Ministerpräsidentenkonferenz - Corona-Gipfel ohne Öffnungsstrategie

Bei der gestrigen Ministerpräsidentenkonferenz gab es Streit zwischen den CDU-Länderchefs und der Ampel-Regierung. Wirkliche Opposition aber sieht anders aus. Das zeigt auch das Ergebnis des Corona-Gipfels: Ein müdes „Weiter so“ ohne Öffnungsperspektive.

Hendrik Wüst (CDU) bei der Schalte der Ministerpräsidenten / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Manchmal wünschte man sich bei den Christdemokraten ein bisschen mehr Bibelfestigkeit. Man denke nur mal an Matthäus 8,22: Lasst doch die Toten ihre Toten begraben! Ein wirklich gut gemeinter Ratschlag, den der einstige Religionsstifter und spätere Unions-Namenspatron da seinen Nachfolgern mit auf den Weg gegeben hat. Doch was macht die Union daraus: Sie stochert in alten Erdlöchern rum und trauert weithin vernehmbar um das größere Gestern. So werden aus ehemals Regierenden Untote, und aus einstigen Ministern werden Wiedergänger.

Beispiel Jens Spahn: Anstatt sich von dem einstigen Gesundheitsminister des letzten Kabinetts Merkel ein für alle Mal zu verabschieden und weite Teile seiner restriktiven Corona-Politik auch mal kritisch auf den Prüfstand zu stellen, lieferten sich die Ministerpräsidenten der Union bereits im Vorfeld der gestrigen Bund-Länder-Konferenz unter Vorsitz von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst ein Scharmützel mit ihren Kollegen aus den SPD-geführten Ländern sowie mit der aktuellen Berliner Ampel-Regierung. Stein des Anstoßes: fehlende PCR-Tests inmitten einer steil ansteigenden Infektionslage sowie die Frage, wer genau eigentlich diesen Mangel zu verantworten hat.

Politisches Ping Pong

Während die CDU-Ministerpräsidenten dem amtierenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Fehler unterschieben wollten, wiesen die Sozialdemokraten mit mehr als drei Fingern auf dessen Vorgänger Jens Spahn (CDU) zurück. Der nämlich, so die im schnellen Konterangriff zurückgespielte Argumentation, habe während seiner im Dezember zu Ende gegangen Amtszeit schlicht vergessen, genügend Testkits für 2022 zu bestellen. Die CDU wiederum reagierte empört und versuchte eine eigentlich längst in den Archiven verstaute Gesundheitspolitik noch einmal aus der Schusslinie zu bekommen. Und so entwickelte sich eine ohnehin längst vergiftete Debatte noch vor Beginn der eigentlichen Konferenz-Schalte zu einem politischen Ping Pong mit dem einzigen Ergebnis, dass der Beginn der Ministerpräsidentenrunde um mehr als eine Stunde verschoben werden musste.

Eingefleischte Beobachter des heimischen Corona-Diskurses haben es natürlich sofort gemerkt: Was sich hier im Vorfeld der gestrigen Ministerpräsidentenkonferenz, bei der man eigentlich über eine verstärkte Impfkampagne sowie über den Stand der Impfpflicht-Debatte diskutieren wollte, ereignete, war nur das Rückspiel eines Konflikts, der sich ähnlich bereits kurz vor Weihnachten zugetragen hatte – damals indes unter umgekehrten Vorzeichen. Im Dezember nämlich noch war es ursächlich Karl Lauterbach, der seinem Amtsvorgänger vorgeworfen hatte, nicht hinreichend für das Frühjahr vorgesorgt zu haben. Damals ging es noch um die Impfstoffinventur und um den Vorwurf an die Union, nicht genügend Dosen für die Booster-Aktion gekauft zu haben. Und auch damals folgte umgehend die Replik der neu-oppositionellen CDUler. Den Bibelfesteren ist somit klar: Es geht nicht um das Wohl der im Maßnahmenchaos versinkenden Bürger; es geht um Auge um Auge, Gesundheitsminister um Gesundheitsminister.

Aller Maßnahmen müde

Während es also auch gestern in diesem Sinne munter hin und her ging und darüber hinaus noch die Frage im Raum stand, warum das RKI eigentlich am 14. Januar ganz ohne Not und Vorwarnung den Genesenenstatus von sechs auf drei Monate verkürzt hat, machte sich unter manch einem Beobachter der politischen Lage so etwas wie Müdigkeit breit. Genau das nämlich ist der Corona-Diskurs, den viele Menschen im Land im besten Fall noch mit Unverständnis, im schlechtesten aber mit Desinteresse goutieren. Vielleicht kann man es sich weder in den unions- noch in den SPD-geführten Staatskanzleien wirklich vorstellen, aber niemand will dieser Tage noch wissen, welcher Gesundheitsminister die kürzere Einkaufsliste hatte oder warum Jens Spahn und Karl Lauterbach zwar anders heißen, sich ihre Namen in einem möglichen politischen Gedicht aber merkwürdig reimen.

Was indes viele der längst psychisch, sozial oder ökonomisch beschädigten Bürger wirklich interessiert, ist – trotz, oder vielleicht auch wegen der steil ansteigenden Infektionskurve – einzig eine immer drängendere Frage: Wann endlich fasst sich die Ampel-Regierung ein Herz und gibt Öffnungsperspektiven, die denen vieler unserer Nachbarstaaten in nichts mehr nachstehen? Carolina Darais etwa, Gesundheitsministerin in Spanien, hat jüngst angeregt, Covid-19 endlich wie eine normale Grippe zu behandeln, und Darais britischer Kollege Sajid Javid sprach noch in der letzten Woche davon, dass Covid-19 mit der Omikron-Variante endlich endemisch werden würde. Ähnlich sehen das auch seit langem hiesige Experten sowie die Epidemiologen der WHO.

Der deutsche Sonderweg

Aber Deutschland ist eben anders: „Für uns alle ist klar, dass die Richtung, die wir eingeschlagen haben, hilft und dass sie dazu beigetragen hat, dass wir die Corona-Pandemie anders bewältigen können als viele unserer Nachbarländer“, so Olaf Scholz fast schon sturköpfig in seinem gestrigen Gipfel-Fazit, das in seiner lapidar dahingeleierten Vortragsweise  ein wenig wie Sündenstolz klang. Die harten Maßnahmen, so der Kanzler, hätten immerhin dazu beigetragen, dass uns die hohen Infektionszahlen unserer Nachbarn erst jetzt erreichten. Daher: Kurs halten! Das sei die beste Chance, auch weiterhin gut durch die Gesundheitskrise zu kommen.

Sätze wie diese wären unter normalen Bedingungen eigentlich eine Steilvorlage für die Opposition. Denn was bedeutet es eigentlich, dass bestimmte Infektionszahlen, die zur Einschätzung der Pandemie ohnehin keine besondere Rolle mehr spielen, hierzulande später erreicht werden als andernorts? Vermutlich doch nur, dass sie hüben noch dort sind, wenn sie drüben schon fort sind. Man kann den Wellen eben nicht entkommen, schon gar nicht, wenn man, wie derzeit Bundesregierung und Ministerpräsidenten, unbeugsam und fast schon verbissen auf Linie bleiben will.

Ein Traum für die Opposition

So etwas führt am Ende nur zu weiteren unerwünschten Nebenwirkungen sowie zu kaum noch zu bemessenen Kollateralschäden. Dabei hatte doch erst gestern das Institut der Deutschen Wirtschaft vermeldet, dass schon das bisherige Corona-Management 350 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung gekostet hat.

Wie gesagt: eigentlich traumhafte Bedingungen für die Opposition. Vorausgesetzt natürlich, sie erkennt endlich, wie sehr sie vor Monaten noch selbst an dieser kaum noch zu überblickenden Malaise mitgewirkt hat, und verabschiedete sich endlich auch innerlich von der strengen Maßnahmenpolitik ihres einstigen Gesundheitsministers. Lasst doch die Toten ihre Toten begraben. Dann käme nicht nur Leben in eine eingefahrene Situation, ein Großteil der Bürger hätte auch endlich wieder das Gefühl, Teil eines politischen Diskurses zu sein, in dem er aktuell nur zu stören scheint.

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