellen, wie das passieren konnte. Wie sie bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) auf dem Höhepunkt der Debatte um Rassismus und Polizeigewalt so viele E-Mails, Anrufe und Nachrichten über Twitter bekamen, dass irgendwer sagte: Jetzt reicht’s aber. Seit Jahren beschweren sich Kunden über den Namen des U-Bahnhofs „Mohrenstraße“. Jetzt lasst ihn uns endlich umbenennen. Im Dezember müssen die Fahrpläne sowieso geändert werden, weil dann die Linie U5 erweitert wird. Wann, wenn nicht jetzt? 

Eine Alternative war schnell gefunden. Mauerstraße? Ist missverständlich. Wilhelmstraße? So heißen schon einige Bushaltestellen. Und dann der olle Kaiser. Finger weg. Glinkastraße? Wer ist das denn? Ein Griff ins Lexikon, und die Entscheidung war gefallen. Komponist. Russe. Lange tot. Kann man machen. Was soll’s? 

Blamage für Ramona Pop 

Der Rest der Geschichte, pardon, Posse ist bekannt. Ganz Deutschland lacht jetzt über die BVG. Auch ihre Aufsichtsratsvorsitzende, Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), hat sich blamiert. Hatte sie die BVG anfangs noch für „das klare Zeichen gegen Diskriminierung“ gelobt, ruderte sie einige Tage später wieder zurück: „Schnellschüsse sind in solchen Angelegenheiten nicht angebracht.“ 

Was war passiert? Der Name „Glinka“ war kaum in der Welt, da schlug die Jüdische Allgemeine Alarm. Okay, der Komponist war 1857 um die Ecke des U-Bahnhofs gestorben. Als „Vater der russischen Musik“ setzten ihm die Stadtväter der DDR mit einer eigenen Straße ein Denkmal. Aber das war Jahrzehnte her. Hätte sich die BVG nicht die Mühe machen können, jemanden zu fragen, der sich mit Opern auskennt? Schließlich, so fand die Zeitung heraus, triefe dessen Werk vor Antisemitismus.  

Wut auf die M-Straße“ 

Auch die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland reagierte irritiert. Sie erfuhr von der Umbenennung aus der Zeitung. Dabei war sie es, die den Stein für eine Umbenennung ins Rollen gebracht hatte. Der Name „Mohrenstraße“ ist ihr schon lange ein Dorn im Auge. Man redet deshalb nur noch von der „M-Straße“. Dass der Name eine Hommage an die schwarzen Heeresmusiker war, die in dieser Straße in einer Kaserne lebten, dieses Argument lässt ISD-Pressesprecher Tahir Della nicht gelten. 

Es seien Menschen gewesen, die als Kinder von Adelshäusern nach Deutschland verschleppt worden seien, weil sich die Könige gerne mit schwarzen Dienern geschmückt hätten, sagt er. „Keiner hat die gefragt, ob sie es dufte fanden, Mohr genannt zu werden.“ Aber kann man Preußens Kolonialherrschaft mit den Wertmaßstäben eines rot-rot-grünen Senats messen? „Man muss es sogar“, sagt Della. Der U-Bahnhof liege mitten in der Stadt, wo täglich tausende Touristen verkehrten. Viele fühlten sich durch den „Mohr“ beleidigt. 

Vom Opfer zum Vorbild  

Geht es nach der ISD, dann soll der U-Bahnhof Mohrenstraße in „Anton-Wilhelm-Amo-Straße“ umbenannt werden, nachdem die Straße selbst umbenannt wurde. Amo war als Kind 1703 in Ghana versklavt und nach Europa verschifft worden. Er landete als „Kammermohr“ am humanistisch geprägten Hof von Herzog Anton Ulrich. Als eines der ersten verschleppten Kinder besuchte er eine Universität und verfasste als Philosoph Streitschriften gegen den Kolonialismus. Er hat sich aus seiner Opferrolle befreit, um anderen ein Vorbild zu sein. Damit ist er für den ISD der perfekte Namenspatron.  

Auch die SPD-Mitte hat „Anton Wilhelm Amo“ überzeugt, genauer: die Mitglieder der „Projektgruppe Postkolonialismus“. Einen Antrag, die Mohrenstraße nach ihm umzubenennen, will die Fraktion schon in die nächste Sitzung der Bezirksverordneten-Versammlung (BVV) einbringen – mit freundlicher Unterstützung der Grünen. Da SPD und Grüne im Bezirksparlament die Mehrheit haben, ist der Drops gewissermaßen gelutscht. 

Nächster Halt: Onkel Toms Hütte  

Ende gut, alles gut? Bei der IDS ist man verstimmt. „Warum hat uns die BVG uns nicht gleich gefragt, bevor sie den U-Bahnhof nach dem russischen Komponisten benennen wollte?“, fragt sich Tahir Della. Die Verkehrsbetriebe hätten sich nicht nur die Blamage erspart. Sie hätten, findet der ISD-Sprecher, auch glaubwürdig demonstrieren können, dass es ihnen tatsächlich darum ging, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen – und nicht nur darum, empörte Anrufer und Twitterer zu besänftigen. 

Die aber werden der BVG wohl auch in Zukunft die Bude einrennen. Denn in Berlin gibt es noch eine Reihe weiterer U-Bahn-Stationen und Denkmäler, die die Aktivisten lieber heute als morgen vom Stadtplan radieren wollen. „Onkel Toms Hütte“ zum Beispiel. Die Debatte um Rassismus ist noch nicht zu Ende. Glaubt man Tahir Sella, hat sie gerade erst begonnen.

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