Migrationsexperte Ruud Koopmans - „Das europäische Asylsystem ist unmoralisch“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, will das Individualrecht auf Asyl in der EU abschaffen, da es inhuman sei und das „Recht des Stärkeren“ gelte. Ähnlich argumentierte in der März-Ausgabe von Cicero der Soziologe Ruud Koopmans: Wir helfen den Falschen, sagt er, und lassen Notleidende im Stich.

Die Polarisierung verhindere nüchterne Lösungen in der Migrationspolitik, so Koopmans / Antje Berghäuser
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Ruud Koopmans ist ein viel zitierter Soziologe und Migrationsforscher. Er ist Professor an der Berliner Humboldt-Universität und leitet seit 2007 im Wissenschaftszentrum Berlin die Abteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“. Zuletzt ist von ihm erschienen: „Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg“.

Herr Koopmans, die Flüchtlingskrise von 2015 gilt als große Zäsur der deutschen Politik. Nun erleben wir erneut eine Verschärfung der Lage. Was ist anders, was nicht?

Der größte Unterschied ist natürlich, dass im vergangenen Jahr die größte Gruppe aus der Ukraine stammte. Und diese Gruppe unterscheidet sich zunächst mal auch aus moralischen Gründen von den meisten Flüchtlingen, die 2015 und 2016 zu uns gekommen sind. Die Ukrainer, die jetzt nach Europa geflohen sind, kamen direkt aus einem Kriegsgebiet. Das heißt, es liegt kein anderes Transitland zwischen der Ukraine und Europa. Wir nehmen also Menschen auf, die unmittelbar vor Kriegsgewalt Schutz suchen. Das war 2015 anders, weil fast niemand damals zu uns kam, der direkt aus einem Kriegsgebiet oder direkt aus einem Nachbarstaat nach Europa kam. 

Was soll da genau der moralische Unterschied sein?

Moralisch gesehen ist das etwas fundamental anderes. Moralisch gesehen sind wir in Europa jetzt in der gleichen Lage, wie es 1938 die Schweiz war. Damals kamen Juden, die vor unmittelbarer Lebensgefahr aus Deutschland flohen, an die Schweizer Grenze und wurden zum Teil zurückgeschickt. Das ist natürlich eine Art von Zurückweisung von Flüchtlingen, die moralisch nicht zu rechtfertigen ist. Aus diesem Scheitern der Nachbarstaaten Deutschlands angesichts der Judenverfolgung haben wir eben unsere Lektion gelernt und das Asylrecht geschaffen. Die Idee war, dass es niemals wieder so kommen darf.

Die Flüchtlinge aus Syrien sind auch unmittelbar vor dem Krieg geflohen.

Sie sind vor dem Krieg geflohen, waren aber etwa in der Türkei in Sicherheit. Natürlich müssen wir dann der Türkei helfen, sie kann das nicht alleine schaffen, der Libanon und Jordanien können das noch viel weniger. Aber es ist für uns nicht die gleiche Situation. Es ist nicht so, dass wir dadurch, dass wir Flüchtlinge aufgenommen haben, Menschenleben gerettet hätten. Im Gegenteil, wir haben Menschen sogar in Lebensgefahr gebracht. Das derzeitige europäische Asylsystem ist unmoralisch. Es verlangt, dass die Notleidenden und Verfolgten, bevor wir ihnen helfen, sich erst mal an einer europäischen Grenze melden müssen. Dafür haben viele das Mittelmeer überquert, dabei sind in den letzten zehn Jahren etwa 20.000 Menschen ums Leben gekommen. Das ist der moralische Skandal.

Das europäische Asylsystem ist unmoralisch, sagen Sie. Warum ist es falsch, Flüchtlinge aufzunehmen?

Unser Asylsystem ist unmoralisch, weil wir Menschen zwingen, eine lebensgefährliche Reise auf sich zu nehmen, wenn sie unsere Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Wir helfen nicht Menschen in Not, sondern wir bringen sie in Not. Das ist das Gegenteil von dem, was wir vorgeben zu tun. Vor allem landen bei uns dann oft nicht diejenigen, denen wir helfen wollten, sondern diejenigen, die stark genug waren, die Reise auf sich zu nehmen. Es sind mehr Leute auf dem Weg nach Europa gestorben, als Menschen gestorben wären, wenn sie einfach geblieben wären, wo sie waren. In der Türkei zum Beispiel.

Doch diejenigen, die zu uns kommen, kommen doch aus einer Notlage heraus, sonst kämen sie nicht, oder?

Sie kommen sicher aus der Sehnsucht nach einem besseren Leben, aber wir betrügen sie mit falschen Anreizen. Wir locken die Menschen nach Europa, weil sie wissen, dass sie – nach der jetzigen Rechtslage –, wenn sie einmal hier sind, auch bleiben können, unabhängig davon, ob sie als Flüchtlinge anerkannt werden oder nicht. Und daraus folgt: Weil wir es nicht schaffen, die Leute in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, die keinen Anspruch auf unsere Hilfe haben, schaffen wir es auch nicht, denen zu helfen, denen wir eigentlich helfen wollten und die es mehr nötig hätten.

Ist es denn falsch, Menschen, die in Seenot geraten sind, zu retten?

Es ist nie falsch, Menschen in Seenot zu retten, aber es ist noch falscher, den Leuten diese „Wurst“ vor die Nase zu halten. Nach dem Motto: Kommt doch, kommt doch rüber. Wenn ihr das schafft, dann könnt ihr hier auch bleiben.

Die Schwächen des Asylsystems sind lange bekannt. Was schlagen Sie vor?

Die Lösung besteht aus zwei Komponenten. Auf der einen Seite sollten wir in Europa Menschen direkt aus Krisengebieten aufnehmen, das heißt aus Kriegsgebieten oder auch aus den Erstaufnahmeländern. Und das schließt dann auch Länder ein, die nicht zufällig an die Europäische Union angrenzen, also nicht nur die Türkei oder Libyen, sondern Flüchtlinge aus dem Jemen oder Myanmar oder dem Kongo. Es gibt ja viele Gebiete, wo Menschen in Not sind und flüchten müssen. Das wäre die eine Komponente, dass wir endlich großzügig Menschen helfen, die tatsächlich Hilfe brauchen.

Und was wäre die zweite Komponente?

Der zweite Schritt ist viel schwieriger. Wir müssen weg von dem Prinzip, dass jeder, der einen Fuß auf europäischen Boden setzt und das Wort Asyl ausspricht, de facto auch ein Recht bekommt zu bleiben. Man muss an dem Anspruch festhalten, dass jeder ein Recht auf ein Asylverfahren hat, aber es steht nirgendwo geschrieben, dass es ein Recht auf ein Asylverfahren in der Europäischen Union gibt. Also die Lösung wäre, dass man Abkommen schließt mit Drittstaaten, die sich bereit erklären, die Asylverfahren bei sich durchzuführen. Die Länder, wie etwa Tunesien, müssten sich dann natürlich auch bereit erklären, auch glaubhaft machen, dass sie sich an das internationale Recht halten, insbesondere an das Verbot von Zurückweisung.

Aber was hätte das für Auswirkungen, es kämen ja vielleicht weiterhin viele Menschen bei uns an?

Nein, nicht in dieser Weise. Es würde bedeuten, dass jemand, der über das Mittelmeer kommt oder gerettet wird auf hoher See, einen Anspruch auf ein Asylverfahren hat, aber dieses Asylverfahren würde er etwa in Tunesien durchlaufen, nicht in Köln oder Berlin. Und dann, das zeigt zum Beispiel die Erfahrung Australiens, kann man davon ausgehen, dass nur noch sehr wenige Menschen sich spontan auf den Weg Richtung Europa machen. Weil sie dann wissen, wenn sie nicht anerkannt werden, landen sie auch nicht in Deutschland, sondern bleiben in Tunesien.

Aber durch die erste Komponente wollen Sie weiterhin Schutzsuchende aufnehmen, nur andere?

Ja, ich will im Prinzip Migration durch Migration ersetzen. Und wenn wir das tun, können wir sogar viel mehr Menschen helfen, die tatsächlich Hilfe brauchen. Fast die Hälfte der Menschen, die in Europa Asyl beantragen, wird letztendlich abgelehnt. Das heißt, zur Hälfte helfen wir Leuten in Not, und die andere Hälfte kann weitgehend trotzdem bleiben. Oft helfen wir bislang also Menschen, die eigentlich den Schutz des Asylrechts gar nicht brauchen.

Wir haben inzwischen eine Debatte, dass Deutschland Zuwanderung benötigt, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen. Unser Thema war zunächst illegale Migration, Flucht und Asyl. Haben beide Themen miteinander zu tun?

Ja, Deutschland braucht Zuwanderung, da es eine schrumpfende Bevölkerungszahl gibt. Aber Deutschland braucht nicht jede Art von Zuwanderung. Wir haben uns die Zuwanderung von 2015/2016 angeschaut. Von den Flüchtlingen hat nur ein sehr geringer Teil einen Arbeitsplatz gefunden. Ungefähr 30 Prozent der Migranten, die damals gekommen sind, sind bis heute imstande, selbst ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die anderen 70 Prozent sind nach wie vor abhängig von Sozialleistungen. Diese Art von Zuwanderung ist natürlich keine Lösung für den demografischen Wandel und keine Lösung für die Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Nun ist aber natürlich humanitäre Zuwanderung auch nicht dafür gedacht.

Brauchen wir also qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt?

Die ganze Diskussion, die darum läuft, ist etwas verzerrt. Denn derartige Zuwanderung in den Arbeitsmarkt gibt es doch bereits. Arbeitskräfte, auch Fachkräfte, kommen aus Ländern der Europäischen Union zu uns, weil Deutschland Teil des Binnenmarkts der Europäischen Union ist. In den letzten 15 Jahren hat es schon massive Zuwanderung aus Polen, Rumänien, Bulgarien, zum Teil auch aus Spanien, Griechenland und Italien gegeben. Ein Großteil von diesen Zuwanderern hat ein relativ hohes Bildungsniveau, ist gut ausgebildet. Und die Integration in den Arbeitsmarkt ist ausgezeichnet. Diese Migranten haben zum Teil eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung als die ansässige Bevölkerung in Deutschland. Wir machen das schon alles ziemlich gut, das müssen wir uns durchaus klarmachen.

Benötigen wir auch Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern?

Da muss man gezielt vorgehen, und hier kann es auch eine Verbindung der beiden Komponenten geben. Bei den Abkommen mit Transitstaaten und mit Herkunftsstaaten kann es auch Elemente der qualifizierten Einwanderung geben. Das kann auch ein Anreiz für die Drittstaaten zur Zusammenarbeit sein. Ein Beispiel ist Nigeria in Westafrika. Der Migrationsdruck aus Afrika wird in den kommenden Jahren insgesamt besonders ansteigen, weil da das Bevölkerungswachstum enorm hoch ist. Und in Afrika gibt es Länder wie Nigeria mit einem relativ guten Bildungssystem, wo die meisten Leute auch Englisch sprechen und für den deutschen Arbeitsmarkt attraktiv wären. Viele wollen nach Europa, versuchen es über den Asylweg und werden dann abgelehnt. Diesen Ländern könnte man Kontingente für reguläre Arbeitsmigration anbieten. Im Gegenzug müssten diese Länder abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen.

Kritiker einer restriktiven Flüchtlingspolitik sagen, Migration lasse sich in der globalisierten Welt gar nicht mehr strikt begrenzen. 

Das stimmt einfach nicht. Natürlich können wir Zuwanderung begrenzen. Das hat sich ja in der Flüchtlingskrise gezeigt. Nach der Entscheidung von Merkel und dem österreichischen Bundeskanzler Faymann, die Grenzen zu öffnen, hat die Migration enorm zugenommen. Und nach dem Deal zwischen der EU und der Türkei und nach der Schließung der Balkanroute wurde die Flüchtlingszuwanderung extrem begrenzt. Also, politische Entscheidungen können enorme Konsequenzen haben für die Migration, im Negativen wie im Positiven. 

Und doch wirkt das weltweite Migrationsproblem größer, und die Aussicht auf eine Festung Europa erscheint manchen unrealistisch. 

Die Behauptung, dass sich Migration nicht steuern ließe, ist schlicht eine strategische Lüge von Leuten, die eine Politik der offenen Grenzen wollen. Man muss das einfach mal durchdenken, was die Konsequenzen wären. Es sind Dutzende von Millionen Menschen, die zum Beispiel in Westafrika nach eigener Aussage gerne nach Europa migrieren möchten oder sogar schon konkrete Vorbereitungen dafür getroffen haben. Würden die es zu uns schaffen, würde der Wohlfahrtsstaat sich natürlich unter solchen Bedingungen nicht erhalten lassen. Wir könnten es machen, aber dann müssten wir eine völlig liberalisierte Gesellschaft werden, dann müssten wir werden wie die Vereinigten Staaten und noch viel marktliberaler, als es die USA sind. Dann müssten wir auch Massenarmut akzeptieren. Das kann man alles machen, aber davon wird die Welt nicht besser. 

Und wie sieht es mit der sogenannten Bekämpfung der Fluchtursachen aus?

Bekämpfung der Fluchtursachen, das ist letztendlich auch nur eine Floskel zur Beruhigung. Wir lassen die Grenzen offen und machen etwas, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Aber es wird nicht funktionieren. Die Fluchtursachen sind Krieg und Ungleichheit in der Welt. Also ich bin natürlich völlig dafür, dass wir alles tun, um den Weltfrieden zu fördern und auch die großen Wohlstandsunterschiede in der Welt zu bekämpfen. Nur ist das nicht so einfach und es ist gewiss nicht etwas, das wir jetzt kurz- oder mittelfristig schaffen werden. Hinzu kommt noch: Wenn man auf die konkreten Bedingungen von Migrationsströmen schaut, dann sehen wir, dass es gerade nicht die Ärmsten sind, die sich auf den Weg machen, sondern eher die Mittelschicht in den Herkunftsländern. Das heißt, wenn wir das Wohlstandsniveau in einem Land wie Nigeria anheben würden, würden wir eher mehr Menschen in die Lage versetzen, das Land zu verlassen. 

Also bekämpft Entwicklungshilfe nicht die Flucht­ursachen?

Natürlich sollten wir in Entwicklung und Wachstum in den Ländern investieren. Aber wir sollten es nicht verkaufen als Mittel, um die Migration zu begrenzen. Das wird nicht funktionieren. Eine Politik der offenen Grenzen ist einfach unrealistisch und eben kontraproduktiv mit Blick auf die Entwicklung der Länder.

Wie bewerten Sie generell die Migrationspolitik der Ampel nach einem Jahr?

Die Regierung will neue Wege für reguläre Migration schaffen und die irreguläre Migration bekämpfen. Beim Öffnen neuer Kanäle zeigt sich die Koalition auch sehr aktiv. Von der Rückführungsoffensive, die angekündigt wurde, ist hingegen bisher wenig zu spüren – und das wird auch so bleiben. Die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern kann letztlich gar nicht besser werden, weil die jetzige Rechtslage es einfach nicht zulässt. Noch so effiziente Rückführungsabkommen ändern an der Zahl der irregulären Migranten nur sehr wenig, weil das System nicht funktioniert. Die Lösung ist nicht, Rückführung zu verbessern, weil da nur marginale Erfolge erzielt werden können. Eine wirkliche Veränderung ist nur drin, wenn man an der Pforte sozusagen dafür sorgt, dass nicht so viele irreguläre Migranten nach Europa reinkommen.

Gibt es in der Ampelregierung dazu den Willen?

Leider scheint es zur Begrenzung der illegalen Migration in der Ampel an der Fantasie und bei Teilen vielleicht auch am Willen zu fehlen. Ich hoffe, mit meinen Vorschlägen die Perspektive dazu zu öffnen. Eine moralische Flüchtlingspolitik und eine radikale Begrenzung der irregulären Migration sind keine Gegensätze. Im Gegenteil: Sie bedingen sich gegenseitig. 

Wie bewerten Sie das Chancen-Aufenthaltsrecht? Wer abgelehnter Asylbewerber ist, soll arbeiten dürfen. Eine Chance für beide Seiten?

Es ist schwierig zu sagen. Auf der einen Seite ist es eine Antwort auf die Limbo-Situation, in der sich viele geduldete Asylsuchende befinden. Die Leute sind zugleich eigentlich dauerhaft hier und doch immer auch ausreisepflichtig. Also sagt die Regierung, wenn wir sie schon nicht zurückführen können, dann lassen wir sie wenigstens arbeiten. Die Kritiker sagen zu Recht, dass natürlich diese Aussicht, dass man, auch wenn man abgelehnt wird, letztendlich doch auf eine Legalisierung hoffen kann, es noch attraktiver macht, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen. 

Nach den Silvesterkrawallen in Berlin wird über die Ursachen von Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Polizei und Feuerwehr diskutiert. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Thema Migration oder nicht? 

Das habe ich ziemlich genau recherchiert. Man kommt nicht umhin festzuhalten, dass Menschen mit Flüchtlingshintergrund in der Kriminalitätsstatistik stark überrepräsentiert sind. Und das ist sogar noch stärker der Fall bei schweren Formen der Kriminalität. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es hier ganz konkret Opfer gibt. Vor allem im öffentlichen Diskurs gibt es die Neigung, so zu tun, als ob dieses Problem nicht existiert. Stattdessen wird behauptet, es sei ein soziales Problem von jungen Männern. Doch auch wenn man dies berücksichtigt, sind Flüchtlinge stark überrepräsentiert. 

Aber wie genau kommt es zu diesem Problem der eingewanderten Kriminalität? 

Es ist die direkte Folge unserer falschen Asylpolitik. Wir haben unter den Menschen, die wir aufnehmen, eben eine starke Überrepräsentation von jungen, alleinstehenden Männern. Das ist kein Naturereignis. Es ist nicht so, dass es in den Herkunftsländern keine verfolgten Frauen gäbe, keine verfolgten Familien mit Kindern, keine verfolgten alten Leute. Die gibt es sehr wohl, sie haben nur nicht die Chance, nach Europa zu kommen. Wir aber kümmern uns um jene, die sich zu uns durchschlagen. Und das hat entsprechende Folgen.

Sie beschreiben eine multiple Krisensituation. Warum ist die Politik diesem Problem nicht gewachsen? 

Die Lösung des Migrationsproblems scheitert tatsächlich an der Polarisierung und Moralisierung dieses Themas und dem Unwillen der Politik, einfach mal nüchtern auch auf die Lage zu schauen. Die Politik macht das nicht, weil sie in der kurzfristigen Logik der Parteienkonkurrenz gefangen ist. Für beide Seiten des politischen Spektrums ist der Konflikt um die Migration unheimlich erfolgversprechend, weil er Wählerstimmen auslöst. Für die Linken ist es gewinnbringend, dem politischen Gegner in die Schuhe zu schieben, dass er unmenschlich und rassistisch sei. Und für die andere Seite des politischen Spektrums ist es gewinnbringend zu sagen, die Linken, die verkaufen die Interessen der ansässigen Bevölkerung.

Und was ist der Weg aus diesem Dilemma?

Der Weg hinaus ist, dass man sich auf das Problem konzentriert und dass man tatsächlich über den Schatten der eigenen elektoralen Interessen springt. Politiker haben zwei Funktionen: Auf der einen Seite müssen sie Wähler vertreten, sie müssen Wähler mobilisieren. Aber sie müssen auch Probleme lösen.  

Das Gespräch führte Volker Resing.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe von Cicero, die Sie direkt bei uns kaufen können.

 

 

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